Ladenöffnungen:Der Quadratmeter-Streit

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Ab Montag können viele Läden wieder öffnen. Allerdings müssen sie strenge Vorschriften einhalten. (Foto: Christoph Soeder/dpa)
  • Ab Montag werden die Beschränkungen im Einzelhandel schrittweise gelockert.
  • Doch die Frage, welche Geschäfte öffnen dürfen, hatte zuvor zu heftigen Diskussionen zwischen den Landeschefs geführt.
  • Sie fanden zwar einen Kompromiss - doch der bedeutet nicht, dass ab Montag überall die gleichen Regeln für Einzelhändler gelten.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Eines ist klar. Mit dem Einkaufen wird es vom kommenden Montag an einfacher werden, und zwar bundesweit. Schlicht, weil mehr Läden als bisher aufmachen dürfen. "Geschäfte mit einer Verkaufsfläche bis 800 Quadratmeter können wieder öffnen", so haben es Bundesregierung und Bundesländer am Mittwochabend beschlossen. Und darüber hinaus Auto- und Fahrradhändler sowie Buchhandlungen jeder Größe. Einzige Voraussetzung: Es müssen strenge hygienische Vorschriften eingehalten - und überwacht werden.

Theoretisch dürfen jetzt alle Läden von der Größe eines mittleren Supermarktes wieder öffnen. Wer aber glaubt, man könne demnächst von Rostock bis Rosenheim gleichermaßen gut einkaufen, der irrt sich gewaltig.

Sicher, 800 Quadratmeter klingt einerseits nach einer eindeutigen Vorgabe. Andererseits aber kann im föderal organisierten Deutschland fast alles von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich interpretiert werden. Konkretes Beispiel: Was bedeuten 800 Quadratmeter für Shoppingcenter? Man kann das so sehen, dass diese Flächenbegrenzung für jedes einzelne Ladengeschäft eines Shoppingcenters gilt. Dann könnte etwa die Mall of Berlin am Potsdamer Platz in der Hauptstadt wieder aufsperren. Man kann die Vorgabe aber auch auf die überdachte Bruttoverkaufsfläche beziehen. Dann bliebe die Mall geschlossen. Die Nachfrage am Donnerstag bei der Bundesregierung ergibt: Die Vorgabe ist bewusst so gefasst worden, dass sie unterschiedlich ausgelegt werden kann in den einzelnen Ländern. Das Land Berlin wird das entscheiden müssen.

Der Kompromiss spiegelt die Stimmung der Ministerpräsidenten in der gemeinsamen Videoschalte am Mittwochnachmittag wider. Es gab Ängstliche und Pragmatische, Stille und Ungeduldige. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) beispielsweise waren besonders zögerlich. Teilnehmer berichten, Kretschmann habe eindringlich gewarnt, dass jegliche Lockerungen die Gefahr verstärkten. Gerade kleine Kinder könnten das Virus übertragen. Müller sorgte sich um lange Menschenschlangen, die entstehen, wenn alle mittelgroßen Läden in der Hauptstadt, etwa in seinem Kiez in der Schlossstraße in Steglitz, wieder öffneten. Die Regierungschefs von Bremen, Sachsen, Niedersachsen und Brandenburg seien eher pragmatisch unterwegs gewesen - und kompromissbereit.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) habe dagegen größere Lockerungen gefordert - und recht unwirsch reagiert, als sein Parteifreund Peter Altmaier anmerkte, dass es vielleicht doch besser sei, nur kleinen Läden bis 400 Quadratmetern Fläche die Wiedereröffnung zu erlauben. Dass er solche Bedenken ausgerechnet vom Bundeswirtschaftsminister höre, der doch die Wirtschaft fördern solle, das könne er nicht glauben, polterte Laschet Teilnehmern zufolge. Und weil er sich regelrecht in Rage redete, habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich eingeschaltet. Es gebe gar keinen Grund zur Aufregung. Der Peter habe ja schon den 800 Quadratmetern zugestimmt, nämlich am Vormittag, als das Corona-Kabinett getagt und die Flächenbegrenzung beschlossen habe, versuchte sie zu schlichten. Im Übrigen solle man bedenken, dass man im Video jeden anderen Kollegen gut sehen könne, auch bei geschlossenem Mikro. Was sie damit meinte? Videokonferenzen sind eben auch für Ministerpräsidenten neu.

Wie aber war es überhaupt zu den 800 Quadratmetern als Flächenbegrenzung gekommen? Noch bevor sich am Mittwochmorgen das Corona-Kabinett traf, hatten sich Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) abgestimmt. Merkel wollte Geschäfte nur bis 400 Quadratmeter Fläche öffnen. Scholz dagegen verlangte deutlich mehr - unter strengen Hygieneauflagen. Sein Argument: In großen Läden gebe es mehr Platz, um den Sicherheitsabstand einzuhalten. Merkels Gegenargument: Im Grunde genommen gehe es nicht um die Fläche eines Geschäfts, sondern um den Weg dahin. Also: Würden die ganz großen Shoppingcenter öffnen, strömten bald massenhaft Bürger dahin, die womöglich noch Busse und Bahnen überfüllten. Der Weg zum Laden sei das Problem, nicht der Laden selbst.

Merkel und Scholz hatten sich in ihrer Unterredung schließlich auf 800 Quadratmeter geeinigt. Weil das laut Baurecht die Schwelle ist, ab der Läden als großflächige Einzelhandelsbetriebe gelten. Das Corona-Kabinett stimmte der Flächenbegrenzung zu. Sie findet sich auch in den offiziellen Beschlüssen wieder - aber eben ohne Erläuterungen, was den einzelnen Ländern den Spielraum gibt, sie individuell auszulegen.

Genau dies aber schafft am Donnerstag einige Verwirrung unter den Einzelhändlern. Diese Grenze sei "willkürlich" und "nicht nötig", kritisiert Brigitte Nolte, Hamburger Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. Sie führe zu Rechtsunsicherheiten. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) teilte mit, man werde nicht zulassen, dass Geschäfte, die größer seien, sich auf eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern beschränkten und dann die Pforten öffneten: "Das werden wir nicht mitmachen." Und dann sind da noch zum Beispiel die Möbelhändler. Die großen Häuser dürfen nicht öffnen und protestierten gegen die Ungleichbehandlung.

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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