Süddeutsche Zeitung

Covid-Bekämpfung:Die Patente der Impfstoffhersteller müssen geschützt bleiben

Omikron heizt die Debatte darüber an, ob Pharmakonzerne wie Biontech ihre Schutzrechte für die Corona-Vakzine verlieren sollten. Doch das wäre der falsche Weg. Im Gegenteil: Der Staat sollte diese Firmen mit Subventionen unterstützen.

Von Björn Finke

Die Mahnung kommt von fast ganz oben: Die Bundesregierung und die EU mögen doch bitte ihren Widerstand gegen die Freigabe von Patenten für Covid-Impfstoffe beenden, sagte Kurienkardinal Peter Turkson nun. Der Ghanaer ist der Entwicklungshilfeminister des Papstes. Sein Chef, Papst Franziskus, hat ebenfalls mehrfach zu diesem Schritt aufgerufen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert, dass Pharmakonzerne wie Biontech aus Mainz ihre Schutzrechte für die knappen Vakzine verlieren sollten. Indien und Südafrika brachten solch einen Vorschlag schon vor einem Jahr bei der Welthandelsorganisation ein - und fanden neben Entwicklungsländern sogar die USA als Unterstützer.

Das krasse Gefälle bei der Impfstoff-Versorgung dient den Anhängern dieser Idee als Munition. Während in reichen Ländern Booster-Impfungen verteilt werden, hat in vielen afrikanischen Staaten nicht einmal jeder zehnte Erwachsene den heilsbringenden Piks erhalten. Diese Vakzin-Apartheid ist eine schreiende Ungerechtigkeit und gefährlich auch für die wohlhabenden Staaten. Denn das Virus kann sich in Regionen, wo Impfstoff fehlt, munter verbreiten und dabei mutieren. Diese Mutanten ziehen dann ihren weltweiten Siegeszug an - so wie Omikron.

Deshalb müssen arme Staaten ohne Zweifel sehr schnell sehr viel mehr Impfstoff bekommen. Doch Patente aufzuheben würde nichts bringen. Die Debatte darüber lenkt nur von anderen, deutlich erfolgversprechenderen Ansätzen ab.

Um Covid global einzudämmen, müssen die Produktionskapazitäten für Vakzine rasant und drastisch ausgeweitet werden. Zwar hat sich bereits viel getan. So können allein die Werke in der EU inzwischen 300 Millionen Dosen pro Monat fertigen, was sensationell ist, wenn man sich erinnert, wie knapp Impfstoff noch Anfang des Jahres war. Aber es ist eben nicht genug. Würden die Patente aufgehoben, dürften andere Pharmakonzerne die Mittel herstellen, ohne dass die Entwickler, etwa Biontech, klagen können. In der Theorie könnte dieser Schritt die Produktion wirklich vergrößern.

Patente setzen Anreize zu forschen

Doch in der Praxis ist es sehr unwahrscheinlich, dass Unternehmen dies ohne tatkräftige Unterstützung der etablierten Anbieter Biontech, Pfizer oder Moderna schaffen würden. Schließlich ist die Fertigung dieser modernen Vakzine hochkomplex; nötig sind Erfahrung, qualifizierte Mitarbeiter und ein Netz an spezialisierten Zulieferern. Wer das nicht hat, dem hilft es auch nicht, Biontechs Patente ungestraft nutzen zu können.

Zugleich würde die Freigabe der Patente ein komplett falsches Zeichen senden: Patentschutz ist eine Belohnung für Erfinder; er setzt Anreize, teure und riskante Forschungsvorhaben zu starten. Patentschutz zu untergraben, und sei es aus noch so hehren Gründen, führt im Zweifel zu weniger Investitionen in Forschung.

Ein besserer Weg, um die Produktion schnell auszuweiten, wären Subventionen an jene Hersteller, die bewiesen haben, dass sie die Verfahren beherrschen, etwa Biontech und Pfizer. Die Unternehmen fahren ihre Fertigung ohnehin hoch, aber betriebswirtschaftlich gibt es da Grenzen: Die Fabriken sind teuer, und der Bedarf an Impfungen wird - hoffentlich - rapide sinken, wenn Covid weltweit unter Kontrolle ist. Aus Managersicht ist es Verschwendung, Werke hochzuziehen, die schon in zwei Jahren nicht mehr gebraucht werden. Doch genau solche Werke sind jetzt notwendig, um genug Vakzin für unterversorgte Staaten zu erhalten.

Eine Patentfreigabe kostet den Staat nichts

Die EU, die USA und andere reiche Länder sollten daher den Bau dieser sinnvollen Überkapazitäten fördern - gerne direkt in Afrika. Auf dem Kontinent unterstützt zum Beispiel die EU den Aufbau von Vakzin-Fabriken; Biontech macht mit.

Daneben sollten die wohlhabenden Länder mehr Impfstoff an arme Staaten spenden - oder Finanzhilfen überweisen, so dass die Regierungen das Vakzin selbst ordern können. Solche Geldspritzen sind auch nötig, damit arme Länder die Infrastruktur schaffen, um die Mittel gut gekühlt verteilen und spritzen zu können. Die Initiative Covax, die Vakzine an arme Staaten spendet, hat gerade Probleme, ausreichend vorbereitete Abnehmer zu finden.

All das würde in den reichen Staaten viel Steuerzahlergeld kosten - anders als die Freigabe von Patenten. Aber die Milliarden wären exzellent angelegt.

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