Connecticut:Vom Glück der Indianer

Die Mashantucket Pequots waren fast ausgelöscht. Heute hat der Stamm so viele Mitglieder wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Zu Gast an einem eigentümlichen Ort der amerikanischen Geschichte.

Von Kathrin Werner

Einst gehörte alles hier seinen Ahnen. Sie waren die Herrscher zwischen der Küste und den Wäldern. Sie trugen Lederschürzen und hatten freie Oberkörper, auch die Frauen. Im Winter rieben sie sich mit Bärenfett ein gegen die Kälte. Sie glaubten, dass Dinge eine Seele haben. Alles lebte, selbst die Steine, selbst das Skelett eines Tieres. Sie waren ein Stamm mutiger Krieger. Als es hier noch keine Weißen gab, hätten sie ihn Sachem genannt. Häuptling.

Heute nennen sie Rodney Butler ihren Chairman. Butler ist der Stammeschef der Mashantucket Pequots in Connecticut, ein kleiner Stamm, aber einer der reichsten der Vereinigten Staaten. Aus dem obersten Stockwerk des Kasinos seines Stammes schaut Butler über das, was den Pequots von den weiten Ländern ihrer Ahnen verblieben ist. Er stemmt die Hände in die Seite und blinzelt in die Sonne, unten blitzt Wasser zwischen den Wipfeln der Zedern hervor. "Schön ist es schon. Und so wichtig für uns", sagt er. Knapp sieben Quadratkilometer groß ist das Reservat, ein Bruchteil der alten Jagdgründe. Der eine Teil ist sumpfiger Wald, der andere Teil ist voller Felsen und Geröll, Landwirtschaft ist unmöglich. "Es hat schon seine Gründe, dass sie uns diesen Flecken Erde gelassen haben, mit dem man nicht viel anfangen kann", sagt Butler. Aber trotzdem: Es ist sein Land, das Land seines Volks.

Das Reservat ist ein Land im Land. Ein Teil der Vereinigten Staaten, aber doch eine eigene Welt, von der US-Regierung als eigene Nation anerkannt. Wer das Reservat betritt, überschreitet eine Grenze, die man kaum sieht. Einziger Hinweis ist ein Schild: "Wuyeepuyôq". Das heißt "Willkommen" auf der Sprache der Pequot. Darunter sagt das Schild: "Hier wird Stammesrecht durchgesetzt." Die Pequots haben ihr eigenes Gesetz, ihre eigene Polizei und Feuerwehr und ihre eigenen Gerichte.

Das Reservat ist ein Land im Land, mit eigener Polizei, Feuerwehr und Gerichten

Die knapp 1000 Stammesmitglieder haben einen amerikanischen Pass. Aber sie dürfen Dinge, die andere Amerikaner nicht dürfen. Sie haben ihre eigene Wirtschaft und ihre eigene Regierung. An deren Spitze steht Butler. Der 38-Jährige trägt sein schwarzes Haar ordentlich mit Gel gestriegelt und ein weißes, gestärktes Hemd, er hat Wirtschaft und Finanzen studiert. Nur das lederne Täschchen mit bunten Perlen und Fransen um den Hals weist darauf hin, dass er Indianer ist. Es ist sein Medizinbeutel, ein Heiligtum und seine Art, seine Identität auszudrücken, erklärt er. Butler ist Regierungschef, Familienoberhaupt und Aufsichtsratsvorsitzender eines Milliardenunternehmens. "Es ist eine große Verantwortung", sagt er.

Dieses Unternehmen erhebt sich aus dem sumpfigen Reservat: ein mächtiges, türkisblau gemustertes Kasino, verspiegelte Fenster, ein Turm mit 30 Stockwerken, ein anderer mit 21, fünf Hotels, 100 Poker-Tische, 6200 einarmige Banditen, die größte Bingo-Halle der Welt, Konzertsäle, Dutzende Restaurants, eine Eislaufbahn, ein Hubschrauberlandeplatz. Man kann sich in der Anlage verlaufen, überall blinkende Lichter, überall dudelt Fahrstuhl-Musik. Ein gläserner Krieger mit Pfeil und Bogen ist neonfarben beleuchtet. Foxwoods heißt der riesige Komplex, nach dem Wappentier und Spitznamen des Stammes, The Fox People. Foxwoods war eines der ersten Kasinos in den USA außerhalb von Las Vegas und Atlantic City. Und es ist eines der größten der Welt. Foxwoods hat den Stamm reich gemacht.

Connecticut: Illustration: Stefan Dimitrov / Süddeutsche Zeitung

Illustration: Stefan Dimitrov / Süddeutsche Zeitung

Das Geld hat alles verändert.

