Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Wie die Weltwirtschaft nach der Pandemie aussehen könnte

Lesezeit: 3 min

Wenn die Krise vorbei ist, werden Unternehmen auf Sicherheit setzen. Das bedeutet weniger Wachstum, aber hoffentlich keine Abkehr von der Globalisierung.

Kommentar von Nikolaus Piper

Wenn alles vorbei ist und die Menschen wieder ein normales Leben führen können, dann werden Wirtschaftsunternehmen gefragt werden: "Und was habt ihr im Krieg getan?" Das glaubt jedenfalls Mark Carney, früher einmal der mächtige Gouverneur der Bank von England. Werte würden in der Post-Corona-Wirtschaft eine andere Rolle spielen als bisher, schreibt er im britischen Economist. Wenn es darauf ankomme - das habe die Krise gezeigt -, setzten Gesellschaften Gesundheit an erste Stelle, und erst dann befassten sie sich mit den wirtschaftlichen Konsequenzen. Von Unternehmen erwarte man, dass sie in der Notzeit nicht horten, sondern teilen. Gemeinsinn ist Pflicht.

Man kann über die Schlüssigkeit von Carneys Prognosen ebenso streiten wie über seine Kriegsmetapher. Aber seine Thesen zeigen, was sich in der Wirtschaft derzeit alles ändert. Es droht die tiefste Rezession seit dem Krieg. Niemand, der heute Verantwortung trägt - Unternehmer ebenso wie Politiker - hat jemals etwas auch nur annähernd Vergleichbares erlebt. Das Ergebnis ist eine fundamentale Verunsicherung. Alle sind sich einig, dass die Welt nach Corona ganz anders aussehen wird als vorher. Wie wir aber alle konkret in Zukunft wirtschaften werden, bleibt meist im Ungefähren.

Dabei gibt es durchaus wohlbegründete Annahmen über die Post-Corona-Wirtschaft. Zum Beispiel die: Wenn Menschen verunsichert sind, wollen sie sich schützen. Ins Ökonomische übertragen bedeutet dies, dass Sicherheit für Unternehmen wichtiger wird und dass man dafür gerne Abstriche bei Effizienz oder Wachstum macht. Unternehmen und ganze Volkswirtschaften mussten die Erfahrung machen, dass es gefährlich sein kann, wenn man zu sehr von anderen abhängt, besonders wenn diese anderen aus China kommen. Also versuchen die Unternehmen zum Beispiel, mehr konkurrierende Zulieferer zu bekommen und am besten solche, bei denen es keine politischen Risiken gibt. Sie werden, wie es auf Managerdeutsch heißt, ihre "Lieferketten verkürzen". Und das kann durchaus Effizienz kosten. Auf jeden Fall ist das Ergebnis ein Stück Deglobalisierung. Nicht ungefährlich für die Exportnation Deutschland, die wie kaum eine andere auf die internationale Arbeitsteilung angewiesen ist.

Die Krise hat die Substanz der meisten Unternehmen massiv angegriffen. Jene, die überlebt haben (oft mit staatlicher Hilfe), müssen ihre Reserven erneuern und Eigenkapital bilden. Sie werden daher sparen und im Zweifel weniger investieren. Das kostet Wachstum. Die ganze Wirtschaft wird konservativer. Das Streben nach Sicherheit macht - ein für viele angenehmer Nebeneffekt - den sogenannten Heuschrecken das Leben schwer. Mit dem Begriff belegte einst der SPD-Veteran Franz Müntefering Investoren, die Firmen auf Pump kaufen und Zins und Tilgung dann aus den Gewinnen des durchrationalisierten Unternehmens bezahlen. Das Geschäftsmodell der Heuschrecken besteht also darin, Sicherheit für Effizienz zu opfern - heutzutage offenkundig ein Anachronismus.

Digitaler, konservativer, langsamer wachsend

Ein zentrales Thema sind die ausufernden Staatsschulden. Um den Absturz der Wirtschaft zu bremsen, haben sich die Regierungen überall massiv am Kapitalmarkt bedient. In Deutschland hat der Bundeshaushalt nach Jahren der schwarzen Null wieder ein hohes Defizit. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds werden die Staatsschulden im Laufe dieses Jahres weltweit von 61 auf 66 Billionen Dollar steigen. Vergleichbares gab es nicht einmal während der Finanzkrise.

Das alles war richtig, die Regierungen haben sich verhalten, wie es das makroökonomische Lehrbuch für Wirtschaftseinbrüche vorsieht. Nur kann das nicht immer so weitergehen. Zwar darf die Wende auf keinen Fall zu früh kommen, sonst droht ein Rückfall in die Rezession. Irgendwann jedoch müssen die Regierungen anfangen zu sparen, schon um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Staaten zu erhalten. Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Rückkehr zur Sparpolitik dürfte in nicht allzu ferner Zukunft die Politik spalten. Für ehrgeizige Investitionsprojekte, etwa den Plan, die Corona-Krise für einen neuen Anlauf in der Klimapolitik zu nutzen, sind die Voraussetzungen nicht sehr gut.

Wenn aber Staat, Unternehmen und Privathaushalte gleichzeitig sparen, sind die Konsequenzen eine schwache Nachfrage und niedrige Preise. Auf absehbare Zeit werden daher Inflationsrate und Zinsen niedrig bleiben, glaubt etwa Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. Die Sorgen vor einer drohenden Inflation wegen der Staatsschulden und des vielen gedruckten Geldes der Notenbanken wären demnach unbegründet.

Zu erwarten ist in der gesamten Wirtschaft ein Digitalisierungsschub. Millionen Menschen machen in diesen Tagen die Erfahrung, was mit dem Internet alles möglich ist, wie leicht man Dienstreisen durch Videokonferenzen ersetzen kann und wie gut es sich von zu Hause aus arbeiten lässt, wenn einem der Arbeitgeber die richtige Ausrüstung zur Verfügung stellt. Solche Erfahrungen vergisst man nicht.

Die Wirtschaft der Post-Corona-Zeit wird digitaler sein, im Übrigen aber konservativer, mehr vom Staat abhängend und wahrscheinlich nur langsam wachsend. Die große Frage ist, ob es auch eine fragmentierte Wirtschaft sein wird, in der nationale Egoismen herrschen. Ob es also nicht nur bei der Verkürzung der Lieferketten bleibt, sondern auch zu einer regelrechten Rückabwicklung der Globalisierung kommt. Wahrscheinlich ist das nicht, aber auch nicht ausgeschlossen. Die Krise schürt nationale Egoismen, Populisten versuchen, sie für sich zu nutzen - von Matteo Salvini bis zu Donald Trump. Dabei zeigt gerade das Coronavirus, dass die großen Probleme global sind und globale Lösungen brauchen. Das sollte auch ökonomischen Pragmatismus lehren.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2020
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