Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:So hart trifft die Corona-Krise Spanien

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Von Thomas Urban, Madrid

Die Analysten überbieten sich mit Schreckensprognosen: Die Wirtschaftsleistung Spaniens werde infolge der Corona-Krise im laufenden Jahr um mindestens vier Prozent einbrechen. Das ist nur der Mittelwert der aktuellen Analysen, aber er reicht aus, die meisten Spanier noch zusätzlich zu beunruhigen. Der Wert entspricht etwa jenem aus dem Krisenjahr 2009, als das Platzen einer gigantischen Immobilienblase die Konjunktur abstürzen ließ und Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit trieb.

Erfahrungsgemäß bedeutet ein Prozentpunkt minus rund eine Million Arbeitslose mehr. Nach der damaligen Krise brauchte das Land fünf Jahre, bis die Wirtschaft wieder wuchs. Voraussetzung dafür war ein hartes Sparprogramm, das die in der Krise an die Macht zurückgekehrte konservative Regierung unter Mariano Rajoy strikt und stoisch umsetzte, die Proteste dagegen verebbten schnell. Nun befürchten viele, dass all die Mühen und Entbehrungen dieser Jahre sich wiederholen könnten, angesichts der Lähmung der Wirtschaft durch das Coronavirus.

Zwar hat der sozialistische Premierminister Pedro Sánchez, der vor zwei Jahren Rajoy als Regierungschef per Misstrauensvotum stürzte, die Ende März verhängte totale Ausgangssperre gerade wieder gelockert. Davon ausgenommen waren bislang neben dem medizinischen Personal nur die Lebensmittelbranche und die Mitarbeiter von Infrastrukturbetrieben wie etwa der Nahverkehr. Seit Montag dürfen auch die Angestellten von Industrie und Baugewerbe wieder arbeiten. Doch die Madrider Metro meldete nun für den Berufsverkehr nur ein Drittel des sonst üblichen Fahrgastaufkommens.

Zwei Drittel der Beschäftigten im Großraum Madrid müssen nach wie vor zu Hause bleiben, nur ein kleiner Teil kann im Home-Office arbeiten. Ihre Firmen bleiben geschlossen, machen kaum Umsätze und erst recht keinen Gewinn. Schwer getroffen sind auch Gastronomie und Hotelgewerbe, mit 15 Prozent Anteil am BIP der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Die Semana Santa, die Woche vor Ostern, traditionell im Jahreszyklus des Tourismus der erste große Posten, ist dieses Jahr völlig ausgefallen. Für die Sommerferien melden Veranstalter, Hoteliers und die Verbände der Eigentümer von Ferienwohnungen vor allem Stornierungen.

Der März brauchte einen Negativrekord: 302 265 Personen meldeten sich arbeitslos, so viele wie nie zuvor in diesem Monat, in dem wegen der Semana Santa normalerweise die Tendenz umgekehrt ist. Mehr als eine halbe Million Betriebe setzen auf Kurzarbeit, um die Krise zu überleben, in der Hoffnung, dass diese in wenigen Wochen überwunden sein wird. Doch nur Optimisten wollen daran glauben.

Erschwerend kommt hinzu, dass die in Madrid regierende Linkskoalition ein Bild der Zerstrittenheit liefert. Premierminister Sánchez, ohnehin kein mitreißender Redner und erst recht kein Brückenbauer, der widerstreitende Kräfte versöhnen kann, wirkt übernächtigt und zerfahren. Er hat bislang nicht verhindern können, dass seine Minister über die Medien eine scharfe Kontroverse über den richtigen Weg aus der Corona-Krise austragen.

Das Grundeinkommen wird es geben - aber viel niedriger als erhofft

Hauptkontrahenten sind dabei der neomarxistische Vizepremier Pablo Iglesias, der Vorsitzende des Bündnisses Unidas Podemos, der im Kabinett den nicht klar definierten Bereich der soziale Rechte verantwortet, und die Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, die ebenfalls Vizepremier ist. Iglesias fordert als Konjunkturspritze die sofortige Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Calviño erklärt dagegen, dass ein solches Projekt eine lange Vorarbeit benötige und vor allem derzeit überhaupt nicht finanzierbar sei.

