Gleichstellung:Italienerinnen sollen Gutscheine bekommen statt Chefposten

The Italian Premier Giuseppe Conte during a press conference at Palazzo Chigi to explain the new measures for the School

Conte ist seit Mitte 2018 im Amt und hat das letzte Wort bei der Besetzung von Hunderten von Posten in den Unternehmen mit Staatsbeteiligung - doch auf den Chefsesseln landen die Männer.

(Foto: imago images/Insidefoto)

Premier Conte will 500 Frauen einen Master spendieren, um ihre Aufstiegschancen zu verbessern. Dabei ist die Ausbildung nicht das Problem - im Gegenteil.

Von Ulrike Sauer, Rom

Giuseppe Conte hat sich vorgenommen, die Karrierechancen von Frauen zu verbessern. Nur sechs Prozent der italienischen Börsenunternehmen werde von einer Chefin geführt, beklagte der italienische Ministerpräsident. "Wir wollen auch hier eine Wende einleiten", sagte er. Seine Idee: 500 Frauen sollen einen Gutschein über 35 000 Euro für den Besuch einer Business School erhalten, um einen Master in Business Administration zu erwerben. Wie die Gleichstellungsinitiative konkret funktioniert? Wie die Managerinnen in spe ausgewählt werden? Dazu erfuhr man nichts.

Nun sprach Conte nicht auf irgendeiner Podiumsdiskussion, sondern zum Abschluss seiner neuntägigen Generalstände, die den wirtschaftlichen Wiederaufbau Italiens nach der Covid-Krise anstoßen sollten. Am ersten Tag beriet er sich mit EU-Chefin Ursula von der Leyen und mit EZB-Chefin Christine Lagarde in einer Videoschalte. An den restlichen acht Tagen fuhren in der Villa Pamphili, dem Sitz der Generalstände, Limousinen vor, aus denen meist Männer ausstiegen. Vertreter von 122 Verbänden und 34 Persönlichkeiten nahmen an dem Austauschtreffen teil. Sie diskutierten miteinander, wie Italien nach Jahrzehnten der Stagnation endlich zum Aufschwung zurückfinden soll.

Das Thema ist von höchster Bedeutung. Auf dem EU-Sondergipfel zum Wiederaufbaufonds in der Corona-Krise werden Italiens Partner von Conte am Wochenende wachstumswirksame Reformen verlangen. Konkrete Ideen hatte der Premier auf der abschließenden Pressekonferenz seiner Generalstände kaum zu verkünden. Der Gutschein für das MBA-Studium war eine der wenigen Ausnahmen. Der Einfall muss Conte besonders gut gefallen haben.

Aber hilft er ambitionierten Frauen, die gläserne Decke in den Firmen zu durchbrechen? Natürlich nicht. Denn das Handicap der Italienerinnen ist nicht eine unzureichende Ausbildung. Im Gegenteil. An den Master-Programmen nehmen heute fast doppelt so viele Frauen wie Männer teil. Auch ihre Uni-Abschlüsse fallen besser aus. Die Probleme fangen offenkundig erst nach dem Studium an. Die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Job und der Sexismus bremsen ihren Aufstieg. Das Geld für die MBA-Gutscheine wäre also rausgeworfen.

Überhaupt überraschte das Problembewusstsein des Premiers. Conte ist seit Mitte 2018 im Amt und hat das letzte Wort bei der Besetzung von Hunderten von Posten in den Unternehmen mit Staatsbeteiligung. Doch auf den Chefsesseln landen die Männer. Die Frauen werden bestenfalls ins Amt der Verwaltungsratspräsidentin befördert, wo sie viel Ehre, aber kaum Gestaltungsmacht haben. Dafür helfen sie den Börsenunternehmen, die 30-Prozent-Frauenquote einzuhalten.

Besonders empört hat viele Italienerinnen, dass die Regierung in der Corona-Krise mehrere Taskforces bildete, sie aber fast nur mit Männern besetzte. Die Corona-Warn-App der Regierung verbreitete ein Klischee aus den fünfziger Jahren. Die Benutzeranleitung der App zeigt eine rundliche Frau, die mit ihrem Säugling im Arm neben einer Topfpflanze am Fenster sitzt. Der breitschultrige Mann arbeitet am Computer. Mit der Covid-Realität hat das nichts zu tun: 82 Prozent des Krankenhauspersonals ist weiblich.

Nur 51,6 Prozent der Italienerinnen zwischen 20 und 64 Jahren nehmen am Erwerbsleben teil

Auch die Chefs der italienischen Institutionen sind Männer. Während im Parlament eine Frauenquote von 33 Prozent gilt, erfolgt die Postenverteilung nach altem Schema. Wie 2018, dem ersten Amtsjahr von Conte. "Es waren 21 Posten neu zu besetzen, es kamen 21 Männer zum Zug", sagt die Marilisa D'Amico von der Universität Mailand, die eine Untersuchung eines Juristinnen-Netzwerks koordiniert hat. In den Aufsichtsbehörden sieht es nicht anders aus. Das Parteiengerangel um vakante Toppositionen lähmt über Monate die Arbeit der Behörden. "Die Undurchsichtigkeit dient nur den politischen Spielchen und dazu, kompetente Frauen aus den Institutionen fernzuhalten", sagt die Rechtsprofessorin.

Eine Hauptaufgabe der römischen Politik sollte es heute sein, mehr Frauen in den Beruf zu bringen. Nur 51,6 Prozent der Italienerinnen zwischen 20 und 64 Jahren nehmen am Erwerbsleben teil. Das Land liegt deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Die EU-Kommission fordert, diese Kluft zu schließen. Denn in der Anhebung der Beschäftigungsquote sehen Ökonomen einen Hebel, um dase Wachstum zu steigern. Dazu müsste Rom seine Familienpolitik revolutionieren. Doch Conte verteilt Gutscheine. Es gibt 500 Euro für den Kauf eines Fahrrads, 500 Euro für den Italienurlaub und einen staatlichen Babysitter-Bonus, der auch an Omas ausgezahlt wird, die auf ihre Enkelkinder aufpassen.

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