Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Staat zahlt Corona-Hilfen an Steuer-Trickser

Tausende Unternehmen wollen während der Corona-Krise Hilfe vom Staat. Wie es um deren Steuermoral steht, wird nicht geprüft.

Von Frederik Obermaier, Klaus Ott, Meike Schreiber, Jan Willmroth und Nils Wischmeyer

Es sind vermeintlich kleine Tricks: Mal werden Gewinne eines Konzerns auf eine Tochtergesellschaft in Malta oder den Niederlanden verbucht, mal gehören deutsche Immobilien eines eigentlich deutschen Unternehmens zumindest auf dem Papier einer Firma in Luxemburg. Oft sind die Steuertricks legal, manchmal sind sich selbst Experten nicht sicher, doch eines gilt als sicher: dem deutschen Staat entgehen dadurch jedes Jahr Milliardenbeträge. Geld, das jetzt in der Corona-Krise fehlt.

Vor allem große, international agierende Unternehmen aus diversen Branchen nutzen solche Tricks oder haben dies zumindest sehr exzessiv getan. Und jetzt, da Corona große Teile der Wirtschaft lähmt, gehen reihenweise Hilfsanträge bei Bund und Ländern ein. Auch Konzerne, die bislang kerngesund waren, sind vor den Folgen des Virus nicht gefeit und begehren Bürgschaften, Garantien oder Milliardenkredite der Staatsbank KfW. Geprüft wird von den Behörden viel. Aber eines wird kaum untersucht bei der Gewährung von öffentlichen Mitteln, wie eine Umfrage von SZ, NDR und WDR bei den Bundesländern ergeben hat: wie es die Unternehmen mit der Steuermoral halten.

Wer in NRW Probleme mit dem Fiskus hat, kann keine Landesbürgschaft beantragen

Für die meisten Ministerien in Deutschland ist das kein Thema, anderswo schon. Dänemark und Polen haben angekündet, dass sie Unternehmen mit Sitz in Steueroasen keine Corona-Hilfen auszahlen wollen.

In Dänemark ist das Bestandteil einer Vereinbarung, die am Wochenende alle im Parlament vertretenen Parteien unterzeichnet haben. Wirtschaftsminister Simon Kollerup von den Sozialdemokraten geht es dabei um Grundsätzliches. "Ich denke, es ist ein vernünftiges Prinzip, dass Sie nicht an einem Tag die dänische Gesellschaft um Hilfe bitten können, um ihr am nächsten Tag den Rücken zu kehren und das Geld in ein Land zu schicken, das auf der EU-Liste der Steueroasen steht", sagt er. "Das ist einfach nicht fair." Notorische Steuervermeider sollen damit von der Staatshilfe abgeschnitten werden. Wie streng Dänemark dabei vorgehen will, ist zwar noch offen. Die Botschaft aber wird deutlich: Steuervermeidung und Staatshilfe, das verträgt sich nicht.

Ähnlich sehen es Grüne und Linke im Bundestag. "Wenn Konzerne Staatshilfen beantragen, sind sie dem Steuerzahler Rechenschaft schuldig. Die Hand aufhalten, aber in Steueroasen Gewinne parken, geht nicht", sagt der Linken-Politiker Fabio De Masi. "Es sollte stutzig machen, wenn jetzt zum Teil besonders diejenigen Unternehmen am lautesten nach Hilfe rufen, die sich vor der Krise durch aggressive Steuervermeidung um ihren Beitrag zum Gemeinwohl gedrückt haben", sagt Lisa Paus, Obfrau der Grünen im Finanzausschuss. Ihre Fraktion beantragte am Mittwoch, Unternehmen, die zur Steuervermeidung in einer Steueroase registriert sind, keine Staatshilfen zu gewähren.

Die Realität ist derzeit: Der Staat nutzt die immensen Corona-Hilfen gerade nicht, um mit strengen Auflagen endlich konsequent vorzugehen gegen eine unselige Praxis, wie sie manche Konzerne noch heute pflegen: Gewinne privatisieren, Verluste vergemeinschaften. Dabei gäbe es Möglichkeiten dazu. Etwa beim Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz des Bundes, kurz WStFG. Fünf Buchstaben, die für 600 Milliarden Euro stehen. Mit finanziellen Garantien, Staatsbeteiligungen und Krediten in diesem Umfang will die Bundesregierung möglichst so viele Unternehmen vor der Corona-Pleite bewahren. Firmen, denen so geholfen wird, müssen laut WStFG-Gesetz "die Gewähr für eine solide und umsichtige Geschäftspolitik bieten". Das Gesetz nennt als mögliche Auflagen etwa eine Begrenzung der Vorstandsbezüge.