1986 eröffneten die Pequots eine Bingo-Halle, 1992 kamen Spieltische hinzu, 1993 die einarmigen Banditen, an denen Amerikaner mit Abstand am meisten spielen und am meisten verlieren. Man muss mindestens 21 Jahre alt sein, um hier zocken zu dürfen. Die meisten sind von der 21 weit entfernt, weiße Haare und Rollstühle überall. Seit Februar 1992 war das Kasino keinen einzigen Tag geschlossen. Rund um die Uhr sitzen Starräugige vor blinkenden Automaten über bunten Teppichböden, rund um die Uhr fahren neue Busladungen aus Boston oder den umliegenden Kleinstädten an dem Schild vorbei, das die Grenze markiert zwischen dem Amerika, das sie kennen, und dem Reservat. Am Wochenende kommen 45 000 Gäste pro Tag. Und bringen viel Geld: pro Jahr mehr als eine Milliarde Dollar. Wuyeepuyôq.

"Sie wollten uns alle umbringen. Sie wollten uns ausrotten."

Die Geschichte des unerwarteten Reichtums begann vor 40 Jahren. In einem Grundsatzurteil hatte der Oberste Gerichtshof der USA 1976 festgelegt, dass Indianerstämme von allen bundesstaatlichen Regeln für Glücksspiele befreit sind, die es über Jahre hinweg fast unmöglich gemacht haben, im puritanischen Amerika Kasinos zu eröffnen. Heute gibt es 486 indianische Glücksspieleinrichtungen. 2013, im jüngsten Jahr, für das es offizielle Zahlen gibt, haben sie zusammen 28,5 Milliarden Dollar Umsatz eingesammelt.

Von der US-Regierung als eigene Nationen anerkannte Stämme sind außerdem von einigen anderen Gesetzen befreit; sie dürfen Zigaretten und Alkohol günstiger verkaufen, viele Steuervorschriften gelten nicht. Manche Reservate verdingen sich auch als Marihuana-Händler. Die Indianer verdienen oft, wo die Weißen die Moral bremst. Im Foxwoods-Kasino darf man - anders als im Rest der USA - sogar rauchen. Viele Greise, die einarmige Banditen füttern, halten Zigaretten und Bier in altersbefleckten Händen. Die Klimaanlage wälzt die Luft im Saal 20 Mal pro Stunde um.

Der Großteil der anderen Stämme ist verarmt. Im Schnitt liegt die Arbeitslosenquote in den Reservaten weit über dem Durchschnitt der Vereinigten Staaten, genau so die Zahl der Selbstmorde, der Drogenabhängigen, Alkoholiker, Gewaltopfer und die Kindersterblichkeit. Laut der jüngsten Volkserhebung lebt fast ein Viertel der Menschen in den Reservaten in Armut, im landesweiten Schnitt sind es 14,3 Prozent. Ein Großteil der 4,5 Millionen Indianer verlässt die trostlosen Landflecken.

In seinem Reservat hingegen, sagt der junge, gegelte Chairman Butler, gebe es keine Menschen unter der Armutsgrenze. Entweder, sagt er, halten die Leute Indianer für verarmt und verlottert, oder sie glauben an Indianerromantik. "Sie können sich nicht vorstellen, dass wir Menschen des 21. Jahrhunderts sind. Die Leute denken, dass wir in Tipis leben, jagen und Bären essen." Butler lacht lang und laut. Er ist ein breitschultriger Mann mit tiefer Stimme, im College spielte er Football.

Wer durch sein Reservat fährt, sieht adrette Holzhäuser. In den Einfahrten parken große Autos. Aufblasbare Schneemänner grüßen, in Fenstern und Bäumen leuchten Lichterketten. Mitten im Reservat gibt es ein Kulturzentrum mit Pool und Tennisplätzen. Man muss genau hinsehen, um zu merken, dass sich hier nicht puritanische Neuengländer treffen, sondern die, die vor ihnen da waren: In der Eingangshalle am Weihnachtsbaum mit den bunten Elektrokerzen hängen gebastelte Ornamente. Dort, neben Pinguinen und Rentieren, auch ein paar indianische Traumfänger und Federschmuck mit Perlen und Leder.

Im Gemeinschaftsraum treffen sich heute die Stammesältesten, ein Rat aller mehr als 55-Jährigen, mit den Kleinsten. Um den kreisförmigen Tisch der Ältesten herum rennen die vierjährigen Pequots. Dahinter hängen ein Sternenbanner und die Fahne des Stammes: ein Fuchs vor einem Baum in einem hellblauen Kreis. Die Jüngsten lernen heute von den Ältesten, wie man Leder-Armbändchen mit vier bunten Perlen knüpft. Eine rote, eine weiße, eine schwarze und eine gelbe, sie stehen für die vier Jahreszeiten und Himmelsrichtungen.

