Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:Corona-Kahlschlag wird in Städten sichtbar

Wegen der Pandemie steht in den Einkaufsmeilen jedes fünfte Ladenlokal leer - größter Verlierer sind Modeketten. Die Ladenmieten stürzen auf das Niveau von 2010.

Von Michael Kläsgen

Welch gravierende Folgen die Corona-Krise und der fortschreitende Onlinehandel für die Innenstädte hat, ist nun erstmals auch durch Zahlen verschiedener Institute und Verbände belegbar. Die Leerstandsquote hat die kritische Marke von 20 Prozent in vielen Städten und Gemeinden laut dem Fraunhofer-Institut IAO deutlich überschritten. Stationäre Modehändler haben es nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland (HDE) besonders schwer. Im Vergleich zu 2019 werde das Umsatzminus dieses Jahr voraussichtlich bei 37 Prozent liegen. Und das sei noch nicht einmal das schlimmste Szenario. HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth fügte noch hinzu, er sehe es als "kritisch" an, dass der stationäre Modehandel überhaupt wieder das Vorkrisen-Niveau erreichen werde. Es gebe "eine deutliche Verschiebung der Konsumstruktur" - bei der Mode, aber auch anderswo eindeutig hin zu Online.

Das hat weitreichende Konsequenzen für den Wert von Handelsimmobilien und die Höhe der Mieten auch in den Bestlagen von Großstädten. Mode nahm in den Einkaufsmeilen bislang mit Abstand den meisten Platz ein. Große internationale Ketten galten über Jahrzehnte hinweg als Publikumsmagneten. Doch mit den verschiedenen Lockdowns, die laut Genth in Deutschland die längsten in Europa waren, sanken auch die Mieten. Laut dem Immobiliendienstleister CBRE lagen die Spitzenmieten für Neuanmietungen und Verlängerungen in den sechst größten deutschen Städten Ende 2020 etwa 20 Prozent unter dem Niveau von Ende 2019. Frank Emmerich, Leiter Einzelhandel bei CBRE Deutschland sagt, dass man bei neuen Vertragsabschlüssen nun in etwa auf dem Mietpreisniveau von 2010 liege. Für dieses Jahr rechnet er mit einer Stabilisierung des Niveaus.

Jetzt sind die Lebensmittelhändler attraktiv

Internationale Modeketten haben infolge der Pandemie als stabile Ankermieter in Shopping-Centern weitgehend ausgedient. Investoren orientieren sich bereits um. "Der Trend bei gemischt genutzten Gewerbeimmobilien geht eindeutig hin zu jenen mit Lebensmittelgeschäften", sagt Niclas Karoff, Vorstandsvorsitzender der Hamborner Reit AG, eines Duisburger Gewerbeimmobilien-Spezialisten. "Denn mit diesen steigt auch die Kundenfrequenz."

Statt Ketten wie Primark oder H&M, ist daraus zu schließen, suchen Investoren eher Immobilien mit einem Lebensmittelhändler wie Aldi oder Rewe. Das wird nicht nur Einkaufscenter und Malls verändern, sondern langfristig den Charakter der Innenstädte. Natürlich wird die Monokultur Mode nach Ansicht der Fachleute nicht durch eine Monokultur Lebensmittel ersetzt. Zum einen ist der Hunger der Menschen nicht unendlich und auch die Expansionsmöglichkeiten von Supermärkten sind begrenzt, da Mietverträge in der Regel etwa zehn Jahre lang gelten, was den Wandel verlangsamt.

Aber dass die heutigen Flächen von sogenannten Non-Food-Händlern künftig immer häufiger als Hotels, Büros, Co-Working-Spaces, Gaststätten oder für Sport und Spiel genutzt werden, davon gehen so gut wie alle Experten aus. Das Fraunhofer-Institut sieht in dieser Veränderung eher eine Chance als eine Gefahr. "Der Konsum wird im positiven Sinn zurückgehen", sagt Claudius Schaufler, Leiter von Smart Urban Environments, "es wird viel mehr geben als nur den Einzelhandel. Ein viel größeres Angebot, das weit über den Konsum hinaus geht." Voraussetzung sei, dass die Städte flexibler mit Flächen umgehen. Denn die Digitalisierung schreite viel schneller voran, als sich die Innenstädte veränderten.

Stefan Müller-Schleipen, der Mitinitiator der Initiative "Die Stadtretter", prophezeit etwa, dass auf Dauer keine Zehn-Jahres-Mietverträge mehr abgeschlossen werden. Sie stünden der gewünschten Flexibilität in den Zentren entgegen. Er spricht sich für eine Art "Flächen-Tinder" aus, eine Online-Plattform, auf der zusammenfindet, wer sich für einen gewissen Lebensabschnitt binden möchte - so wie auf der mobilen Dating-App.

Schlecht für die Umsätze im Einzelhandel muss das nicht unbedingt sein. Im ersten Corona-Jahr 2020 hatte die gesamte Branche ein überraschendes Plus von 5,7 Prozent verzeichnet. Vor allem Lebensmitteleinzelhändler nahmen viel ein, weil sie auch andere Sachen als Lebensmittel verkauften, während die anderen Geschäfte schließen mussten. Die Umsätze stiegen auch, weil die Baumärkte sich über eine neu entdeckte Lust der Menschen im Home-Office am Heimwerken freuen durften. Und weil der Onlinehandel boomte.

Kleine Städte haben es leichter als große

Dieses Jahr rechnet der HDE trotz aller Widrigkeiten im ersten Halbjahr ebenfalls mit einem Zuwachs, diesmal von immerhin 1,5 Prozent. Die Umsätze verteilen sich allerdings höchst unterschiedlich. In den derzeit laufenden Tarifverhandlungen mit Verdi will der HDE deshalb, dass diese Differenzierung berücksichtigt wird. Die Gewerkschaft lehnt das ab.

Genth ist übrigens davon überzeugt, dass es kleine und mittelgroße Städte leichter haben werden, die schwierige Zeit der Pandemie hinter sich zu lassen. Für Großstädte sei es jedenfalls schwieriger, weil diese weiterhin darunter leiden werden, dass beispielsweise Touristen aus dem Ausland erst einmal fernbleiben werden. Davon seien vor allem auch die Einkaufsmeilen in Metropolen wie Berlin und München betroffen. Der HDE-Chef zeigte sich zwar verhalten optimistisch, sagte aber auch: "Die Corona-Krise wird für den Einzelhandel noch lange nicht vorbei sein."

Ganz zu schweigen vom weiter wachsenden Onlinehandel, den diverse Studien auch für die kommenden Jahre prognostizieren - und auf den sich die Innenstädte ebenfalls werden einstellen müssen.

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