Contra: Lebensmittel-Ampel:Zu schlicht

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Der Nutri-Score bringt wenig bis nichts. Er ist einfach - und deshalb gefährlich. Er kann die Verbraucher in die Irre führen, so wie ein Auto-Navi den Fahrer auf die falsche Spur bringen kann. Eigenes Gespür ist wichtiger.

Von Sibylle Haas

Einfachheit allein ist kein Siegel für Qualität. Und nicht alles, was Menschen schnell verstehen, muss gut für sie sein. Eine Ampel ist ein einfaches Instrument. Steht sie auf Rot, dann ist Vorsicht geboten. Zeigt sie Grün, dann ist alles gut. Im Straßenverkehr sind Ampeln eine sinnvolle Sache. Bei Rot müssen Autofahrer anhalten, bei Grün dürfen sie losfahren. Wäre dies anders, dann entstünde Chaos auf den Straßen.

Diese Schlichtheit auf die Ernährung zu übertragen, ist gefährlich. Doch genau das passiert mit der Lebensmittel-Ampel, dem sogenannten Nutri-Score von Bundesministerin Julia Klöckner. Das fünfstufige, farbliche Modell soll Orientierung auf einen Blick geben. Na prima. Rot bedeutet: Stopp! Auf gar keinen Fall essen, macht krank. Grün bedeutet: Los! Essen, essen, essen, macht gesund. Rot steht für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder Salz. Grün steht für ausgewogene und gesunde Produkte.

Die Farbskala kann jeder einfach ablesen. Und genau das macht die Sache so bedenklich. Denn Fischstäbchen bekommen ein ganz gutes Ergebnis - weil sie viel Eiweiß enthalten. Auch Hähnchen-Filetsteaks als Fertiggericht oder mit Süßstoff und Geschmacksverstärker angereicherter Joghurt und tiefgefrorene Fritten schneiden gut ab.

Das Label gibt vor, mehr zu sein als es ist. Es erfasst zum Beispiel keine Geschmacksverstärker, Süßungsmittel und Aromen. Durch veränderte Rezepturen können Lebensmittelhersteller ihre Produkte mit einfachen Mitteln "gesünder" machen, als sie es tatsächlich sind. Das ist irreführend, und deshalb nutzt der Nutri-Score nicht den Kunden, sondern vor allem der Industrie. Denn es macht sich gut, Produkte anzubieten, die als gesund gelten. So können die Hersteller dem Zeitgeist folgen, der die Fleischesser ächtet und die Veganer als bessere Menschen hoch lobt. Für die Verbraucher ist es schwierig, die Bewertung zu überprüfen. So kann der Nutri-Score von der Industrie als schönes Aushängeschild für vermeintlich gesundes Essen missbraucht werden. Und die Lebensmittel-Ampel ist eine schöne Werbung - mit bestem Dank an das Bundesernährungsministerium.

Die Lebensmittel-Ampel hat das Zeug, die Verbraucher in die falsche Richtung zu führen. Eben weil sie so leicht verständlich ist, bietet sie eine einfache und damit gefährliche Orientierung an. So wie die Auto-Navigation den Fahrer auch mal in den Wald führen kann, obwohl er in eine Landstraße einbiegen wollte. Das ist durchaus möglich, wenn er sich alleine aufs Navi verlässt, statt auf das eigene Gespür und Wissen.

Wer ohne nachzuhaken diesem Ampelsystem vertraut, könnte sich am Ende ungesund ernähren. Etwa wenn er oder sie nur Fischstäbchen isst und ähnliche industriell gefertigte Nahrung, die gut bewertet wurde. Die Ampel hat aber noch weitere Lücken. Sie erfasst kein frisches Gemüse und Obst, und sie berücksichtigt keine Vitamine und Mineralstoffe. Außerdem ist sie freiwillig, die Produkte sind daher schwierig vergleichbar.

Was also bringt der Nutri-Score? Die Antwort ist einfach: wenig bis nichts.

Dass Obst und Gemüse gesünder sind als Chips und Limonade, ist keine Neuigkeit. Dass viele Menschen in den Industrieländern zu dick sind und immer mehr Kinder übergewichtig, ist ebenfalls bekannt. Das ist nicht schön, aber auch kein Weltuntergang. Ein dicker Bauch mag nicht schick sein, doch macht er dessen Träger unbedingt krank? Ist ein dicker Mensch schon alleine wegen des Dickseins ungesünder als ein dünner? Nein. Gesundheit und langes Leben sind mitunter eine Sache der Gene, wie Dick- oder Dünnsein ja auch. Die Lebensmittel-Ampel diskriminiert dicke Menschen, und sie macht den anderen Angst.

Der Nutri-Score ist genussfeindlich, weil die "Note" sagt, was man nur mit einem schlechten Gefühl zu sich nehmen darf. Doch was gut oder schlecht ist für Menschen, darf keine Ampel entscheiden - sondern jeder selbst. Ein Stück Fleisch von einem Tier, das natürlich und artgerecht aufwachsen durfte, ist allenfalls besser als die Gemüsesuppe aus der Dose. Selbst und mit Freude Gekochtes zu essen macht mehr Spaß als grüngefärbtes Dosenfutter auf dem Teller. Die Sahnetorte muss ohne Scham genossen werden dürfen. Und wer hin und wieder eine Chipstüte aufmacht oder einen Zuckerriegel isst, darf kein schlechtes Gewissen haben. Wer genießt, Maß hält und bewusst isst, macht für seine Gesundheit schon sehr viel. Vielleicht sogar mehr als jene, die sich blind auf eine Ampel verlassen. Auch besonnene Autofahrer versichern sich, ob die Straße wirklich frei ist, wenn die Ampel Grün zeigt.

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