Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:In der Krise ist keiner gleich

500 Seiten ist er dick, der Report zur Ungleichheit in Deutschland. Er zeigt: Die Möglichkeiten, der Pandemie zu trotzen, hängen stark von Einkommen und Bildungsstand ab.

Von Henrike Roßbach, Berlin

An diesem Freitag wird es genau ein Jahr her sein, dass Kanzleramt und Ministerpräsidenten den ersten Lockdown für Deutschland beschlossen haben. Damals hatten nicht wenige den Eindruck, dass die Pandemie ein großer Gleichmacher sei. Saßen plötzlich nicht Millionen von Beschäftigten gleichermaßen im Home-Office, mit Schul- und Kitakindern im gleichen Raum? Waren Toilettenpapier und Trockenhefe nicht für alle knapp?

Dass vor dem Virus alle gleich wären, entpuppte sich aber ziemlich schnell als Illusion. Abermals unter Beweis stellten das am Mittwoch Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, zusammen mit dem Statistischen Bundesamt und dem Soziooekonomischen Panel. Ihr neuer Datenreport zur Ungleichheit im Land, insgesamt mehr als 500 Seiten dick, zeigt in einem Corona-Kapitel, dass die Krise bestehende Ungleichheiten eher verstärkt als egalisiert hat.

Empirische Sozialforschung und amtliche Statistik hätten sich verbündet für diesen Report, sagte die Präsidentin des WZB, Jutta Allmendinger. Sie sagte aber auch, das man letztlich erst etwas später wirklich werde sehen können, wie die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen aus der Krise herauskommen.

Der Datenreport zeigt die Vervierfachung des Seifenabsatzes und den 30-Prozent-Rückgang der Mobilität im ersten Lockdown. Vor allem aber zeigt er, wie sehr Leben, Arbeiten und Lernen in der Krise von Einkommen und Bildungsstand abhängen. So arbeiteten etwa 41 Prozent der Menschen mit hoher Schulbildung Ende März vergangenen Jahres von zu Hause aus. Unter denen mit niedriger Bildung waren es nur knapp 13 Prozent. "Arbeit von zu Hause stellt sich dabei als Privileg der oberen Bildungsgruppen dar", heißt es in dem Report.

Freistellungen und Arbeitslosigkeit wiederum trafen "insbesondere Personen, die bereits vor Einsetzen der Pandemie einen niedrigen Verdienst hatten". Kurzarbeit dagegen war eher in den mittleren Einkommensschichten bedeutsam, weil Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ein sozialversicherungspflichtiger Job ist.

"Corona wirft Licht auf die unterschiedlichen Lebensverhältnisse."

Von Ende März bis Anfang Juli berichteten dem Report zufolge 17 Prozent der an- und ungelernten Arbeiter und knapp 14 Prozent der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten, bei Niedriglohnempfängern sogar fast jeder Fünfte. Bei höheren Bildungsabschlüssen waren es dagegen nur rund neun Prozent. Zudem waren ein Viertel der Alleinerziehenden und ein Fünftel der Selbstständigen von finanziellen Problemen wegen der Pandemie betroffen. 15 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund berichteten von pandemiebedingten Geldproblemen; ein doppelt so hoher Anteil wie in der Gruppe ohne Migrationshintergrund.

"Corona wirft Licht auf die unterschiedliche Lebensverhältnisse", sagte Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Die Möglichkeiten, der Krise zu trotzen, hänge stark von den materiellen Möglichkeiten ab. Sichtbar geworden sei das auch an den unterschiedlichen "digitalen Voraussetzungen" in den Familien. Dem Datenreport nach haben Familien mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 5000 bis 18 000 Euro im Schnitt vier Computer zur Verfügung, in der untersten Gruppe mit Einkommen von weniger als 2000 Euro waren es nur zwei. Destatis-Bildungsreferent Hans-Werner Freitag sagte, dass der Bildungserfolg nach wie vor stark vom familiären Hintergrund abhänge, der Bildungsabschluss der Eltern sei entscheidend.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, nannte den Datenreport alarmierend. In einer ersten Prognose könne man sagen, "die bundesdeutsche Gesellschaft ist durch Corona ungleicher geworden". Gerade im Bildungsbereich sehe man, dass ärmere Kinder beeinträchtigt seien; da fehle es im Homeschooling an der technischen Ausstattung und Eltern könnten weniger gut helfen - auch, weil sie seltener von zu Hause aus arbeiten könnten. "Die Krise wirkt nicht als Gleichmacher, sondern als Vergrößerungsglas", so Krüger.

Allmendinger kritisierte, dass man schon vor Corona hätte abschätzen können, welche Kinder welcher Eltern in welchen Regionen Hilfe brauchen würden. Etwa durch persönliches Coaching oder Nachhilfe. Diese Hilfen aber habe man ihnen nicht gewährt.

Beruflich schadet es Frauen eher, Mutter zu werden

Reaktionen kamen auch aus der Politik. SPD-Fraktionsvize Katja Mast warnte, dass aus der verstärkten Ungleichheit durch die Pandemie "keine dauerhafte Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt" werden dürfe. Die sozial- und arbeitspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Sven Lehmann und Wolfgang Strengmann-Kuhn forderten einen schnellen Corona-Zuschuss in der Grundsicherung und eine bessere Absicherung von Solo-Selbständigen und Kulturschaffenden.

Neben den Auswirkungen der Pandemie untersucht der Datenreport auch generelle Ungleichheitsphänomene, auch zwischen Männern und Frauen. Ein Schlaglicht: Den Untersuchungen nach gibt es nach wie vor ein sehr starkes Stigma für Mütter, die trotz kleiner Kinder in Vollzeit arbeiteten. Fast 60 Prozent der Männer und Frauen zwischen 24 und 43 Jahren glauben, dass die Gesellschaft einer Frau mit zweijährigem Kind und Vollzeitjob abspreche, eine "gute Mutter" zu sein. Von den Befragten selbst sehen das aber nur 17 Prozent so - die wahrgenommene Norm ist offenbar stärker als die tatsächliche Haltung der Gesellschaft.

Nach wie vor ist es außerdem so, dass es Frauen beruflich eher schadet, Mutter zu werden, als es Männern schadet, Väter zu werden. So steigt das messbare "Berufsprestige" im Laufe des Erwerbslebens bei Vätern, kinderlosen Männern und kinderlosen Frauen ähnlich stark an. Lediglich bei Müttern gibt es einen deutlichen Knick, danach stagniere das Berufsprestige vollständig, so Uta Brehm vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. "Daran erkennt man, dass eine Familiengründung ein sehr starker Einschnitt darstellt, der kaum wieder aufgearbeitet werden kann."

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