Contergan-Geschädigter Meyer:Kampf ums Prinzip

Düfte von Tabac, Kölnisch Wasser, Waschmittel von Dalli: Der Contergan-Geschädigte Andreas Meyer ruft zum Boykott aller Firmen auf, die mit Grünenthal verbandelt sind - und riskiert eine Haftstrafe.

Dirk Graalmann

Andreas Meyer hat deshalb mit dem Jura-Studium angefangen. Er hat es deshalb aber auch nicht zu Ende gebracht und er lebt deshalb Zeit seines Lebens von staatlicher Hilfe: Deshalb - das ist im Fall des 48-Jährigen seine Contergan-Schädigung. Der Kölner, ohne Beine und Arme geboren, ist einer von rund 5000 Deutschen, die aufgrund der Einnahme des Schlafmittels Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid durch ihre schwangeren Mütter zwischen 1958 und 1962 behindert zur Welt kamen. Und eben deshalb wird Andreas Meyer am Mittwoch im Kölner Landgericht erscheinen. Er hat zum Boykott von Produkten aufgerufen, die von Firmen hergestellt werden, die dem Contergan-Hersteller Grünenthal und deren Eigner-Familie Wirtz zugerechnet werden.

Contergan, Andreas Meyer, dpa

Andreas Meyer kämpft gegen den Contergan-Hersteller Grünenthal.

(Foto: Foto: dpa)

Die Diskussion über Schuld, Verantwortung und Entschädigung tobt seit 50 Jahren, bis hin zur Begrifflichkeit. Für die Opfer ist es der "Skandal"; die Pharmafirma Grünenthal aus Stolberg bei Aachen, die Contergan entwickelt hatte, nennt es lieber eine "Tragödie". Die öffentliche Debatte verläuft in Wellen; Andreas Meyer aber kämpft, seit er als 18-Jähriger in den Krankenakten seiner Mutter wühlte.

Die Auseinandersetzung verfolgt ihn lebenslang, wie seine Behinderung. 1987 führte ihn der Streit mit Grünenthal bis vor das Bundesverfassungsgericht: Meyer wollte eine höhere Entschädigung - und verlor. Bereits 1970 waren in einem Vergleich mit der Zahlung von 100 Millionen Mark durch Grünenthal zugleich sämtliche Regressansprüche ausgeschlossen worden. Meyer aber hat nicht aufgehört in seinem Kampf gegen die von ihm als "Entrechtung und Enteignung" empfundene Einigung. Meyer sprich von Ehrensache, vom Prinzip, von höheren gesellschaftlichen Normen, die er verteidigen wolle. Am Ende soll "ein Exempel statuiert werden, dass das Verursacherprinzip gilt."

Ein "gesellschaftspolitischer Skandal"

Nun führt ihn der Kampf ins Landgericht. Meyer und der von ihm vertretene Bundesverband der Contergan-Geschädigten und Grünenthal-Opfer (BCG) wehren sich gegen die einstweilige Verfügung dreier Firmen, zu deren Produktboykott Meyer aufgerufen hatte. Die Unternehmer-Dynastie Wirtz ist neben der Grünenthal GmbH auch an den Dalli-Werken (Waschmittel) sowie den Kosmetik-Unternehmen Mäurer & Wirtz (Tabac) sowie der Glockengasse GmbH (4711) beteiligt. Darf man zum Boykott dieser Produkte aufrufen, die mit Contergan vordergründig nichts zu tun haben?

Für Andreas Meyer steht das außer Zweifel; der Boykott gehört für ihn zum juristisch geschützten öffentlichen Meinungskampf zum Thema Contergan. Dabei hat der Bundesverband der Contergan-Geschädigten, der die Opfer offiziell vertritt, den Kampf längst auf den Verhandlungsweg verlagert und jüngst die Verdoppelung der Renten (auf maximal 1090 Euro) sowie weitere 50 Millionen Euro von Grünenthal als Erfolg verbucht.

Für Meyer ist es dagegen "ein gesellschaftspolitischer Skandal, dass der Steuerzahler und nicht die Familie Wirtz für uns aufkommen soll". Ihm selbst drohen nun Ordnungsgeld oder Ordnungshaft. Meyer hat das sarkastisch kommentiert: "Da sollen sie meinen Rollstuhl pfänden. Festnehmen wird ja schwierig: Die können mir ja noch nicht 'mal Handschellen anlegen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: