Computerspiele:Die Zocker-Republik

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Nur was für Jugendliche? Falsch! Fast jeder zweite Deutsche daddelt. Die Umsätze wachsen rapide, jetzt steigt sogar Aldi ins Geschäft ein. Und die Messe Gamescom wird überrannt.

Von Matthias Huber, Köln

Gib Gas, wir wollen Spaß – Gamer im vergangenen Jahr beim Test einer neuen Renn-Simulation. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Richard Garriott wäre beinahe der erste Tourist im Weltraum gewesen. Das Ticket hatte er schon gekauft, die Reise zur ISS musste er dann aber aus gesundheitlichen Gründen verschieben. So wurde er bloß der sechste Mensch, der nur zum Vergnügen ins Weltall flog. In dem Universum, das er in dieser Woche in Köln besucht, war er aber in jedem Fall ein Pionier, vielleicht sogar der bekannteste.

Garriott hat schon in den Siebzigerjahren Spiele programmiert. Damals waren ein paar Zehntausend verkaufte Exemplare schon ein gewaltiger Erfolg. Heute kommen er und etwa 350 000 weitere Menschen nach Köln, um die Gamescom zu besuchen, die größte Messe der Welt für Computerspiele. Der einzige Grund, dass es nur 350 000 Besucher sind, ist, dass in den Messehallen der Platz knapp ist. Die Eintrittskarten sind seit Monaten ausverkauft, nur für die Tageskasse wurden einige Hundert Tickets zurückgehalten.

Auch wenn Garriott seit fast 15 Jahren kein Spiel mehr auf den Markt gebracht hat, ist er einer der Stargäste auf der Gamescom. Er, der exzentrische Amerikaner mit dem Spitznamen "Lord British", und nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zum ersten Mal die Messe eröffnet. Dass Merkel in diesem Jahr zu einer der größten Fachmessen der Welt nicht mehr Alexander Dobrindt schickt, sondern selbst kommt, ist auch ein Zeichen, dass die Branche den Status als Nischenindustrie hinter sich gelassen hat. Fast drei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr macht sie in Deutschland. Weltweit steht sie kurz vor der 100-Milliarden-Marke.

Wer könnte das besser symbolisieren als Aldi? Auch der Discounter wittert bei Spielen mittlerweile ein Geschäft. Nach dem Musik-Streaming-Angebot, das Aldi vor rund zwei Jahren gestartet hat, eröffnet das Unternehmen nun einen Online-Shop für Computer- und Konsolenspiele. Gamer können dort Download-Codes für mehr als 2000 Spiele kaufen und diese bei den gängigen Plattformen wie beispielsweise der Playstation Network einlösen. Die Preise sollen vergleichbar mit denen der Konkurrenz sein, hinzu kommen regelmäßige Sonder- und Aktionsangebote.

Ein Viertel aller Spieler in Deutschland ist älter als 50

Wenn der Discounter in einen Markt einsteigt, der nicht zu seinem Kerngeschäft gehört, spricht das für das Potenzial, dass seine Strategen in diesem Markt sehen. Die Nachfrage für Spiele ist längst da, und Aldi hofft, von diesen Umsätzen einen Teil abgreifen zu können. Dabei sollen die Markennamen Aldi und Medion - eine PC-Marke, die Aldi vertreibt - helfen, vor allem bei der älteren Zielgruppe.

Und die spielt mehr und mehr: Dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) zufolge steigt der Anteil der über 50-Jährigen unter den deutschen Spielern am stärksten, zuletzt waren es 8,7 Millionen Menschen, ein Viertel aller deutschen Spieler. Bei Aldi hofft man: Sie kaufen ihre Spiele lieber bei einem Händler, zu dem sie eine persönliche Bindung haben und bei dem sie nicht nur per Kreditkarte oder Paypal bezahlen können.

Was einst eine Freizeitbeschäftigung für Kinder war, ist inzwischen weit verbreitetes Feierabendprogramm vieler Erwachsener. E-Sport, der Wettkampf professioneller Computerspieler, verzeichnet zu jedem Zeitpunkt auf der Videostreaming-Plattform Twitch weltweit viele Millionen Zuschauer. Bei den größten E-Sport-Turnieren geht es um Preisgelder in sechs- oder sogar in siebenstelliger Höhe. Vor einer Woche erst gewann ein Berliner Spieler in Seattle mit seinem fünfköpfigen Team 10,8 Millionen Dollar.

Das ist nicht nur für die Spieler ein gutes Geschäft: Das Entwicklerstudio Blizzard startet Ende des Jahres eine internationale Profi-Liga für das Spiel "Overwatch". Teams aus aller Welt können eine Stadt als Standort benennen und für die "Overwatch League" eine Lizenz erwerben. Was so eine Lizenz kostet, ist nicht bekannt, Gerüchte sprechen aber von bis zu 20 Millionen US-Dollar je Team.

Bislang haben neun Städte "Overwatch"-Mannschaften gemeldet - darunter New York, Los Angeles, San Francisco, Shanghai, Seoul und London. Sie alle verpflichten sich mit der Teammeldung dazu, jedem Spieler mindestens 50 000 Dollar Jahresgrundgehalt zuzüglich der erspielten Preisgelder zu zahlen. Dafür werden die Mannschaftsbesitzer an allen Einnahmen aus Werbung, Sponsoring und Live-Übertragungen beteiligt.

Die Zeit, in der ein Spiele-Entwickler wie Richard Garriott zu so etwas wie einem Promi der Branche werden konnte, ist wohl vorbei. Zwar gibt es auch heute noch ein paar mythische Branchengrößen - allen voran Super-Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto. Aber die Games-Branche und ihr Publikum werden nicht nur reifer und älter, die Szene demokratisiert sich auch.

Die neuen Stars spielen selbst, verdienen mit ihrem Hobby ihren Lebensunterhalt. Garriott programmierte sein erstes Spiel zum Spaß in seiner Freizeit und verkaufte davon acht Kopien, bevor ein Entwicklerstudio auf ihn aufmerksam wurde. Heute ist er 56, Mitglied der Ü-50-Zielgruppe, von der sich Aldi viel verspricht. Auf der Gamescom in Köln wird er einen Vortrag halten. Das Thema: Das goldene Zeitalter der Videospiele. Er meint damit: heute.

© SZ vom 22.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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