Die streitbare Ministerin gehört zu den Hassfiguren der radikalen Linken in Spanien: Sie war früher Budgetdirektorin der EU-Kommission und gelobte nach ihrem Eintritt ins Kabinett Sánchez, die EU-Vorgaben für die Begrenzung der Staatsausgaben einzuhalten. Dieses Ziel musste sie angesichts der Krise aufgeben, doch in Iglesias Vorschlägen zur Aufnahme eines gewaltigen Kreditpakets sieht sie eine große Gefahr für die Finanzstabilität des Landes. Sie verweist darauf, dass die Staatsschulden schon jetzt bei rund 100 Prozent des BIP liegen, und wirft Iglesias vor, dass die von ihm geforderte Reichensteuer vor allem den Mittelstand abwürgen würde.

Kleine und mittlere Firmen mit bis zu 50 Angestellten sind das Rückgrat der spanischen Volkswirtschaft, die, abgesehen von der Automobil- und Chemieindustrie in Katalonien sowie den zum Teil im Baskenland beheimateten Energiekonzernen, nur über eine dünne industrielle Basis verfügt.

Herauskommen wird wohl ein Kompromiss, der beide Seiten das Gesicht wahren lässt, aber faktisch ein Etappensieg für Calviño ist: Es wird das bedingungslose Grundeinkommen für Mittellose geben, 450 Euro für Alleinstehende, 950 für Familien, weitaus weniger als Iglesias verlangt. Überdies sollen diese Beträge mit der Sozialhilfe verrechnet werden, also das Budget nicht übermäßig belasten. Sánchez war in jungen Jahren Assistent einer Europaabgeordneten, er ist ebenso wie Calvino in Brüssel gut vernetzt und weiß, dass Spanien in seiner derzeitigen, fatalen Lage dringend auf Unterstützung der EU angewiesen ist.

Doch der Streit um das Grundeinkommen ist nicht der einzige im Kabinett: Arbeitsministerin Yolanda Díaz, eine Vertraute von Iglesias, will den Betrieben Entlassungen in den kommenden sechs Monaten verbieten. Die Unternehmerverbände protestieren laut und sagen eine gigantische Welle von Insolvenzen voraus, sollte dieser Vorschlag umgesetzt werden: Kein kleiner oder mittlerer Betrieb könne es überstehen, alle Angestellten zu halten und zu entlohnen, wenn die Umsätze um bis zu 90 Prozent einbrechen.

Die Gesamtlage verschärft noch, dass deutlich mehr als ein Viertel aller Beschäftigten lediglich befristete Arbeitsverträge haben, überdies zum größten Teil im Niedriglohnsektor: Im Tourismusgewerbe und bei Erntehelfern sind die Verträge oft auf drei bis vier Monate begrenzt. Da der Tourismus in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen hatte, fiel dies in der Gesamtbilanz der Wirtschaft weniger ins Gewicht. Doch nun, so sagen es alle Experten übereinstimmend voraus, werden die Arbeitslosenzahlen wieder explodieren.

Im letzten Krisenjahr 2013, in dem die gesamte Wirtschaftsleistung noch schrumpfte, war die Quote auf 27 Prozent geklettert. Trotz der Wachstumsraten der vergangenen Jahre mit jeweils drei Prozent, also deutlich besser als der Durchschnitt der Euro-Zone, lag sie vor der Corona-Krise immer noch bei knapp 14 Prozent. Journalisten verweisen nun gern darauf, dass es auch bei der letzten Krise ein sozialistischer Premier war, nämlich José Luis Zapatero, der sich bei der Suche nach einem Ausweg völlig verheddert hat.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2020
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