Corona-Pandemie:Köln lädt trotz Omikron zu internationaler Messe

Corona-Pandemie: Präsentation von Kaubonbons auf der Süßwarenmesse in Köln: Nur zum Probieren dürfen Besucher von Sonntag an die Maske abnehmen.

Präsentation von Kaubonbons auf der Süßwarenmesse in Köln: Nur zum Probieren dürfen Besucher von Sonntag an die Maske abnehmen.

(Foto: Christoph Hardt/imago)

Von Sonntag an erwartet die Domstadt Tausende Fachbesucher aus aller Welt zur Süßwarenmesse. Köln sagt: Man habe mit Bedacht entschieden.

Von Benedikt Müller-Arnold, Köln

Gerald Böse weiß, dass viele in den kommenden Tagen auf ihn schauen werden. Der Chef der Kölner Messe lädt von Sonntag an zur ISM, einer der weltgrößten Messen der Süßwaren- und Snackbranche. Köln werde "als Leuchtturm der Messewirtschaft" international im Blickpunkt stehen, prophezeit Böse - und rechnet: Wenn an den vier Messetagen 17 000 bis 20 000 Fachbesucher aus der halben Welt in die Hallen am Rhein strömen würden, "das wäre ein Riesenerfolg in diesen Zeiten".

Vor allem sind es Zahlen, die gerade äußerst rar sind in den Messehallen dieser Republik, angesichts von Omikron und rekordhoher Ansteckungszahlen. So wurde die Landwirtschaftsmesse "Grüne Woche" in Berlin, die dieser Tage stattgefunden hätte, genauso abgesagt wie die "Boot" in Düsseldorf. Die Nürnberger Spielwarenmesse soll Anfang Februar rein digital stattfinden. Und die Hannover Messe haben die Veranstalter bereits jetzt vom April in den Frühsommer verschoben. Ist Köln mithin sprichwörtlich das gallische Dorf der Messewirtschaft? Oder eher die Hochburg des Wahnsinns?

Jedenfalls muss man schon ziemlich im Kleinen suchen, um überhaupt eine andere Messe zu finden, die Anfang dieses Jahres all den Beschränkungen und Quarantänen trotzte. Und landet bei der Nordstil in Hamburg, einer regionalen Fachmesse etwa für Raumausstattung und Geschenkartikel. Sie durfte am vorvergangenen Wochenende unter "2G plus" stattfinden. Die Behörden hatten erst eine Woche zuvor zugestimmt.

Gerald Böse hingegen setzt in Köln auf 3G, wie es ja auch am Arbeitsplatz die Regel ist. Das heißt, dass auch ungeimpfte Gäste kommen dürfen, wenn sie getestet sind. So schreibt es Nordrhein-Westfalen für Fachmessen vor - und so sei es auch für ein internationales Publikum "im Rahmen", findet Böse. Immerhin haben sich zur Süßwarenmesse Firmen aus 56 Staaten angemeldet. Und längst nicht überall auf der Welt ist die Impfquote so hoch wie in Deutschland oder gar in Spanien. Ohnehin sollte man nach Böses Dafürhalten eine Fachmesse nicht mit Freizeitveranstaltungen wie Konzerten oder gar dem Karneval vergleichen.

Corona-Pandemie: Messe mal anders: Bis vor einigen Monaten dienten die großen Hallen in Köln vor allem als Impfzentrum.

Messe mal anders: Bis vor einigen Monaten dienten die großen Hallen in Köln vor allem als Impfzentrum.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Der Geschäftsführer hat in die 13. Etage des Messehochhauses geladen, hinter ihm ragt der Dom in den grauen Himmel. Köln habe die Entscheidung für die Süßwarenmesse "mit viel Bedacht getroffen", sagt Böse und nennt allerlei Vorkehrungen: digitale Einlasskarten mit 3G-Nachweis. Maskenpflicht, wenn man nicht gerade belgische Pralinen oder Protein-Riegel schnabuliert. Parallele Übertragungen ins Internet. Volle Lüftung und fünf Meter breite Gänge. "Doppelt so breit wie früher", rechnet Böse vor. All das habe sich schon vorigen Herbst bei der Anuga bewährt, einer der weltgrößten Lebensmittelmessen mit etwa 70 000 Besuchern in Köln. Allerdings kannte man Omikron zu dem Zeitpunkt, wenn überhaupt, auch nur als griechischen Buchstaben.

2021 sind gut 70 Prozent aller geplanten Messen in Deutschland ausgefallen

Man treffe eine Entscheidung für oder gegen eine Messe nie allein, sagt Böse. "Das wird immer von Industrie zu Industrie genau analysiert." Wenn wie im Fall der Möbelmesse IMM, die Mitte Januar in Köln stattgefunden hätte, Unternehmen nur etwa 20 Prozent der Ausstellungsfläche buchen, dann sage man die Chose ab. Gerade Reisende aus asiatischen Staaten wie China unterliegen vergleichsweise strengen Quarantäneregeln, wenn sie aus einem Risikogebiet wie Deutschland zurückkehren. "Die globale Reisebereitschaft sinkt im Moment enorm", konstatierte etwa die Messe Frankfurt kürzlich.

Zur Süßwarenmesse hingegen hätten etwa 1100 Aussteller zugesagt, sagt Böse, viele aus Europa. "Da haben wir genauso eine Verantwortung." Städte wie Köln ständen ja auch im Wettbewerb mit anderen Messeplätzen auf der Welt. Und da hätten schon Messen im Umfeld viel höherer Inzidenzen stattgefunden, argumentiert er.

So treffen in dieser Frage - wie so oft während der Pandemie - Gedanken zum Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Argumente aufeinander. Zumal in dieser Krise nicht nur städtische Messegesellschaften Millionenverluste einfahren, Kurzarbeit anmelden und Stellen abbauen. Jede abgesagte Veranstaltung bringt vielmehr auch Messebauer oder Caterer um Aufträge, Hotels um Übernachtungsgäste oder das Transportwesen um Fahrgäste.

Hinzu kommt die grundsätzliche Funktion, die Messen innerhalb der Wirtschaft erfüllen: Während man bestehende Geschäftskontakte oft auch virtuell pflegen kann, taugen physische Treffen dafür, neue Kontakte zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen oder Neuheiten zu präsentieren.

Im vergangenen Jahr waren bundesweit eigentlich 380 Messen geplant, wie der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (Auma) mitteilt. Doch nur etwa ein Viertel davon habe stattgefunden. "Für 2022 stehen in Deutschland 390 Messen im Kalender." Allerdings zählt der Verband bereits jetzt wenigstens 50 Verschiebungen oder Absagen: "Eine echte Erholung erwartet die Messewirtschaft nicht vor 2024, ergeben unsere ersten Befragungen."

Zwar gehe der Trend derzeit eher zum Verlegen denn zum Absagen, heißt es aus Branchenkreisen. Allerdings ergibt es aus Sicht mancher Wirtschaftszweige wenig Sinn, ihre jeweiligen Leitmessen in den - pandemisch für gewöhnlich unkomplizierteren - Sommer zu verschieben. Dann wären zum Beispiel in der Süßwarenindustrie die vielen Schoko-Osterhasen längst verkauft. Und mutmaßlich auch schon verspeist.

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