Computerspiele:"Der Massenmarkt liegt vor uns"

Lesezeit: 4 min

John Riccitiello, Chef des weltweit größten unabhängigen Software-Spielehauses Electronic Arts, über Killer-Spiele, Nacktdarstellungen und das rasante Wachstum seiner Branche.

Thorsten Riedl

Seit April führt John Riccitiello Electronic Arts, das weltweit größte unabhängige Softwarehaus für Spiele. Nach seiner Ansicht langweilt die Branche ihre Kunden. "Viele Spiele kupfern vom Vorgänger ab", sagte er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Die Branche erreiche künftig ein Millionenpublikum, meinte er.

SZ: Herr Riccitiello, welche Spiele haben Sie in jüngster Zeit beschäftigt?

Riccitiello: Gestern erst habe ich das Evolutionsspiel Spore gespielt. Das veröffentlichen wir im kommenden Jahr. Eine neue Version des Rennspiels Burnout, die wir im Januar bringen, hat mich ebenfalls gefesselt. Und weil meine Tochter in das Simulationsspiel Sims vernarrt ist, muss ich hier auch regelmäßig ran.

SZ: Und, haben Sie sich gelangweilt?

Riccitiello: Nein, natürlich nicht.

SZ: Aber Sie haben doch kürzlich in einem Interview gesagt: "Wir langweilen die Leute zu Tode". Welche Titel von Electronic Arts haben Sie denn gemeint?

Riccitiello: Ich werde nicht ein spezielles Produkt von uns oder einem unserer Wettbewerber kritisieren. Aber: Viele Spiele kupfern vom Vorgänger ab, ohne dass neue Elemente erkennbar sind. Denken Sie an Schießspiele, die vor der Kulisse des Zweiten Weltkriegs spielen: Medal of Honor war innovativ, Call of Duty und Battlefield auch noch - die nächsten zehn ähnlichen Titel hatten aber keine Neuigkeiten mehr zu bieten.

SZ: Über solche Spiele wird auch in Deutschland kontrovers diskutiert. Es heißt, sie würden das Töten trainieren.

Riccitiello: Das ist natürlich Unsinn. Fakt ist, dass Gewaltdarstellungen in Europa und in Deutschland ein größeres Thema sind als in anderen Teilen der Welt. In Nordamerika etwa regen sich die Leute viel mehr über Nacktdarstellungen auf als über Gewalt. Spiele sind vergleichbar zu Filmen und Büchern. Das Angebot sollte die Bandbreite des Geschmacks und die Vorlieben der Spieler widerspiegeln. Was heute in einem Land als Filmszene erlaubt ist, wird bei uns gestrichen.

SZ: Und wenn der Verkauf von Schießspielen in Deutschland verboten wird?

Riccitiello: Dann verkaufen wir keine Shooter mehr in Deutschland. Unser wichtigstes Geschäft sind Sportspiele. Shooter-Produkte gehören nicht einmal unter unsere drei wichtigsten Kategorien - und Deutschland ist nur ein Markt von vielen, wenn auch ein wichtiger.

SZ: Ein Verbot würde Sie dann also gar nicht so sehr stören?

Riccitiello: Nun, wir haben in Deutschland Crytek als Partner, ein junges Softwarehaus aus Frankfurt. Sie entwickeln den Shooter Crysis, den wir im Herbst veröffentlichen werden und auf den viele Spieler warten. Es wäre eine Schande, wenn solche Produkte nicht mehr erscheinen dürften. Und es würde mich an die Art von Zensur erinnern, die dem Ansehen eines Landes schadet.

SZ: Ein Massenpublikum erreicht Electronic Arts damit ohnehin nicht.

Riccitiello: Es gibt heute mehr Leute, die sich an Spielen erfreuen als jemals zuvor. Vor zehn Jahren waren wir in einem Nischengeschäft. Dann wurden wir zu einem Medienunternehmen, das nur eine Minderheit der Verbraucher erreicht hat. Heute stehen wir an einem Wendepunkt, und der Massenmarkt liegt vor uns. Einige unserer Titel werden künftig 15 Millionen Menschen oder mehr in verschiedenen Ländern auf verschiedenen Spielgeräten wie einer Spielekonsole, einem Handy oder einem Computer erreichen.

SZ: Wie wollen Sie denn die Gelegenheitsspieler ansprechen?

