Corona-Krise:Wirtschaftsweise erwarten bessere Konjunktur

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Ein Schild vor einem Restaurant in Frankfurt am Main (Foto: Jan Huebner/imago images)

Der Corona-Einbruch fällt weniger schlimm aus als befürchtet. Die neuen Einschränkungen im November wirken sich nicht stark aus.

Von Alexander Hagelüken

Mitten in der Corona-Krise gibt es gute Nachrichten. Die sogenannten Wirtschaftsweisen erwarten eine bessere Konjunktur als bisher befürchtet. Die deutsche Wirtschaft schrumpft dieses Jahr nur um 5,1 Prozent, so der Sachverständigenrat im Jahresgutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Damit fiele der ökonomische Schaden 2020 trotz Jahrhundert-Pandemie geringer aus als nach der Finanzkrise 2008. Nachdem Corona im Frühjahr ausgebrochen war, hatten Fachleute einen bis zu doppelt so starken Einbruch vorhergesagt.

Die fünf Wirtschaftsweisen sind auch optimistischer als die Forschungsinstitute und die Bundesregierung, die aktuell rund fünfeinhalb Prozent Schrumpfung erwarten. Auffällig ist, dass der erstmals in seiner 60-jährigen Geschichte mit zwei Ökonominnen besetzte Sachverständigenrat die Regierung viel weniger kritisiert als in früheren Jahren. "Die Politik hat in der Krise rasch und entschlossen gehandelt", heißt es im Gutachten, das am Mittwoch offiziell veröffentlicht wird. Demnach steigert die Regierung die Wirtschaftsleistung allein durch ihr Konjunkturpaket in diesem und im kommenden Jahr zusammen um 1,1 bis zwei Prozent - ein deutlicher Schub.

Erholung pausiert

Für die exportstarke Bundesrepublik spielt es eine große Rolle, was im Ausland geschieht. In China schreite die wirtschaftliche Entwicklung wieder schnell voran, so die Wirtschaftsweisen. Auch die USA und der Euro-Raum hätten im dritten Quartal von Juli bis Oktober starkes Wachstum erlebt. Die Wirtschaft des Euro-Raums schrumpfe 2020 um sieben Prozent, wachse 2021 jedoch wieder um fast fünf Prozent - und damit stärker als die deutsche Wirtschaft mit 3,7 Prozent.

Angesichts steigender Infektionszahlen sieht der Rat mit dem neuen Vorsitzenden Lars Feld überall Risiken. Die Erholung pausiere. Im Winter dürfte die Wirtschaftsleistung nicht zulegen. Die Prognose geht aber davon aus, dass die Infektionen mit weniger Beschränkungen als im Frühjahr unter Kontrolle gehalten werden können und die internationalen Lieferketten nicht wesentlich gestört werden.

Die Wirtschaftsweisen schätzen, dass die steigenden Infektionszahlen und die Schließungen von Gastgewerbe, Kultur und Sport im November vergleichsweise glimpfliche ökonomische Folgen haben, da die betroffenen Branchen keinen großen Anteil an der Unternehmenslandschaft haben. Nach ihrer Rechnung wird die Wirtschaftsleistung in diesem und im kommenden Jahr dadurch nur um je 0,2 Prozent gedrückt. Selbst wenn der Lockdown auf Dezember ausgeweitet werden sollte und dann auch Teile des Einzelhandels wie Autohäuser dichtgemacht werden, drücke dies die Jahreswerte nur um noch mal etwa den gleichen Betrag. Ganz anders wäre es, wenn die Industrie ein weiteres Mal so getroffen würde wie im Frühjahr. Dann würde die deutsche Wirtschaftsleistung in beiden Jahren mindestens vier Mal so stark schrumpfen wie durch die Schließungen von Restaurants, Kultur und Sport.

Neue Töne

Es wurde mit Spannung erwartet, wie sich die Neubesetzung des Rats mit den zwei empirisch orientierten, politisch wenig festgelegten Ökonominnen Veronika Grimm und Monika Schnitzer auswirkt. Der Wirtschaftsweisen-Rat galt bisher auch im internationalen Vergleich als ziemlich marktliberal. Beim neuen Gutachten sind nun einige neue Töne zu hören. Das fängt damit an, dass die Wirtschaftsweisen, die früher die Politik oft schwer kritisierten, diesmal die Krisenpolitik der Regierung weitgehend gutheißen: "Der flächendeckende Einsatz von Kurzarbeit dürfte größere Beschäftigungsverluste verhindert haben", heißt es etwa.

Auch stellen die Wirtschaftsweisen anders als in der Vergangenheit nicht das Ziel nach vorne, den Solidaritätszuschlag komplett abzuschaffen. Dies fordert zwar die Union. Die SPD ist aber wegen der gewachsenen Ungleichheit im Land dagegen, auch die zehn Prozent Top-Verdiener vom Soli zu befreien. Deshalb wird die Abgabe 2021 nur für 90 Prozent der Steuerzahler gestrichen.

Bemerkenswert erscheint, dass die Wirtschaftsweisen positive Worte für den EU-Wiederaufbaufonds finden, nachdem sie früher gern europäische Geldausgaben rügten. Nun attestieren sie dem Fonds "ein politisches Signal für den Zusammenhalt der EU in der Corona-Krise. Der Aufbaufonds könnte durch eine Steigerung der Produktivität das Wachstum stützen und die Widerstandsfähigkeit bei zukünftigen Krisen erhöhen." Schlecht sei unter anderem aber, dass das Geld zu langsam fließe.

Monika Schnitzer beackert als Innovationsexpertin wie Veronika Grimm als Energieexpertin Themen, die bei den Wirtschaftsweisen nun stärker im Fokus stehen. So hebt das Gutachten unter anderem hervor, Wasserstoff biete hiesigen Unternehmen "attraktive Geschäftsmodelle", bei denen eine Abwanderung der Produktion ins Ausland unwahrscheinlicher sei als bei der Fertigung von Solarzellen oder Batterien.

Viel Lob, etwas Kritik

Insgesamt sehen die Wirtschaftsweisen Deutschland in ihrem mehr als 500-seitigen Gutachten vor großen Aufgaben nicht nur durch Corona. "Der Strukturwandel durch den technologischen Fortschritt, den demografischen Wandel und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist eine große Herausforderung", heißt es. Da sei die Wirtschaftspolitik gefordert.

An der Krisenreaktion der Regierung gibt es bei manchem Lob auch Kritik. So solle die Politik stärkere Anreize setzen, während der Kurzarbeit Beschäftigte weiterzubilden. Firmen sollten aktuelle Verluste stärker steuerlich mit früheren Gewinnen gegenrechnen dürfen als bisher. Und das Konjunkturpaket sei nicht überall zielgenau. So führe die befristete Senkung der Mehrwertsteuer nur teilweise zu mehr Konsum. In einer extra durchgeführten Umfrage gibt nur jeder neunte Deutsche an, Ausgaben vorzuziehen.

Wie in anderen Jahren gibt es auch diesmal Minderheitsvoten gegen die Mehrheit, aber weniger als früher. So spricht sich der keynesianisch orientierte Ökonom Achim Truger dagegen aus, die staatliche Schuldenbremse nach Corona zu schnell einzuhalten, weil dies die Konjunktur abwürgen könnte. Auch lehnt Truger eine baldige automatische Erhöhung des Rentenalters mit der steigenden Lebenserwartung ab und schlägt andere Reformen vor: Etwa die Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen, die dann Beiträge zahlen und so das Alterssystem stabilisieren.

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