Nebenan hat Wayne Reels sein Büro, voll mit alten Fotos von seinen Tanzaufführungen, Handpuppen für Kindertheater, geflochtenen Körben, Holz, Leder und Federn für seine Bastel- und Näharbeiten. Er trägt den Titel Director of Cultural Resources und ist der Mann, der am besten von Geschichte und Kultur seines Stammes erzählen kann - und vom Segen und Fluch des vielen Geldes.

Von den Traditionen der Mashantucket Pequots war lange wenig übrig. Dass sich das änderte, liege auch am Geld, sagt Reels. Ohne das Kasino, das seine Kulturabteilung subventioniert, gäbe es heute vielleicht keine Traumfänger, keine Tänze und kein Wuyeepuyôq, vielleicht wüsste niemand, was willkommen heißt.

Reels ist ein stämmiger Mann mit brauner Haut, im Alltag trägt er ein weites Sweatshirt von seiner Lieblings-Football-Mannschaft und Bluejeans. Nur manchmal legt er Festkleidung an. Als Chairman Butler und er es im November zum ersten Mal schafften, dass über dem Capitol-Gebäude in Hartford, der Landeshauptstadt Connecticuts, für einen Feiertag die Fahne der Mashantucket Pequots wehte, trug er Kopfschmuck mit Truthahnfedern und eine stolze Kette mit Bärenklauen. Selbst der Chairman posierte für das Foto mit einem roten, gewebten Überwurf mit bunten Bändern. "Das war ein wichtiger Tag für unsere Ehre und unsere Heilung", sagt Reels. "Schließlich wollten sie uns ausrotten. Sie wollten uns alle umbringen."

So viel man heute weiß, gehörten die Pequots zu den ersten Menschen in Neuengland. Als sich die ersten Europäer Anfang des 17. Jahrhunderts hier niederließen, waren sie mächtig und gefürchtet. Sie bauten Kanus mit Platz für 80 Passagiere. Nach der Ankunft der Weißen starb die Hälfte von ihnen an Pocken, später metzelten die Briten fast alle Überlebenden ab. Im Pequot-Krieg von 1637 setzten sie mit indianischen Unterstützern ein großes Pequot-Dorf am Mystic River in Brand. Wer fliehen wollte, wurde in die Flammen zurückgetrieben. "Mehr als 500 Indianer brieten im Feuer und Ströme von Blut sickerten durch die Palisaden hindurch", schrieb ein Augenzeuge. "Der Gestank war fürchterlich." Wer überlebte, wurde als Sklave oder Diener weggegeben, die Indianer mischten sich mit schwarzen Sklaven oder weißen Hausherren. Es gibt heute blonde und blauäugige Pequots und andere, die aussehen wie Afroamerikaner. Einst wusste kaum einer, dass es überhaupt noch Pequots gibt.

Connecticut: Illustration: Stefan Dimitrov / Süddeutsche Zeitung; Foto: Douglas Healey/Bloomberg

Illustration: Stefan Dimitrov / Süddeutsche Zeitung; Foto: Douglas Healey/Bloomberg

"Das Kasino hat uns neue Chancen gebracht. Es hat Häuser, Bildung, Gesundheit, Stabilität gebracht. Und dank des Geldes konnten wir unsere Traditionen erforschen und pflegen", sagt Reels, der Kulturbeauftragte. "Es hat alles verändert. Es hat uns gleichzeitig zusammengeführt und auseinander gebracht." Der 52-Jährige war früher Lastwagenfahrer. Als Kind kam er nur ab und zu in das Reservat, für ein Picknick oder ein Familienfest. In den Siebzigerjahren lebte nur noch eine ältere Frau dauerhaft zwischen den Sümpfen und Wäldern. "Es war für mich immer Heimat und Bezugspunkt, aber nie ein Ort, an dem ich einmal leben würde", sagt Reels. Ende der Achtzigerjahre änderte sich alles, das Kasino sollte gebaut werden, Reels bekam Arbeit, er fuhr Bauschutt ab. "Als ich kam, waren wir arm", erzählt er. "Aber für mich bedeutete das Leben hier Freiheit. Wir waren unter uns, es war so still." Viele Leute bekamen damals Sozialhilfe. Es gab nur Feldwege. Zwei oder drei Familien lebten in engen Apartments, manche in Wohnwagen.