Riccitiello: Wir betreiben etwa die Plattform Pogo.com im Internet. Dort sind Millionen Spieler angemeldet, das größte Portal seiner Art. In dieses Geschäft haben wir schon vor fünf Jahren investiert und starten nach und nach Versionen für Europa. Meiner Ansicht nach ist es ein Fehler, alle älteren Spieler, die nicht mehr so oft wie die Jungen vor dem Computer oder der Videospielekonsole sitzen, in eine Kategorie zu stecken. Viele von ihnen nehmen sich gerne Zeit für einen Shooter oder eine Sportsimulation. Gerade in unsere Sporttitel bauen wir stärker strategische Elemente ein, die diese Zielgruppe besonders mag, etwa einen Managermodus bei einem Fußballspiel.

SZ: Welche Auswirkungen wird der Eintritt in den Massenmarkt für das Unternehmen Electronic Arts haben?

Riccitiello: Die Produkte von Electronic Arts müssen stärker als zuvor auf die Bedürfnisse der verschiedenen Kundengruppen und ihre jeweilige Spieleplattform zugeschnitten sein. Beim Fußballspiel Fifa zum Beispiel auf der Wii-Konsole von Nintendo wird es einen Spielemodus speziell für Familien geben, den es auf der Xbox 360 oder Playstation 3 nicht geben wird, weil dieses Geräte von Microsoft beziehungsweise Sony andere Spieler nutzen.

Lesen Sie auf Seite zwei, was John Riccitiello über die Expansionsstrategie seines Unternehmens sagt.

SZ: Vor Ihrem Amtsantritt bei Electronic Arts waren Sie drei Jahre bei einer Beteiligungsgesellschaft. Hat das etwas gebracht für Ihre neue Aufgabe?

Riccitiello: Ich habe die Geschäftsmodelle anderer Medienfirmen kennengelernt bei Elevation Partners: etwa die der Film-, Buch-, Musik- und Internetindustrie. Alles Bereiche, die an Electronic Arts angrenzen. Ich habe einige Unternehmen gekauft und so tiefen Einblick bekommen. Auch das wird mir helfen bei der Führung von Electronic Arts.

SZ: Wird Ihr Unternehmen jetzt das Übernahmetempo beschleunigen?

Riccitiello: Kein Kommentar.

SZ: Aber Electronic Arts hat doch in der Vergangenheit regelmäßig zugekauft.

Riccitiello: Stimmt. Wir haben uns von dieser Strategie nicht verabschiedet.

SZ: Wie wäre es mit einem Kauf des Rivalen Ubisoft? Der erreicht Gelegenheitsspieler besser als Electronic Arts - und Ihr Unternehmen hat ja gerade erst den Anteil der Stimmrechte erhöht.

Riccitiello: Durch einen finanztechnischen Vorgang haben wir jetzt 24,9 Prozent der stimmberechtigten Aktien. Electronic Arts hat nicht mehr Aktien gekauft, wir haben unsere Aktien nur über eine vorgegebene Mindestdauer gehalten. Das war alles. Ubisoft macht sehr gute Arbeit, sicher, in der Vergangenheit habe ich aber auch schon Take Two, Square Enix und andere für deren Produkte gelobt.

SZ: Können Sie sich nicht eine Scheibe von Ubisofts Erfolg abschneiden, gerade bei den Spielen für die Wii?

Riccitiello: Ubisoft hat sich früh entschieden, Entwickler auf die Wii anzusetzen. Das zahlt sich jetzt aus. Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten eine ähnliche Entscheidung getroffen: Bis Ende 2007 werden wir so viele Titel veröffentlichen für die Wii wie noch für keine andere Plattform in einem Jahr.

SZ: Warum so spät?

Riccitiello: Außer Ubisoft waren alle Spieleentwickler nicht früher dran. Wir haben alle auf die Playstation 3 und die Xbox 360 gesetzt. Das hat unsere Kräfte gebunden. Ich war zu der Zeit noch nicht an Bord - aber ich hätte wahrscheinlich die gleiche Entscheidung getroffen.

SZ: Alle sprechen nur von der Wii. Sind Microsoft und Sony chancenlos?

Riccitiello: Wir werden ein dramatisches Wachstum für die Konsolen dieser Hersteller im Herbst und im nächsten Jahr sehen. Das sind Supercomputer für das Wohnzimmer. Noch gibt es keine Spiele, die das ausreizen. Demnächst werden die Kunden zu Hause Dinge erleben, die vorher nicht möglich waren.

SZ: Womit spielen wir in Zukunft?

Riccitiello: Mit den Daumen, wie gewohnt. Im Ernst: Hollywood ist es auch egal, ob der Film im Kino, zu Hause oder auf dem Handy angeschaut wird. Genauso sind wir der Lieferant der Inhalte. Die Plattformen sind mir gleich.

© SZ vom 23.08.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: