Süddeutsche Zeitung

Compliance und der Fall Hoeneß:Deutsche Topmanager verlieren ihre Glaubwürdigkeit

Plötzlich spielt die Compliance keine Rolle mehr: Wo Dax-Konzerne sonst die Vergabe jedes einzelnen Tickets prüfen, stützen die Chefs plötzlich den Steuerhinterzieher Uli Hoeneß. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit von gleich vier deutschen Topmanagern.

Von Klaus Ott

Eigentlich ging es nur um eine Kleinigkeit, um ein paar Fußball-Tickets, als sich Timotheus Höttges aus der Konzernspitze der Deutschen Telekom am 6. Oktober 2009 um 11.32 Uhr an seinen Vorstandskollegen Reinhard Clemens wandte. Das Schreiben begann mit "Hallo Reinhard". Der Ton war locker, aber das Thema ernst.

Höttges, der als Finanzchef der Telekom Geschäfte in Milliardenhöhe verantwortet, sorgte sich um die ordnungsgemäße Vergabe der Fußball-Karten seines Unternehmens. Als Sponsor des FC Bayern München und weiterer Klubs sowie der Nationalelf verfügt der Telefon- und Internetkonzern über gewisse Kontingente, die für Geschäftsfreunde gedacht sind. Einladungen an Politiker und Beamte sind nicht statthaft.

Bei einer internen Recherche seien die Engagements in Wolfsburg und Hoffenheim aufgefallen, notierte Höttges. Für ihn stellte sich die Frage, inwieweit die dortige Ticket-Vergabe "unseren Compliance-Anforderungen genügt".

Vorschriften für saubere Geschäfte

Compliance steht für die Einhaltung von Vorschriften und für saubere Geschäfte. Höttges bat den Kollegen Clemens, das zu überprüfen und Compliance sicherzustellen. Die Mail enthielt noch zwei weitere Aufträge und endete "mit der Bitte um Feedback. Danke, Tim". Vier Stunden später antwortete Clemens, die Verteilung der Karten werde mit der Compliance-Abteilung abgestimmt. Auch sonst habe alles seine Ordnung. "Tim, Du weißt, dass wir hier sehr vorsichtig mit unserem Geld umgehen ... Grüße, Reinhard."

Typisch Höttges. Der künftige Vorstandschef der Telekom greift ein und durch, wenn das Geld oder der Ruf der Telekom auf dem Spiel steht. "Hart, härter, Höttges", beschrieb ihn vor einiger Zeit das Manager-Magazin. Das erinnert an den früheren Nationalspieler Horst-Dieter Höttges, der für Werder Bremen kickte und in den Sechziger- und Siebzigerjahren einer der härtesten Verteidiger in der Bundesliga und bei mehreren Weltmeisterschaften war.

Er trug den Spitznamen "Eisenfuß", weil er weder sich noch seine Gegner schonte. Das half, den Kasten sauber zu halten, wie man in der Fußballer-Sprache so sagt. Auch Telekom-Höttges ist so eine Art Eisenfuß, der seinen Laden sauber hält.

Nur beim FC Bayern München wird "Hart, härter, Höttges" plötzlich ganz weich. Und lässt zu, dass der Steuerhinterzieher Uli Hoeneß Aufsichtsratschef des Großklubs bleibt. Höttges gehört dem Kontrollgremium des FC Bayern an, ebenso wie einige andere Konzernchefs. Am Montag hat der Aufsichtsrat einstimmig beschlossen, dass Hoeneß das Amt des Vorsitzenden "weiter ausüben soll". Man werde "die Angelegenheit weiter beobachten". Auch Höttges war einverstanden.

So billig ist in Deutschland schon lange kein Spitzenmanager mehr davon gekommen, der ein Vergehen begangen hat, das kein Kavaliersdelikt mehr ist. Immerhin hat Hoeneß bei seinen Zockereien in der Schweiz Steuern in Millionenhöhe hinterzogen.

Darunter leidet jetzt nicht mehr nur das Ansehen des Bayern-Bosses, sondern auch die Glaubwürdigkeit von gleich vier Topmanagern, die im Bayern-Aufsichtsrat sitzen. Herbert Hainer (Adidas), Rupert Stadler (Audi), Martin Winterkorn (VW) und Höttges legen sonst ja größten Wert auf Compliance, wie alle anderen großen Unternehmen seit dem Schock bei Siemens, als dort wegen weltweiter Schmierereien nahezu der gesamte Vorstand gehen und Schadenersatz zahlen musste.

