Süddeutsche Zeitung

Schifffahrt:Mehr Container, mehr Probleme

Reeder bestellen immer größere Frachter. Damit steigen die Risiken für Handelskonzerne, Versicherer und die Umwelt. Über die gefährliche Gigantomanie in der Schifffahrt und ihre Folgen.

Von Patrick Hagen

Das Bild sorgte für große Heiterkeit im Internet: Das im Suez-Kanal festsitzende Containerschiff Ever Given und daneben ein winzig erscheinender Bagger, wie er auf jeder Baustelle zu finden ist. Dem tapferen Baggerfahrer wurde sogar ein eigener Twitter-Account gewidmet.

Der Bagger hat übrigens gewonnen - zusammen mit Schleppern und Schwimmbaggern im Kanal. Das Schiff ist frei. Das Foto hat aber der ganzen Welt eindringlich vor Augen geführt, wie gigantisch moderne Containerschiffe geworden sind.

Der Frachter Ever Given, der fast eine Woche den Suez-Kanal blockierte, ist 400 Meter lang, 59 Meter breit und kann 20 000 Standardcontainer von 20 Fuß Länge tragen, das sind etwas mehr als sechs Meter.

Die Kapazität von Containerschiffen wächst seit Jahrzehnten. Der Containerfrachter Ideal X, den sein Erfinder Malcom McLean 1956 auf die Reise schickte, hatte 58 Stahlkisten an Bord. Vor 20 Jahren galten Schiffe mit 8000 Containern als sehr groß. Jetzt haben die Werften schon Aufträge für Schiffe, die 24 000 Standardcontainer tragen können. Dann befördern 25 Mann Besatzung dreimal so viele Container wie im Jahr 2000. Das eine Schiff verbraucht weniger Schweröl als drei kleinere, der Umschlag ist auch schneller.

Mit der Größe wächst das Risiko, auch für Versicherer

Lange galten immer größere Containerschiffe als das Symbol der Globalisierung schlechthin. Ohne sie wäre die heutige weltweite Arbeitsteilung kaum möglich. Allerdings: Damit sie funktioniert, müssen Regierungen Wasserwege wie den Suez-Kanal oder die Elbe immer tiefer ausbaggern und Milliardensummen in Kräne und Umschlagflächen investieren.

Und: Mit der Größe wächst auch das Risiko. Nicht ohne Grund betrachten die Versicherer seit einigen Jahren die Stahlgiganten mit wachsender Skepsis. Der Spezialversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) warnt besonders vor den Gefahren durch Havarien. Der Versicherer hat ausgerechnet, dass ein Schiffsunfall im schlimmsten Fall einen Schaden von bis zu vier Milliarden Dollar verursachen könnte. Das ist einmal die teure Ladung: Ein einziger heute gängiger Seecontainer von 40 Fuß Länge kann rund 40 000 Smartphones aufnehmen.

Dazu kommen weitere Risiken. In ihrer Modellrechnung geht die AGCS davon aus, dass ein Kreuzfahrtschiff und ein Containerschiff kollidieren. Beide Schiffe laufen an einem ökologisch sensiblen Ort nach dem Zusammenstoß auf Grund und verursachen eine Ölverschmutzung. Zusammen wird das sehr teuer. Dass diese Zahlen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia, das 2012 vor der italienischen Insel Giglio havarierte. Die Versicherer mussten zwei Milliarden Dollar zahlen.

Grundsätzlich wird die Schifffahrt immer sicherer. Die Zahl der Totalverluste von Containerschiffen, Tankern oder Massengutfrachtern ist in der vergangenen Dekade deutlich zurückgegangen: 2010 gab es noch 130 solcher Vorfälle, 2019 nur noch 41. "Aber wenn etwas passiert, dann ist es deutlich teurer als früher", sagt Kapitän Khanna.

Auch die Blockade des Suez-Kanals wird teuer, vor allem für die Versicherer. Die Ever Given liegt im Großen Bittersee vor Anker und darf erst weiterfahren, wenn sich die Kanalbehörde mit Reederei und Versicherern über den Schadenersatz geeinigt hat. Das sagte Kanalchef Osama Rabie. Die Gesamtsumme aus Bergungskosten und Schäden am Kanal sowie Einnahmeausfall werde gerade berechnet und sich auf mehr als eine Milliarde Dollar belaufen, sagte er im ägyptischen Fernsehen.

