"Observation":Kammercomputerspiel im Weltall

Lesezeit: 3 Min.

  • In "Observation" schlüpft der Spieler in die Rolle des angeschlagenen Bordcomputers "Sam".
  • Auf einer internationalen Raumstation, mutmaßlich 400 Kilometer über der Erde, muss es einen schweren Unfall gegeben haben. Sam soll helfen zu klären, was passiert ist.
  • Das Spiel des schottischen Studios No Code ist ein sehr gelungenes Kammerspiel im Weltall.

Von Bernd Graff

Zu den größten künstlerischen Herausforderungen zählen Pausen und Dunkelheit. Wer mit Bildern Geschichten erzählen will, muss das Nichts beherrschen, die stehend schwarze Zeit, die absichtsvolle Stille. Denn die bloße Ahnung davon, was gerade geschehen könnte, erzeugt beim Zuschauer und Hörer meist mehr Spannung als die ausgesprochene oder gezeigte Handlung, und sei sie noch so gruselig. Das Kammerspiel ist dafür die große kleine Kunstform, in der sich explizites Schweigen und kluge Verdunklung beweisen können.

Bis jetzt konnte man sich im Genre der Computer- und Videospiele, dem das großflächige, oft grelle Ausmalen fantastischer Welten bis ins Pixeldetail in der Digital-DNA mitgegeben ist, nahezu alles vorstellen, aber eben kein Kammerspiel, und schon gar nicht die kleine Form im Weltraum. Und doch hat sich No Code, ein unabhängiges Programmierstudio im schottischen Glasgow, daran gemacht, mit dem Spiel "Observation" für PC und PS4 einen intimen Orbit-Thriller umzusetzen. Er ist grandios gelungen, ermöglicht durch einen verblüffenden Erzähltrick.

Monatsrückblick Games
:Ohne Kaffee und freies Wlan geht die Welt zugrunde

Die Apokalypse beginnt in "Tom Clancy's The Division 2" damit, dass die Cafés schließen. In "Shadows Die Twice" ist der Name Programm und ein Streamer bekommt eine Million für "Apex Legends"-Werbung. Die wichtigsten Games im März.

Von Caspar von Au

Auf einer internationalen Raumstation, mutmaßlich 400 Kilometer über der Erde, muss es einen schweren Unfall gegeben haben. Die wohl einzige Überlebende, die Astronautin Dr. Emma Fisher, tappt erst einmal völlig und im Wortsinn im Dunkeln. Die Energieversorgung ist ausgefallen, die Station trudelt, Fisher ruft nach Sam. Und der sind wir. Doch wir sind keine Person, wir sind die künstliche Intelligenz, die die gesamte Raumstation steuert. Steuern soll, muss man sagen, denn nach dem Unfall verfügt die Bordintelligenz nur noch über Basisfunktionen.

Rollentausch im Weltall

Wir sind jetzt auf Dr. Emma Fisher genauso angewiesen wie sie auf uns. "Das war gar nicht gut!", hört man Dr. Fisher also zu Beginn ins Schwarze hinein sagen, "Sam, lass die Selbsttests laufen, welche Schäden hast du?"Und wir müssen ihr antworten: "Der Kern des Hauptspeichers ist zerstört, große Teile der Stationsdaten sind verloren." Und dann - nach einer Pause - hört man Dr. Fisher fluchen.

Das ist das bestechend-beklemmende Ausgangsszenario, gewissermaßen die doppelte Umkehrung des Dramas von Kubricks "Space Odyssey": Als "S.A.M" (System Administration & Maintenance) sind wir hier ein "Hal", eine Steuersuperintelligenz, die nicht nach und nach durch den Menschen stillgelegt, sondern erst einmal von ihm ermächtigt wird. Und wir sollten dann also irgendwann wissen, was geschehen ist - und sich noch immer ereignet.

Sam "sieht" mit den Linsen der Überwachungskameras in den Stationsmodulen. Da jedoch das Gesamtsystem gestört ist, verlieren auch die Kameras zu Beginn immer wieder die Verbindung zum Zentralrechner, also zu uns. Das Bild zappt, wackelt, rauscht wie bei der Original-Live-übertragung der Mondlandung.

Nach und nach stabilisiert sich die Situation, Sam öffnet nun Türen, "erlebt" über eine schwebende Kamera sogar Außeneinsätze, um Schäden an der Stationshülle zu begutachten. Fisher fährt derweil unsere KI weiter hoch, füttert uns also mit Erinnerungen, doch bleibt lange unklar, was eigentlich los ist. Nur eins wird deutlich: Wir sind nicht mehr im Orbit der Erde. Ein Setting voller Suspense: Wir hören den vor Anspannung keuchenden Atem von Dr. Fisher, ihre tapferen Selbstaufmunterungen, ihre Hilferufe an vielleicht überlebende Crewmitglieder, an die stumme Bodenstation, ihre Seufzer, wenn wir ihr wieder einmal nicht weiterhelfen können.

Computer mit Erinnerungslücken

Der Fotorealismus der programmierten Bilder ist beeindruckend. Da die Station rotiert, rast in regelmäßigen Abständen Außenlicht durch die Scheiben der Module auf die unwirklich schwebenden Ausrüstungsteile in ihrem Innern: Helme, Stifte, Laptops. Die Welt taumelt, trudelt durch Raum und Zeit. Doch wir stehen still. Und keine Antwort nirgends.

"Observation", das derzeit für nur acht Euro zu beziehen ist, stammt von Jon McKellan. Er hat hier auch Regie geführt. Das muss man einmal explizit erwähnen und auch ausdrücklich würdigen. Denn es ist eine Meisterleistung, in einem Computerspiel zugleich diesen anspruchsvollen Sci-Fi-Plot mit Anklängen an Filme von Kubrick und Denis Villeneuves "Arrival" zu entwerfen, wie den ja erst einmal ahnungslosen Spieler an der tastenden Erarbeitung dieses Plots mitwirken zu lassen. Und dabei auch noch aufrichtige Empathie für die Protagonistin zu ermöglichen, woraus sogar so etwas wie eine Symbiose wird. Einer der gruseligsten Dialoge zwischen Emma und unserer ramponierten Stationsintelligenz ist dieser hier:

Sam: "Ich habe dich hierher gebracht."

Dr. Fisher: "Was?!" - Pause - "Warum?"

Sam: "Ich habe absolut keine Ahnung."

© SZ vom 07.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Computerspiel "Quake III"
:Künstliche Intelligenz siegt jetzt auch im Egoshooter

In einem Quake-Turnier kämpfte Googles KI gegen Menschen. Computerteams gewannen jedes Spiel.

Von Johannes Kuhn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: