Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:IWF rät im Zweifel zum Lockdown

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Der Kampf gegen das Coronavirus belastet die Wirtschaft. Richtig konzipierte Lockdowns sind laut IWF trotzdem das beste Mittel - für Gesundheit und Konjunktur.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Glaubt man Staatenlenkern wie Donald Trump, dann muss sich ein Land in einer Pandemie zwischen zwei Übeln entscheiden: Entweder die Regierung schließt in großem Stil Geschäfte, Fabriken, Schulen und Restaurants, um die Menschen möglichst vor einer Ansteckung zu schützen, nimmt damit aber einen verheerenden wirtschaftlichen Absturz in Kauf. Oder sie verzichtet auf einen strengen "Lockdown", um Massenarbeitslosigkeit und Firmensterben zu verhindern, akzeptiert dafür aber stillschweigend eine gewisse Zahl an Virus-Toten. Beides zusammen, die Rettung von Leben und Jobs, ist demnach nicht oder nur sehr bedingt möglich.

Dieser Einschätzung, die nicht zuletzt in Ländern anzutreffen ist, die von Populisten regiert werden, hat jetzt der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer neuen Analyse vehement widersprochen. Zwar sei es richtig, dass Geschäftsschließungen und Ausgangssperren während der Corona-Pandemie maßgeblich zu den Rezessionen in vielen Staaten beigetragen hätten, heißt es in der am Donnerstag veröffentlichten Studie.

Das bedeute aber im Umkehrschluss nicht, dass es ohne Lockdowns wirtschaftlich besser gelaufen wäre oder eine Aufhebung von Beschränkungen, wie Trump sie immer wieder von den US-Bundesstaaten verlangt, die ökonomische Lage automatisch verbessert hätte. Im Gegenteil: "Die vorherrschende Darstellung, wonach Lockdowns immer einen Zielkonflikt zwischen der Rettung von Leben und der Stützung der Wirtschaft beinhalten, muss überdacht werden", so die Experten. Notwendig sei vielmehr eine gute "Balance, die die Gesundheit der Menschen schützt und zugleich einen langwierigen wirtschaftlichen Einbruch verhindert".

In ihrer Analyse greifen die IWF-Experten unter anderem auf Mobilitätsdaten, die Entwicklung von Stellenangeboten und die Zahl der Corona-Infizierten in insgesamt 128 Ländern zurück. Dass viele Bürger nach Ausbruch der Pandemie mehr oder weniger von heute auf morgen darauf verzichteten, ins Restaurant, Theater oder Modegeschäft zu gehen, hatte demnach nur zum Teil mit staatlichen Beschränkungen zu tun. Eine genauso große Rolle spielte dem Bericht zufolge die sogenannte freiwillige räumliche Distanzierung. Anders gesagt: Die Menschen blieben nicht deshalb zu Hause, weil die Behörden dies anordneten, sondern weil sie Angst hatten, sich sonst mit dem Virus anzustecken.

Den Lockdown zu lockern, wenn die Infektionsgefahr hoch ist, bringt demnach nicht die gewünschten ökonomischen Vorteile

Der freiwillige Verzicht vieler Verbraucher ist aus Sicht der Fachleute ein klarer Beleg dafür, dass eine Lockerung von Lockdowns nicht die gewünschten ökonomischen Effekte bringt, solange die Infektionsgefahr hoch ist. Es sei vielmehr genau anders herum: "Den Gesundheitsrisiken zu begegnen ist offensichtlich eine Vorbedingung für eine starke und nachhaltige wirtschaftliche Erholung." Die Daten aus den untersuchten Ländern zeigten, dass Produktions-, Verkaufs- und Ausgangsbeschränkungen signifikant zu einer deutlichen Senkung der Neuansteckungen beitragen könnten.

Das gelte vor allem dann, wenn ein Staat nicht warte, bis die Zahlen durch die Decke gingen, sondern rasch und entschieden reagiere. "Strenge, zeitlich eng befristete Lockdowns bewirken offenbar mehr als milde, langwierigere Maßnahmen", so die Experten. Zügiges Handeln sei auch deshalb sinnvoll, weil es "freiwillige räumliche Distanzierung" zumindest teilweise überflüssig mache.

Die IWF-Analyse zeigt zudem, dass die Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen hatten. So waren junge Familien - vor allem die Mütter - die Hauptleidtragenden der Kita- und Schulschließungen. Besser Betuchte konnten zugleich leichter von zu Hause aus arbeiten als Geringverdiener. All das ändert aus Sicht der Fachleute aber nichts daran, dass entschlossenes staatliches Handeln prinzipiell richtig sei: Die positiven Effekte eines raschen und stringenten Vorgehens, so die Experten, könnten auf mittlere Sicht die kurzfristigen Kosten eines Lockdowns "mehr als wettmachen".

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