Süddeutsche Zeitung

Corona-Hilfen:NRW-Steuerfahnder werden bei Betrugsverdacht ausgebremst

Die Oberfinanzdirektion des Landes verweigert den Ermittlern den Zugriff auf wichtige Finanzdaten. Systematischer Betrug lässt sich so gar nicht erst erkennen.

Von Jörg Schmitt

Es ist im Kampf gegen Corona der Kampf gegen die zweite Welle. Nicht gegen höhere Fallzahlen, sondern gegen Betrug im Umgang mit Steuergeld. Landauf landab steigt die Zahl der Verdachtsfälle im Zusammenhang mit den staatlichen Corona-Soforthilfen. Staatsanwaltschaften im ganzen Bundesgebiet haben 500 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Tendenz steigend. Allein in Nordrhein-Westfalen, so schätzen Fahnder, kommen täglich bis zu 30 neue Fälle hinzu. Für die Ermittler ist es ein Kampf an mehreren Fronten, wie sich inzwischen zeigt. Gegen die Kriminellen, gegen eine mangelhafte Ausstattung, und manchmal auch gegen die eigene Finanzverwaltung.

Weil die Subventionsbetrüger häufig nur über gefälschte oder falsche Steuer- oder Umsatzsteuer-Indentifikationsnummern zu entlarven sind, würden viele Staatsanwälte und Kriminalbeamte gerne ihre Kollegen von der Steuerfahndung (Steufa) um Hilfe bitten. Doch die sind, zumindest in Nordrhein-Westfalen, in der vergangenen Woche von ihrer eigenen Führung ausgebremst worden. Die Oberfinanzdirektion (OFD) sieht in der Amtshilfe ihrer Fahnder nämlich einen Verstoß gegen das Steuergeheimnis. Das zumindest geht aus einem OFD-Schreiben an die Spitze der Steuerfahndung in Köln hervor. Der Betreff lautet: "Offenbarungsbefugnis bei der Anfrage der Staatsanwaltschaften an Steuerfahndungsämter wegen potenzieller Missbrauchsfälle im Zusammenhang mit der NRW-Soforthilfe." In dem Schreiben listet die Mittelbehörde ihre Bedenken gegen die Amtshilfe der Steufa auf.

Personenbezogene Finanzdaten wie die Steuer- oder Umsatzsteuer ID seien durch das Steuergeheimnis geschützt, so die OFD. Auskünfte an die Staatsanwaltschaft seien beim Verdacht von Subventionsbetrug nur dann zulässig, wenn "ein zwingendes öffentliches Interesse an der Offenbarung besteht". Die OFD glaubt, dass Steuerdaten nur dann an die Ermittler gegeben werden dürfen, wenn bei Betrugsfällen systematisch unter Einsatz großer "krimineller Energie" Daten redlicher Antragssteller zu deren wirtschaftlichen Nachteil abgegriffen wurden. Etwa bei gefakten Seiten für Soforthilfe-Anträge. Der dabei mögliche Schaden, so die OFD weiter, müssen geeignet sein, "das Vertrauen der Allgemeinheit auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden erheblich zu erschüttern." Im Klartext: Die OFD hängt die Latte ziemlich hoch. Bei "einfach gelagerten Betrugsverdachtsfällen", in denen etwa der Antragsteller "unzutreffende Angaben in eigener Sache gemacht hat", muss die Steufa außen vor bleiben.

Die Regelung der OFD sei "völlig praxisfern", klagen Ermittler. Systematischer Betrug sei meist erst dann zu erkennen, wenn sich bei mehreren mutmaßlichen "Einzelfällen" ein ähnliches Muster abzeichne. Hinzu kommt, dass viele Staatsanwälte und Polizei in Steuerfragen oft kein Expertenwissen haben. "Woher sollen die Kollegen auch den Unterschied zwischen Steuernummer, Steuer-ID oder Umsatzsteuer-ID kennen", fragt ein Steuerfahnder.

"Als ob ein Kfz-Mechaniker einen Motor mit einem Kochlöffel reparieren soll"

Die Ermittler könnten die Hilfe der Steufa gut brauchen. So wie bei einem geplanten Millionenbetrug, bei dem Dutzende von Anträgen auf ein einziges Konto ausbezahlt werden sollten. Alle angeblichen Antragsteller gaben dabei ihre Umsatzsteuer-Nummer an. Die passte aber mit deren sonstigen Daten nicht zusammen. Die Ermittler wären in diesem Falle machtlos. Sie haben, anders als die Steufa, keinen direkten Zugriff auf die wahren Personen hinter den Steuer- oder Umsatzsteuer IDs. "Das ist, als ob ein Kfz-Mechaniker einen Motor mit einem Kochlöffel reparieren soll", klagt ein Polizist.

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SZ vom 15.05.2020/mxh
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