Das kleinste Problem sind die Schäden am Schiff, die wohl nur wenige Millionen Dollar ausmachen. Auch die Fracht ist größtenteils unbeschädigt. Aber die Ansprüche der Kanalbehörde sind erheblich, auch Forderungen von anderen Reedern, deren Schiffe steckenblieben, sind denkbar. Das trifft die Haftpflichtversicherer. Insgesamt hat das Schiff Deckungen bis zu 3,1 Milliarden Dollar.

Die Reederei hat inzwischen die "Havarie Grosse" erklärt: Bei diesem bis in die Antike zurückgehenden Instrument des Seerechts werden die Kosten zur Rettung eines Schiffs auf alle Parteien umgelegt, die ein wirtschaftliches Interesse an ihm haben. Im Wesentlichen sind das die Eigentümer von Schiff und Ladung - und ihre Versicherer. Ansprüche Dritter sind hier ausgenommen.

In der Praxis bedeutet das: Firmen wie Ikea, die Container an Bord der Ever Given haben, erhalten ihre Waren erst, wenn sie einen Teil des Wertes als Sicherheit für eine mögliche Beteiligung am Gesamtschaden hinterlegt haben.

Feuer sorgen für Probleme

Schon vor der Suez-Blockade häuften sich die Warnzeichen dafür, dass Containerschiffe möglicherweise zu groß geworden sind. Es gibt eine beunruhigende Serie von Containerverlusten auf hoher See. Ein schlechtes Bild geben die Giganten auch ab, wenn es brennt. Feuer auf Containerschiffen sorgen immer wieder für spektakuläre Schäden. "Der Brandschutz auf den Schiffen hat nicht Schritt gehalten mit ihrer Größe", sagt Khanna. Auch Lars Lange, Generalsekretär bei der Internationalen Transportversicherervereinigung IUMI, sieht dringenden Handlungsbedarf: "An Land würde niemand ein Lagerhaus so bauen."

Doch hier ist Besserung in Sicht. Die Internationale Schifffahrtsorganisation IMO plant neue Regeln für besseren Brandschutz auf Schiffen.

In der Branche hoffen einige, dass die Bilder von der Ever Given einen Wendepunkt markieren und die Schiffe nicht mehr größer werden. In der Schifffahrt waren es oft Katastrophen, die ein Umdenken ausgelöst haben. Die von den Tankern Exxon Valdez vor Alaska und Erika vor der französischen Küste verursachten Ölkatastrophen führten dazu, dass nur noch doppelwandige Tankschiffe gebaut werden dürfen. Die wochenlange Irrfahrt des brennenden Containerschiffs MSC Flaminia 2012 half dabei, EU-Regeln für Nothäfen zu entwickeln. Mehrere Länder hatten sich damals geweigert, das brennende Schiff mit Gefahrgutcontainern aufzunehmen.

Angeblich klimafreundliche Riesen

Die Reeder fühlen sich an den Pranger gestellt und verteidigen die Riesenfrachter. "Wer vorschnell Beschränkungen für große Containerschiffe fordert, muss gleichzeitig erklären, wie der globale Warenaustausch unter den gegebenen Bedingungen künftig funktionieren soll", erklärt Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied beim Verband Deutscher Reeder.

Auch mit Blick auf die Umwelt hätten die großen Schiffe Vorteile. "Gerade große Containerschiffe sind besonders klimafreundlich, wegen ihrer modernen Motoren und der hohen Tragfähigkeit." Mehr Platz für mehr Container bedeutet weniger Schiffe und damit weniger Emissionen, rechnet er vor.

IUMI-Mann Lange glaubt nicht an eine Umkehr beim Größentrend. "Es wäre naiv anzunehmen, dass es realistisch ist, die Größe von Containerschiffen zu reduzieren." Er setzt darauf, dass der Betrieb der Schiffe sicherer gemacht wird.

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