CoronaAuf schmalem Grat

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Christoph Werner: "Wir werden zu einer Gesellschaft der Denunzianten, wenn wir so weitermachen."
Christoph Werner: "Wir werden zu einer Gesellschaft der Denunzianten, wenn wir so weitermachen." (Foto: Hannes Magerstaedt/Getty Images)

dm-Chef Werner kritisiert Maßnahmen der Bundesregierung scharf

Von Michael Kläsgen

Christoph Werner hadert mit der Corona-Politik in Deutschland. Dabei verzeichnet die Bundesrepublik bei zwar steigenden Zahlen im internationalen Vergleich relativ wenige Tote und Infizierte. Und laut Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen heißt die große Mehrheit der Bundesbürger die Krisenpolitik gut. Der dm-Chef kritisiert die Maßnahmen der Bundesregierung jedoch scharf: "Wir werden zu einer Gesellschaft der Denunzianten, wenn wir so weitermachen", warnt er: "Wenn man private Feiern verbietet, dann wird es Menschen geben, die mit dem Fernglas schauen, was bei den Nachbarn los ist. Das ist doch grauenvoll." Nachgewiesenermaßen stecken sich bei solchen Partys allerdings besonders viele Menschen an, viel mehr als in Schulen und Kitas.

Werner stellt in seinen Formulierungen teilweise sogar die Gefährlichkeit des Virus infrage: "Wenn das Virus wirklich so schlimm ist, wie die Virologen sagen", sagt er, "dann sollte lokal entschieden werden. Denn nur so werden wir adäquate Maßnahmen in Kraft setzen können." Das entspricht in etwa dem, was die Politik versucht. Werner aber sagt, ihn sorge, die Folgen der Corona-Politik könnten schlimmer sein als die durch das Virus verursachte Sterberate.

Der dm-Chef bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen pauschaler Ablehnung und Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Er will nicht verschrecken, sondern zum Dialog anregen. Subsidiarität von Entscheidungen und der Föderalismus seien ihm wichtig.

Kann jemand wie er losgelöst vom Geschäft denken und sich in der Öffentlichkeit äußern? Einer, der seit einem Jahr Chef von Deutschlands größter Drogeriemarktkette dm ist, einem Unternehmen mit Millionen Kundenkontakten täglich, einem Umsatz von mehr als elf Milliarden Euro, gut 62 000 Beschäftigten und etwa 3600 Filialen in Europa.

"Wir können die Menschen nicht davor bewahren, sich zu infizieren", sagt er. "Wir müssen adäquaten Selbstschutz und die adäquate medizinische Versorgung zur Verfügung stellen." Ist es da nicht zu Recht verstörend, wenn einem auffällt, dass dm passend zu der Aussage seit wenigen Tagen Corona-Antikörpertests verkauft? Ob die einen "adäquaten Selbstschutz" bieten, ist ebenfalls umstritten.

Und würde die von Werner unter der Maxime der Freiheitsrechte eingeforderte größere Lockerheit nicht das Erreichte kaputtmachen? Der dm-Chef führt nun selber das Präventionsdilemma an: Vorkehrungen, die wirken, können dummerweise im Nachhinein als überflüssig angesehen werden. Aber er spricht auch von freien Kapazitäten auf den Intensivstationen, um sogleich einzuschränken: "Natürlich sollte man nicht damit experimentieren, ob die Intensivbetten tatsächlich ausreichen. Wir müssen eine Triage vermeiden."

Der Sohn des dm-Gründers und Vordenkers des bedingungslosen Grundeinkommens, Götz Werner, weiß wohl, dass er sich mit seinen Aussagen angreifbar macht. Was ihn dazu bewegt, muss Spekulation bleiben. Vielleicht ist es der Geist der Anthroposophie, in dem er erzogen wurde, und die darin zugrunde liegende esoterische Weltanschauung. Wobei Werner nach der Waldorfschule in profaneren Kreisen wie etwa der Bundeswehr und Konzernen wie L'Oréal und Glaxo Smith Kline sozialisiert wurde.

Der 47-jährige, angenehm nahbare Manager hadert mit dem Zeitgeist allgemein. Manchmal, sagt er, denkt er, heute könne das Auto nicht mehr erfunden werden, weil man, salopp gesagt, damit Menschen töten kann. Seine Aussagen muss man nicht gut finden, er will wohl nur mehr Diskussion im Land. Und reden und zuhören führt ja bestenfalls zu mehr Gemeinsinn.

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