Corona-Bonds:Und jetzt alle

Die Zustimmung zu gemeinsamen Corona-Bonds wächst in Europa - und damit auch der politische Druck auf die Bundesregierung.

Von Cerstin Gammelin, Thomas Kirchner und Markus Zydra, Berlin

Spread of the coronavirus disease (COVID-19) in Naples

Wer etwas geben kann, möge es in den Korb legen: Die Armut wächst in Italien.

(Foto: Ciro de Luca/Reuters)

Die Bundesregierung gerät weiter unter Druck, auf die durch das Coronavirus ausgelöste schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg eine große europäische Antwort zu ermöglichen. "Das ist ein Notfall, der alle betrifft, einer, für den kein einzelnes Land verantwortlich ist", sagte Italiens Premierminister Giuseppe Conte in der ARD. Europa müsse eine angemessene Antwort finden, "und zwar in der Weise, wie es Europa einst zugedacht war, von Robert Schuman, Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi".

Conte fordert wie andere Euro-Staaten, darunter Frankreich, Italien und Belgien, eine gemeinschaftliche Anleihe auszugeben, sogenannte Corona-Bonds. Das bedeute nicht, dass deutsche Bürger beim Wiederaufbau "auch nur einen Euro der italienischen Schulden bezahlen müssen", sagte Conte. Es bedeute nur, "dass wir gemeinsam reagieren, um bessere wirtschaftliche Bedingungen zu bekommen, von denen alle profitieren". Es war das erste Mal, dass sich der italienische Premier direkt an die Bundesbürger gewandt hatte. Auch, um mit Vorurteilen aufzuräumen. Italien ist das von dem Virus am schlimmsten getroffene Land.

Es zeichnet sich ab, dass sich alle Euro-Staaten immens verschulden müssen

Es zeichnet sich ab, dass sich alle Euro-Staaten immens verschulden müssen, um die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen des Virus abzumildern. Das fällt nicht allen gleichermaßen leicht. Italien und Spanien sitzen noch auf den Schulden der Finanzkrise, für sie wird es immer teurer, weitere Schulden zu machen. Die Idee der Corona-Anleihe ist, dass die 19 Euro-Staaten gemeinsam einmalig 1000 Milliarden Euro aufnehmen; die Zinslasten für schwächere Länder sänken, weil sie von der guten Kreditwürdigkeit von Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Finnland profitierten.

Deutschland sträubt sich dagegen, weil jedes Land für alle anderen haftet. Berlin fürchtet, am Ende auf den Schulden sitzen zu bleiben. Allerdings trifft das für alle Staaten zu. Viele Staaten empfinden das Veto aus Berlin als Misstrauensvotum und fordern Solidarität ein. Italiens Premier erinnerte an den Zweiten Weltkrieg, als europäische Länder die deutschen Schulden gestundet und gestrichen hatten. Insgesamt vierzehn Länder plädieren bisher für Corona-Bonds.

Conte hatte sich einige Tage zuvor mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Bonds gestritten. Merkel lehnt sie weiter ab. Von den deutschen Regierungsparteien ist die SPD gespalten. Sie plädiert zwar dafür, zuerst den Euro-Rettungsfonds ESM, die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Zentralbank anzuzapfen, um notleidenden Staaten zu helfen. Die Bundestagsfraktion und die SPD-Spitze lassen aber die Option von Corona-Bonds mittelfristig offen. Italien lehnt den ESM allerdings ab. Die drittgrößte Volkswirtschaft Europas will nicht als Bittsteller um Hilfe fragen, sondern als Partner auf Augenhöhe behandelt werden.

Frankreich legte am Mittwoch einen Kompromissvorschlag vor. "Wir denken über einen Corona-Fund nach, der zeitlich begrenzt ist und die Möglichkeit bietet, längerfristige Schulden aufzunehmen", sagte Finanzminister Bruno Le Maire der Financial Times. Es sei "absolut notwendig", die Tür offenzuhalten, um längerfristige, große Maßnahmen gegen die Krise finanzieren zu können.

Die Bundesbank spricht sich gegen die Einführung von Gemeinschaftsanleihen aus. "Euro-Bonds sehe ich weiterhin skeptisch", sagte Bundesbankpräsident Jens Weidmann der Wochenzeitung Zeit. Weidmann hatte sich bereits zum Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2012 als pointierter Gegner der Gemeinschaftshaftung positioniert. "Man vertraut anderen doch seine Kreditkarte nicht an, wenn man nicht die Möglichkeit hat, deren Ausgaben zu kontrollieren", sagte er damals. Weidmann betont jetzt, dass in der Corona-Krise Solidarität mit finanzschwachen Ländern wie Italien wichtig sei. Statt Euro-Bonds schlägt der Bundesbankchef diesen Staaten eine Kreditlinie des ESM vor. "Die wirtschaftspolitischen Auflagen wären dabei nicht so streng ausgestaltet wie bei klassischen Hilfskrediten", sagte Weidmann.

In den Niederlanden, dem schärfsten Gegner gemeinschaftlicher Anleihen, hat sich inzwischen zumindest der Ton geändert. Er habe Fehler gemacht und vor allem nicht genug Mitgefühl gezeigt in seinen Äußerungen, sagte Finanzminister Wopke Hoekstra in einem Interview. Das ist eine diplomatische Notbremse, denn die Niederländer haben, obwohl auf derselben Linie wie die Deutschen, den meisten Ärger der Südländer abbekommen. Die Regierung in Den Haag inszeniert sich als oberster Tugendwächter der Euro-Zone, mit energischen Wortmeldungen, die immer wieder die Wut der Südeuropäer entfachen. Er könne keine Umstände absehen, unter denen sein Land Euro-Bonds akzeptieren würde, sagte Premierminister Mark Rutte nach dem jüngsten EU-Gipfel. Hoekstra forderte gar die EU-Kommission auf zu untersuchen, warum einige Euro-Zonen-Mitglieder ihre Finanzen vor der Pandemie nicht in Ordnung gebracht hätten. Das sei "abstoßend und sinnlos", kommentierte Portugals Premier António Costa.

Inhaltlich bleibt Den Haag hart. Aber es regt sich Kritik im Land. So haben sich Zentralbankpräsident Klaas Knot und sein Vorgänger Nout Wellink für Corona-Bonds ausgesprochen. Am Mittwoch bezeichneten 60 Ökonomen die "Widerstandshaltung" der Regierung in einem Brief als "kontraproduktiv". Sie müsse jetzt "großzügiger" sein und Corona-Bonds zumindest in Betracht ziehen.

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