Die ersten Kasino-Millionen hat die Stammesregierung, damals noch nicht unter Finanzfachmann Butler, einfach an alle Mitglieder verteilt. Die Pequots wurden sehr, sehr reich. Sie kauften dicke Autos. Wenn das erste nicht mehr gefiel, kauften sie das zweite. Immer mehr Menschen zogen in das alte Land, sie bauten Häuser, niemand quetschte sich mehr mit der ganzen Großfamilie in eine Wohnung. Sie schickten ihre Kinder auf die besten Schulen und Universitäten - der Stamm bezahlt noch heute alle Studiengebühren. Die Zocker subventionierten Krankenversicherungen für alle, ordentliche Straßen ohne Schlaglöcher, teure Forscher, die die längst vergessene Sprache aus alten Dokumenten so gut es ging rekonstruierten und das gewaltige Museum, wenige hundert Meter hinter dem Kasino im Wald, größer als das Indianer-Smithsonian in Washington.

Doch jetzt, 20 Jahre, nachdem sie Gelddruckmaschinen auf dem sumpfigen Land bauten, ist die Glücksspielsträhne abgerissen. Andere Bundesstaaten lockerten die Regeln, neue Kasinos entstanden, es kommen weitere hinzu. Wer heute zocken will, muss nicht mehr über die Landstraßen zu Foxwoods fahren. Die Pequots hatten groß expandiert, kurz bevor die Wirtschaftskrise begann und den Amerikanern das Zocken vermieste. Das Kasino hatte 2,3 Milliarden Dollar Schulden, die Gläubiger verzichteten auf einen Teil, jetzt stehen Schulden von 1,7 Milliarden in den Büchern. Plötzlich müssen die Pequots sparen.

In den besten Zeiten, vor gut einem Jahrzehnt, arbeiteten mehr als 13 000 Menschen für die Indianer, heute sind es nur noch 6800. Der Umsatz schrumpft Jahr für Jahr. Weil Indianerstämme als souveräne Nationen gelten, können Gläubiger in den Reservaten nichts pfänden. Das macht die Entwicklung teuer und riskant und schreckt viele Investoren ab. Auch Insolvenz anmelden können die Kasinos nicht, um einen Teil ihrer Schulden loszuwerden. "Wir denken über alle möglichen Dinge nach, die wir neben dem Glücksspiel noch tun können", sagt Chairman Butler. Vor ein paar Monaten hat er ein Einkaufszentrum eröffnet, das nun ein Teil von Foxwoods ist. Gemeinsam mit den Mohegans planen die Pequots ein weiteres Kasino; es soll fertig werden, bevor der Konzern MGM 2018 eine Anlage im Nachbarstaat Massachusetts eröffnet.

Die Direktzahlungen an die Stammesmitglieder sind längst gestrichen. Wer Geld will, muss arbeiten. Für die meisten findet sich ein Job im Kasino. Das Museum hat im Winter geschlossen, es gibt zu wenig Besucher. Auch das jährliche Powwow ist nur noch ein kleines Fest. Früher haben die Pequots Tausende Indianer aus dem ganzen Land eingeflogen, alle sangen, tanzten und trommelten. Im besten Jahr, erzählt Kulturchef Reels, hatte er ein Budget von drei Millionen Dollar, allein eine Million war als Preisgeld ausgeschrieben für die besten Tänzer. "Wir waren großzügig, weil wir wussten, wie sich harte Zeiten anfühlen", sagt er. Heute kommen nur Stämme aus der Region, er kann nur 60 000 Dollar ausgeben. "Dafür ist die Stimmung besser, es ist viel intimer, mehr wie ein Familienfest", sagt er. "Früher hatte ich manchmal das Gefühl, es gehe nur ums Geld."

Erfolg bedeute nicht nur, dass die Gäste die einarmigen Banditen füttern - mehr, immer mehr, sagt Chairman Butler. "Wir leben hier mit fast 1000 Cousins und Cousinen, wir sind alle miteinander verwandt", sagt er. "Und noch immer erfolgreich." Es fließe genug Geld, um die Kultur zu pflegen, die Kinder zur Schule zu schicken, sich um die Ältesten zu kümmern und einmal im Jahr zum Tanzfest einzuladen. Der Stamm wächst, so viele wie jetzt waren die Fox People seit Jahrhunderten nicht. Butler blickt aus dem Büro im Kasino über die Wipfel der Zedern und auf sein sumpfiges Land, hinweg über die Grenze zum anderen Amerika. Tausende Jahre mit den höchsten Hochs und tiefsten Tiefs liegen hinter den Pequots. "Wissen Sie", sagt er, "Native Americans sind flexibel, wir haben gelernt, uns anzupassen."

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