Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Aktivisten fordern Krisen-Grundeinkommen

Tonia Merz verfasst jetzt Briefe statt Schnittmuster: Die Modedesignerin und prominente Mitstreiter fordern die Politik auf, allen ein existenzsicherndes Einkommen auszuzahlen.

Von Lea Hampel

Wenn Tonia Merz dieser Tage ein Korsett einpackt, legt sie manchmal ein Extra dazu: eine passende Maske für den Mund aus dem gleichen Stoff. Die Produkte könnten gegensätzlicher nicht sein, doch Masken sind neuerdings eine wichtige Einnahmequelle für die Designerin. Sie verkauft sie wesentlich häufiger als ihr eigentliches Produkt, Korsetts.

Die Erlöse reichen für einen Teil der Gehälter ihrer Mitarbeiterinnen, für die Miete und Materialkosten, aber kaum für die Modedesignerin selbst. "Eigentlich müsste ich Grundsicherung beantragen", sagt sie. Stattdessen hofft sie auf etwas anderes: Sie und andere Künstler, Handwerker und Aktivisten haben diese Woche einen offenen Brief an Bundestag, Arbeits- und Finanzministerium sowie das Bundeskanzleramt veröffentlicht und fordern ein Krisengrundeinkommen. "Wie schaffen wir es, dass niemand in dieser beispiellosen Krise ohne ein existenzsicherndes Einkommen bleibt?", schreiben die Initiatoren. Merz' Name steht an erster Stelle, dahinter Prominente wie Musikerin Judith Holofernes, Autorin Kübra Gümüşay, dm-Gründer Götz Werner und GLS-Bank-Vorstand Thomas Jorberg.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Merz, 46 Jahre, kannten lange vor allem Menschen, die in aufregenden Outfits in der Berliner Clubszene unterwegs waren. Zwischen 400 und 700 Euro kosten ihre Korsetts, ihre Kunden kommen aus ganz Deutschland, sie beschäftigt vier Mitarbeiterinnen. Seit Menschen nicht mehr anreisen können, um ein Korsett anzuprobieren, und Messen ausfallen, auf denen sie Aufträge erhielt, sind die Umsätze eingebrochen. Auch Opernhäuser und andere Bühnen, die ebenfalls bei ihr einkauften, pausieren. In den 19 Jahren, die sie ihr Geschäft betreibt, hat sie keine Krise diesen Ausmaßes erlebt. "Von der Finanzkrise beispielsweise haben wir viel weniger mitbekommen", sagt sie. Nun hat sie zwar Kurzarbeit angemeldet und bekommt Soforthilfe. Aber es reicht nicht - und das hat sie früh geahnt.

Merz hatte bis vor Kurzem nur "Basiswissen", sagt sie

Was auch der Grund ist, warum sie mittlerweile über den Kreis der Korsettbegeisterten hinaus bekannt ist, "eine Art Greta des Grundeinkommens" geworden ist, wie sie selbst witzelt. Mitte März, rund vier Stunden nach der ersten Pressekonferenz zu den wirtschaftlichen Folgen von Corona, hat Merz eine Petition auf der Digitalplattform Change.org gestartet. "Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise" lautete die und hat mittlerweile eine halbe Million Unterschriften.

Zum Grundeinkommen selbst hatte Merz bis dahin nur "Basiswissen", sagt sie. Das Konzept war ihr sympathisch, sie war auf der Plattform "Mein Grundeinkommen" registriert, wo ein Berliner Verein Geld verlost. Aber weiter befasst hatte sie sich damit nicht. Die Petition startete sie aus einem spontanen Einfall heraus. Anfangs habe sie gezögert, ob es Sinn ergebe, ein Grundeinkommen für alle zu fordern, und nicht nur für die, die es brauchen. Sie entschied sich für alle. Ihre Überlegung dahinter: "Die Ämter wären von den unzähligen Prüfvorgängen überfordert, die Konjunktur wird lange einbrechen, und auf diese Weise bleibt das Geld im System", sagt sie. "Ich hoffe auch, dass die, die das Geld nicht brauchen, es an Stellen ausgeben würden, wo es gebraucht wird."

Diese Hoffnung teilen offenbar viele Menschen. Es gibt zwei weitere Change-Petitionen, zudem hat die langjährige Aktivistin Susanne Wiest eine Petition an den Bundestag mit einer Rekordzahl an Unterzeichnern eingereicht. Im offenen Brief finden nun alle zusammen - und fordern, die Bundestagspetition und das gesamte Thema zu verhandeln, wenn am 15. Juni der Petitionsausschuss das nächste Mal tagt. Merz hofft, dass das die Debatte belebt, auch über die Krise hinaus. "Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4900168
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.