Denkbar wäre grundsätzlich auch, die Nutzung von Steuerschlupflöchern zu verbieten. Doch bislang finden solche Ideen in Berlin keine Mehrheit. Wer Ansätze dieser Art finden will, muss nach Nordrhein-Westfalen schauen. Im Regelwerk für Bürgschaften des Landes findet sich eine Besonderheit. Unternehmen, die Unterstützung wollen, müssen "vertrauenswürdig" sein, ist da zu lesen. Von einem Antragsteller wird erwartet, dass er "seinen steuerlichen Verpflichtungen nachkommt". Die Fassung der Bürgschaftsregeln, in der das steht, stammt aus dem Jahr 2016, als in NRW noch SPD und Grüne regierten. Das heute vom FDP-Politiker Andreas Pinkwart geleitete Wirtschaftsministerium in Düsseldorf zieht daraus einen eindeutigen Schluss: Firmen, die "ungeregelte Rückstände" beim Fiskus hätten oder gegen die wegen Steuervergehen ermittelt werde, könnten grundsätzlich keine Landesbürgschaften beantragen. Das teilte das Ministerium auf Anfrage mit.

Ähnlich verhält es sich in Thüringen. Das Finanzministerium erklärte, dass "die Erfüllung steuerlicher Pflichten im Rahmen des Bewilligungsverfahrens von Bürgschaften und Garantien des Freistaats Thüringen berücksichtigt" werde. Das Wirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern erläutert, Antragsteller für Bürgschaften müssten bestätigen, "dass kein Steuerstrafverfahren anhängig ist".

Das ist eigentlich schon alles, was es in Deutschland dazu gibt. Dabei entgehen dem deutschen Fiskus pro Jahr rund 18 Milliarden Euro durch die Nutzung von Steuerschlupflöchern. Der Großteil davon fließt laut einer Berechnung der Universitäten Berkeley und Kopenhagen nach Luxemburg ab, wo viele Unternehmen vorteilhafte Steuerdeals geschlossen haben, um ihre Abgaben zu drücken. Wenn man die Maßstäbe von Nichtregierungsorganisationen wie dem Tax Justice Network anlegt, dürften etliche Konzerne hierzulande in Argumentationsnöte kommen.

Auf der Rangliste der intransparentesten Steueroasen des Tax Justice Network stehen ganz oben unter anderem Länder wie die USA, Luxemburg, die Schweiz, Hongkong oder die Niederlande. Und viele deutsche Großunternehmen haben in mindestens einem dieser Länder ein Tochterunternehmen. Dass solche Firmen jetzt von Staatshilfen ausgeschlossen werden, um den Preis von Pleiten und Arbeitslosigkeit, verlangt derzeit fast niemand.

"Wir sollten dies als Möglichkeit sehen, ein kaputtes System zu reparieren."

Alex Cobham, Geschäftsführer des Tax Justice Network, schlägt einen Mittelweg vor: Staatshilfen sehr wohl auch für Unternehmen, die in Steueroasen aktiv sind. Dies allerdings unter einer Bedingung: die sofortige Veröffentlichung, wie viele Steuern an jedem einzelnen Unternehmensstandort gezahlt werden. Verbunden mit dem Versprechen, alle Tochterfirmen zu schließen, die lediglich die Steuerlast verringern sollen. "Wir sollten dies als Möglichkeit sehen, ein kaputtes System zu reparieren", sagt Cobham.

Dazu müssten diejenigen, die über Hilfsanträge entscheiden, aber erst einmal wissen, was manche Konzerne so treiben. Ein Problem, denn dem könnte das Steuergeheimnis entgegen stehen. Das Finanzministerium in Brandenburg etwa sagt, der Fiskus dürfe der landeseigenen Investitionsbank keine Angaben machen, wie sich Unternehmen verhielten. Gewinnverlagerungen ins Ausland könnten daher bei der Gewährung von Staatshilfen keine Rolle spielen. Und bei laufenden Steuerstrafverfahren gelte die Unschuldsvermutung.

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Das wiederum ist auch der Schwachpunkt bei der rigiden Haltung des Wirtschaftsministeriums in NRW, das bei aktuellen Ermittlungen keine Landesbürgschaften gewähren will. Eines der Kernelemente in einem Rechtsstaat ist schließlich, dass vermeintliche Missetäter nicht vorverurteilt werden dürfen. Auch sonst sind noch viele Fragen offen, auch in Dänemark. Das Land im Norden orientiert sich bei seinen Corona-Hilfen an der schwarzen Liste der EU, die derzeit nur zwölf Steueroasen umfasst: Die Kaiman-Inseln, Amerikanisch-Samoa, Fidschi, Guam, Oman, Palau, Panama, Samoa, die Seychellen, Trinidad und Tobago, die Amerikanischen Jungferninseln und Vanuatu.

Die wichtigsten Steueroasen allerdings - vor allem jene in Europa - fehlen auf der schwarzen Liste der EU. Unklar ist auch, welches Kriterium die dänischen Behörden anlegen wollen: Reicht ein Tochterunternehmen in einer der genannten Steueroasen aus, um einen gesamten Konzern für Staatshilfen zu disqualifizieren?

Thomas Eigenthaler, der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, rügt die grundsätzliche Herangehensweise in Deutschland: "Die Corona-Hilfe soll schnell und unbürokratisch erfolgen, das heißt gleichzeitig: Man schaut nicht so genau hin, wie man eigentlich sollte." Wenn Firmen jahrelang Geld in Steueroasen verschoben haben und jetzt aber Staatshilfe beanspruchen wollen, dann ist das für ihn vor allem eines: "ein moralisches Problem".

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SZ vom 23.04.2020/mxh
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