Höttges will sich nicht mehr äußern

Streng genommen gilt Compliance für die Firmen-Geschäfte. Der aus dem Anglo-Amerikanischen stammende Begriff kann aber auch so ausgelegt werden, dass ein Manager, der privat Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, nicht mehr tragbar ist - weil das nicht dem Geist von Compliance entspricht. Höttges mag sich zu dem Thema nicht weiter äußern. Er verweist auf die Erklärung des Bayern-Aufsichtsrats. Damit sei "alles gesagt".

Dabei müsste Höttges nur mal nachlesen, was die Telekom unter Compliance versteht: Nichts weniger als das "klare Bekenntnis zu ethischen Grundsätzen wie Wertschätzung und Integrität", an das sich alle Beschäftigten halten müssen. Immer und überall. Gerade auch beim Fußball.

Ein Telekom-Prüfer hatte im Juni 2010 sogar daran Anstoß genommen, dass der Konzern einen Beschäftigten eines kommunalen Unternehmens zu einem Spiel von Energie Cottbus eingeladen hatte. Die Telekom stuft solche Leute als Amtsträger ein, und die dürfen keine Tickets geschenkt bekommen. Nicht einmal für Energie Cottbus. Der Prüfer kündigte an, die Karten-Vergabe werde künftig zentral gesteuert, um für Transparenz zu sorgen.

Ganz besonders hart ging die Telekom einige Monate später vor, als intern der Verdacht aufkam, bei einem Geschäft der Tochterfirma T-Systems mit Volkswagen sei gemauschelt worden - auf illegale Art und Weise, zugunsten des VW-Werksklubs VfL Wolfsburg. Nach dem Motto: Wenn T-Systems ein Sponsoring beim VfL über vier Millionen Euro verlängert, dann verlängert VW einen noch viel größeren Vertrag mit T-Systems über die Wartung von Computer-Systemen. T-Systems kümmert sich um Großkunden. Und der Autokonzern Volkswagen aus Wolfsburg ist ein besonders lukrativer Großkunde.

Die für Compliance, Recht und Gesetz zuständigen Abteilungen bei Telekom begannen, den Fall eifrigst zu untersuchen. Mögliche Täter und Zeugen aus dem Konzern wurden im Herbst 2010 in der Bonner Konzernzentrale, Raum D.4.16, stundenlang verhört, teils bis in den späten Abend und mit großem Aufwand.

Den mutmaßlichen Delinquenten saßen gleich fünf Spezialisten der Telekom gegenüber, unter ihnen ein früherer Staatsanwalt. So viele Ermittler hat nicht einmal die bayerische Justiz gebraucht, als Formel-1-Boss Bernie Ecclestone in seinem Schmiergeldverfahren zur Vernehmung nach München kam.

Verquickung von Sport-Sponsoring und anderen Geschäfte

Die betriebsinternen Fahnder der Telekom wollten alles über die Deals mit VW und dem VfL wissen; sie werteten E-Mails und andere Unterlagen aus; sie gingen sämtlichen Spuren nach. Den angeblichen Haupttäter fragten sie unter anderem, warum sich in dessen Safe Tickets für den VfL Wolfsburg im Wert von 300.000 Euro befänden. Das seien wohl Sponsoren-Karten für die laufende Saison, lautete die Antwort.

Das mit den Tickets im Safe war in Ordnung, das mit dem Sponsoring für den VW-Werksklub nicht. Jedenfalls nicht aus Sicht der Telekom. Der Konzern schaltete die Staatsanwaltschaft in Stuttgart ein, wo T-Systems ansässig ist und einer der Verdächtigen wohnt. Dort steht nun ein Prozess gegen drei ehemalige Manager und Mitarbeiter von T-Systems und zwei Führungskräfte von VW wegen Bestechung und Bestechlichkeit an. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. Es ist ein Musterverfahren, ob Sport-Sponsoring und andere Geschäfte miteinander verquickt werden dürfen.

Ausgelöst von der Telekom, die großen Wert auf saubere Geschäfte legt. Der Konzern hat auch die Nutzung seiner Loge in der Arena des FC Bayern und die Vergabe seiner Sponsor-Tickets dort geprüft. Die Telekom und ihr künftiger Chef Höttges nehmen es schließlich ganz genau. Integrität steht über allem. Außer eben im Fall Hoeneß. Aber was ist schon eine Steuerhinterziehung in Millionenhöhe gegen ein Fußballticket in Cottbus.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2013/rela
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