Computerspiele-Industrie:Brot und Spiele

Die Computerspielbranche vermeldet dank Nintendo weltweit Rekordumsätze - dabei geht es vielen Herstellern schlecht, sie müssen Mitarbeiter entlassen.

Jürgen Schmieder

Die Rekorde purzeln schneller als bei den100-Meter-Läufen von Usain Bolt: Beinahe täglich gibt es neue Meldungen von den gigantischen Zahlen der Computerspiel-Industrie. In den USA wurden im vergangenen Jahr mehr Spiele verkauft als jemals zuvor, die Branche verzeichnete eine Umsatzsteigerung von 19 Prozent auf 21 Milliarden US-Dollar. In Deutschland gab es gar einen Anstieg um 25,5 Prozent auf 605 Millionen Euro, wie die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) mitteilte. Die Branche scheint das Wort Finanzkrise nicht zu kennen.

Computerspielbranche

Nintendo ist das Zugpferd einer Branche, der es nicht so gut geht, wie man meinen mag.

(Foto: Foto: rtr)

"Spielen gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen", sagt der Soziologe Murat Mermer, tätig bei Beratungsgesellschaft Harvard in München. "Es ist der Industrie gelungen, neue Zielgruppen zu erschließen." Die Branche hat ihr Image in den vergangenen Jahren aufpoliert, die von übereifrigen Politikern angeheizte Moralpanik um Killerspiele ist abgeschwächt. Videospiele simulieren nicht mehr nur Krieg, Wirtschaft oder Sport, die Spieler singen gemeinsam Lieder, schrammeln auf Plastikgitarren, und duellieren sich beim Quizzen. "Wie früher gemeinsam am Lagerfeuer, sitzt man heutzutage gemeinsam an der Konsole", sagt der Branchenkenner Mermer.

Mitverantwortlich für das Umsatzwachstum sind die Konsolen von Nintendo - 8,3 Millionen Einheiten der Konsole Wii und 11,2 Millionen der tragbaren Konsole DS konnte das Unternehmen 2008 in Europa verkaufen. Vor zwei Jahren noch musste sich der japanische Konzern ob seiner Strategie belächeln lassen, nicht wie gewohnt die technischen Grenzen auszuloten, sondern den Menschen das zu bieten, weshalb sie spielen: den Spaß daran. Und so sitzen plötzlich nicht mehr nur pickelige Teenager vor dem Computer. Was Volkswagen in der Werbung für sich reklamiert - ein Auto für alle Menschen zu bauen -, ist Nintendo auf dem Konsolensektor längst gelungen. "Vor zwei, drei Jahren konnte niemand absehen, ob das Konzept aufgehen würde", sagt der Deutschland-Chef des Konzerns Bernd Fakesch. "Wir freuen uns, dass wir diesen Paradigmenwechsel maßgeblich vorantreiben und für die gesamte Branche neue Potentiale erschließen konnten."

So verwundert es kaum, dass die vier meistverkauften Spiele des Jahres 2008 Entwicklungen für Wii sind: Wii Play, Mario Kart, Wii fit und Super Smash Bros Brawl. Auf Platz fünf folgt der vielfach beworbene vierte Teil der Serie "Grand Theft Auto" - in der Version für die Xbox 360, die Fassung für die Playstation 3 folgt erst auf Platz acht. Das ist bitter für den Hersteller Sony, zumal es das einzige Spiel unter den ersten zehn ist.

Zu viele Flops

Genau in diesem Punkt liegt das Problem der Computerspiele-Branche. Die Verkaufszahlen von Nintendo sind zwar rekordbrechend, sie beschönigen jedoch das Gesamtergebnis einer Branche, der es nicht so gut geht, wie die Zahlen vermuten lassen. Rekordumsätze in der Gesamtsumme bedeuten nicht, dass sich einzelne Produkte gut verkauften - und vor allem bedeuten Rekordumsätze noch lange keine Rekordgewinne.

Es gab viele Spiele, die im vergangenen Jahr nur mäßig erfolgreich waren, einige groß angekündigte Produkte floppten gar. Ein Beispiel ist "Little Big Planet" - ein innovatives Spielkonzept, von dem sich Hersteller Sony vor allem eine Steigerung der Verkaufszahlen der Playstation 3 versprach. Erst eine groß angelegte Werbekampagne und eine Preissenkung sorgten für mehr verkaufte Einheiten, das Unternehmen vermeldete kürzlich 1,3 Millionen regelmäßige Spieler weltweit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie sich die Industrie aus der Misere befreien kann.

Brot und Spiele

Ebenso stagniert der Verkauf von Spielen für den Computer. "Grand Theft Auto IV" des Hersteller Rockstar etwa - laut dem Magazin Time das beste Computerspiel des Jahres - steht zwar mittlerweile im Guiness Buch der Rekorde, weil die Konsolenversionen am 29. April für den höchsten Umsatz innerhalb von 24 Stunden sorgten. Die PC-Fassung indes, die Anfang Dezember auf den Markt kam, floppte so sehr, dass Publisher Take Two mit einem Umsatzminus von 20 Prozent in diesem Jahr rechnet. Die Aktie verlor innerhalb eines Jahres mehr als die Hälfte ihres Wertes.

Computerspiele-Industrie: Szene aus "Grand Theft Auto IV": Die Konsolenversionen waren überaus erfolgreich, die PC-Variante nicht.

Szene aus "Grand Theft Auto IV": Die Konsolenversionen waren überaus erfolgreich, die PC-Variante nicht.

(Foto: Foto: Rockstar Games)

Auch andere Hersteller sind in der Krise. Der Kurs von Spielehersteller THQ, verantwortlich für Spiele wie "Age of Empires" und "Drakensang", brach im vergangenen Jahr um 86 Prozent ein. Das Unternehmen verkündete im November, 17 Prozent der Belegschaft zu entlassen. "Wir wollen in Zukunft weniger Produkte, die allerdings konkurrenzfähig sind", sagt THQ-Chef Brian Farrell.

Farell spricht damit die Problematik der gesamten Branche an: Es gibt zu viele Spiele von zu vielen Entwicklern - und zu wenig innovative Ideen. Publisher Electronic Arts etwa setzt seit jeher auf die Fortsetzung beliebter Serien wie "Need for Speed" und "Fifa". Innovativ war das nicht, aber erfolgreich. In diesem Jahr stagnierten die Verkäufe einiger Spiele, dazu verkaufte sich das groß beworbene Spiel "Spore" nur mittelmäßig. Die Aktie verlor innerhalb eines Jahres mehr als die Hälfte ihres Wertes.

Auch Nintendo ist nicht unverwundbar

Die Verantwortlichen suchten die Schuld nicht in der Finanzkrise, sondern bei sich selbst. "Wir sind sehr enttäuscht, dass unsere Erwartungen nicht erfüllt wurden. Wir sehen erhebliches Verbesserungspotential in der Qualität der Spiele", waren die deutlichen Worte von EA-Chef John Riccitiello. "Deshalb leiten wir Schritte ein, die die Profitabilität unseres Unternehmen erhöhen." Auf gut deutsch: Stellen werden gestrichen, Medienberichten zufolge sind es mehr als 400 Mitarbeiter, die entlassen werden sollen.

Man darf nun nicht Nintendo zum strahenden Sieger im Kampf der Konsolen und zum Retter einer gesamten Branche verklären. Die Aktie des Unternehmens brach an der Tokioer Börse ebenfalls ein - kürzlich um 6,5 Prozent innerhalb eines Tages auf 30.200 Yen. Anfang 2008 lag der Kurs noch bei 64.500 Yen. "Nachdem die Aktie innerhalb von zwei Jahren um mehr als das Vierfache gewachsen war, ist diese Nivellierung nicht erstaunlich. Zumal der Rückgang, betrachtet in Relation zu den weltweiten Einbrüchen an den Börsen, noch recht entspannt verläuft", sagt Fakesch. Dennoch: Selbst das Branchen-Zugpferd Nintendo ist nicht unverwundbar.

Als Devise für das Computerspieljahr 2009 gilt: Weniger Spiele, dafür qualitativ bessere Produkte. Nur wer kreative Innovationen auf den Markt bringt und sowohl Spiele für die Kerngruppen als auch die Casual Gamer entwirft, der wird ein gutes Jahr haben und sich erholen. Eine komplett neue Idee verfolgt der Hersteller Sega mit seinem Spiel "MadWorld". Bei einem der blutrünstigsten Spiele des Jahres muss der mit Kettensäge bewaffnete Spieler ständig Gegner niedermetzeln, um zu überleben. Das Spiel soll im März erscheinen - auf der Jedermann-Konsole Wii. Das ist neu, ob es erfolgreich sein wird, ist indes fraglich.

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