Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Condor wird polnisch

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Von Jens Flottau, Frankfurt

Rafał Milczarski fand einen leichten Einstieg in seine Rede. "Auf Deutsch heiße ich Ralf", sagt der Chef der polnischen Fluggesellschaft LOT. Das war ihm wichtig zu erwähnen, weil der Chef der deutschen Fluggesellschaft Condor auch Ralf heißt, Ralf Teckentrup. Der Pole fügte hinzu, Milczarski bedeute übrigens "der, der Ruhe gibt". Angesichts dessen, was am Freitag geschah, kann das nur als klassischer Fall von Ironie durchgehen.

Ralf oder Rafał - all das zählte am Freitag nicht. Was zählte war, dass die Vertreter von Condor und der LOT-Muttergesellschaft PGL am Morgen um 8.25 Uhr nach durchverhandelter Nacht todmüde, aber glücklich beim Notar einen Kaufvertrag unterschrieben. Demnach kauft PGL die deutsche Ferienfluggesellschaft aus dem Schutzschirmverfahren heraus und steigt, mit zusammen rund 20 Millionen Passagieren, zu einer der größeren europäischen Airline-Gruppen auf.

Jenseits aller strategischen Überlegungen ist die wichtigste Nachricht für die rund 5000 Condor-Mitarbeiter: Es geht weiter. "Es gibt keine Unsicherheit mehr", so Milczarski. Nachdem die frühere Condor-Muttergesellschaft Thomas Cook Ende September 2019 zusammengebrochen war, hatte die Airline ums Überleben gekämpft. Sie brauchte einen Investor, der nicht nur einen staatlichen Überbrückungskredit in Höhe von 380 Millionen Euro zurückzahlen, sondern auch in Flotte und Wachstum investieren wollte. Der Kredit wird nun voraussichtlich nicht vollständig benötigt und komplett zurückgezahlt.

Dem Vorhaben muss noch die Gläubigerversammlung zustimmen, dies soll voraussichtlich im März passieren. PGL und Condor brauchen zudem die Zustimmung der europäischen Wettbewerbsbehörden. Dies dürfte allerdings kein Problem sein.

Chef Rafał Milczarski steht der Regierung nahe

Für Milczarski ist klar: "Wir wollen eine der führenden Luftfahrt-Gruppen in Europa schaffen." Mit Condor sei man "noch vielseitiger". Doch der strategische Wert des Geschäfts erschließt sich nicht jedem sofort. Denn bislang gibt es beim Streckennetz überhaupt keine Anknüpfungspunkte. Die beiden Airlines sind allein geografisch in unterschiedlichen Märkten tätig. Das soll sich allerdings ändern: Condor soll ihre Standorte beibehalten, darüber hinaus aber das PGL-Standbein im Ferienflugverkehr werden und in Märkte wie Polen und Ungarn expandieren.

LOT Polish selbst war lange Zeit ein Krisenfall und hat 2012 nur aufgrund von staatlicher Hilfe überlebt. Seit 2015 wächst das Unternehmen stark. Innerhalb von vier Jahren hat die Airline die Zahl der Passagiere auf gut zehn Millionen verdoppelt, die Boeing 787-Langstreckenflotte von vier auf 15 Maschinen ausgebaut. Milczarski steht der nationalkonservativen Regierung nahe und kann sich auf politische Unterstützung verlassen. So soll südlich von Warschau ein neuer, riesiger Flughafen entstehen, den LOT als Drehkreuz nutzen will.

Um die Pläne umzusetzen, muss PGL auch bei Condor massiv investieren. Die Langstreckenflotte müsse "in den nächsten zwei bis drei Jahren ersetzt werden", sagte Milczarski. PGL will daher für ihre neue Tochtergesellschaft etwa 20 neue Großraumflugzeuge bestellen und noch zehn weitere für LOT. Zur Auswahl stehen mehr Boeing 787, aber auch Maschinen vom Typ Airbus A330neo sowie A350.

Für die deutschen Konkurrenten kommt der Einstieg PGLs bei Condor fast aus dem Nichts. Kaum jemand in der Branche hatte das polnische Unternehmen als ernsthaften Bieter auf dem Radar. Lufthansa hat sich zwar aus dem Verfahren zurückgehalten und nicht mitgeboten, aber darauf spekuliert, dass ihr am Ende zumindest Teile der Condor in den Schoß fallen würden, weil sich kein Investor finden werde. Die Rechnung ist offensichtlich nicht aufgegangen.

Es entsteht ein zweiter Ferienflieger

Mit dem PGL-Einstieg ist klar: Es wird in Deutschland eine zweite große Airline im Ferienfluggeschäft geben, deren Eigentümer bereit ist, viel Geld in die Hand zu nehmen. Vor allem für die Reiseveranstalter und Flughäfen ist das ein Segen. Sie hatten zuletzt befürchten müssen, noch mehr von Lufthansa/Eurowings abhängig zu werden.

Lufthansa muss nun überlegen, wie sie mit dem Fall umgeht. Sie befördert seit langem Umsteiger auf die Condor-Langstrecken nach Frankfurt und verdient damit dem Vernehmen nach ordentlich Geld. Andererseits positioniert sie gerade das Langstreckengeschäft des eigenen Billigfliegers Eurowings in die Drehkreuze München und Frankfurt um, wo diese der Condor direkte Konkurrenz machen. Zudem muss man wissen, dass LOT und Lufthansa zwar Partner in der Star Alliance sind, die Beteiligten sich aber, vorsichtig gesagt, nicht besonders mögen.

LOT sieht die dominante Rolle von Lufthansa innerhalb des Bündnisses kritisch und beklagt, dass Lufthansa viel Verkehr aus Osteuropa über Frankfurt abzieht. Viele im Lufthansa-Management betrachten die Wachstumspläne der Polen mit Skepsis. Für Condor wäre der Verlust der Frankfurt-Zubringer ein echtes Problem.

Aber das sind Themen von morgen. "Wir werden zusammen sehr schnell sehr viel besser werden als jeder für sich allein," glaubt Condor-Chef Teckentrup. Die Übernahme biete jetzt "Sicherheit und Perspektive."

Condor soll unter dem Dach von PGL neben LOT als separate Airline weiterbestehen, auch an der Marke soll sich nichts ändern. Teckentrup macht als Chef weiter, auch Debus bleibt als Finanzchef an Bord. Insofern bleibt es ruhig.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2020
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