Commerzbank und Wirecard:Hätte Wirecard früher auffliegen können?

Commerzbank und Wirecard: Frankfurt bei Nacht. Die Skyline prägen die Bürotürme der Banken.

Frankfurt bei Nacht. Die Skyline prägen die Bürotürme der Banken.

(Foto: Norbert Neetz/Imago)

Schon früh gab es viele Warnhinweise zu Wirecard. Was wäre passiert, wenn auch die kreditgebenden Banken diesen ernsthaft nachgegangen wären? Ein Überblick über fünf verpasste Chancen.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Die Commerzbank, sie gehörte lange zu den treuesten Unterstützern von Wirecard. Im Frühjahr 2018 organisierte die zweitgrößte deutsche Privatbank sogar einen 1,75 Milliarden Euro Kredit bei 15 Banken, zu dem sie selbst 200 Millionen beisteuerte. Als Wirecard 2020 pleiteging, war das Geld weg. Nicht nur Behörden und Wirtschaftsprüfer haben versagt: Womöglich wäre Wirecard früher aufgeflogen, wären auch die Banken Warnungen ernsthaft nachgegangen.

Auf der richtigen Spur

Die Betrugsabteilung der Commerzbank war 2018 auf der richtigen Spur: Stutzig gemacht hatte sie unter anderem ein Geschäft von Wirecard im Jahr 2015. Damals verkaufte ein Inder sein Unternehmen an einen neu gegründeten Fonds in Mauritius für 35 Millionen Euro, nachdem er zuvor mit Wirecard-Vorstand Jan Marsalek Kontakt hatte. Der Fonds wiederum veräußerte das Unternehmen etwa vier Wochen später an Wirecard für 315 Millionen Euro - eine höchst ungewöhnliche Wertsteigerung. Als die Sache kurz vor der Kreditgewährung 2018 bekannt wurde, kam in der Commerzbank der Verdacht auf, der Fonds in Mauritius diene der Selbstbereicherung des Wirecard-Managements. Um dem nachzugehen, schaltete die Bank ihre Betrugsabteilung ein. Die ließ bei Wirecard nachfragen; es folgten sogar Gespräche auf Management-Ebene, aber Wirecard wiegelte ab, der Kredit wurde genehmigt, auch durch Risikovorstand Marcus Chromik. Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der sich mit der Pleite befasste, sagte er später, man habe den Kredit gewährt, weitere Analysen der Betrugsabteilung seien nicht mehr "kreditmateriell" gewesen.

Porno und Glücksspiel

Sich bewusst integer verhalten: Das sahen die Verhaltensgrundsätze der Commerzbank vor, als sie den Kredit vergab. Zwar gab es schon damals Hinweise, dass Wirecard in Pornofinanzierung und Glücksspiel involviert war. Die Bank schreckte das aber offenbar nicht ab. Warum nicht? Dazu wollte sich die Commerzbank nicht äußern, es sei zudem "kein Verstoß gegen interne Regularien erkennbar".

Weggeschaut

Banken sind angehalten, ihre Kreditnehmer sorgfältig zu prüfen. Es ist daher üblich, wenn auch keine Pflicht, dass Geldhäuser bei Unternehmen Einsicht in den so genannten Wirtschaftsprüfungsbericht verlangen. In diesen nicht öffentlichen Berichten erläutern die Prüfer ihre Arbeit, und oft enthalten sie wertvolle Hinweise auf Schwierigkeiten. Ausgerechnet bei Wirecard aber verzichtete die Commerzbank wie die meisten anderen Banken auch auf Einsicht in den Bericht, vertraute auf Testat und Rating. Bereits seit 2015 haben die Wirtschaftsprüfer laut Aussagen im Untersuchungsausschuss in den Berichten zumindest auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Warum nahm das Institut ausgerechnet bei Wirecard keinen tieferen Einblick? Die Bank sei dazu nicht verpflichtet gewesen, hieß es auf der Hauptversammlung.

Alarmierender Tonfall

Auch nach der Kreditvergabe im Frühjahr 2018 ließ die Betrugsabteilung der Bank nicht locker. Im Februar 2019 wurde sie fündig, und das Geldhaus übermittelte den zuständigen Behörden in "alarmierendem Tonfall" - so die zuständige Staatsanwältin in München - 345 Geldwäscheverdachtsfälle über Zahlungen von Wirecard von insgesamt 356 Millionen Euro. Zeitraum: August 2012 bis Januar 2019. Diese Zahlungen hatte die Commerzbank als Korrespondenzbank der Wirecard Bank unter anderem an Konzerntöchter durchgeleitet. Die Staatsanwältin bezeichnete die Verdachtsmeldungen später als äußerst hilfreich für die Ermittlungen. Bloß: Warum fielen die verdächtigen Zahlungen der Geldwäsche-Abwehr der Commerzbank offenbar erst 2019 auf, und was sagt das über die Kontrollmechanismen der Bank? Dazu will sich das Geldhaus auf Anfrage nicht äußern.

Ausgesessen

Immerhin: Die Verdachtsmeldungen führten laut Risikovorstand Chromik Anfang 2019 dazu, dass der Vorstand beschloss, die Geschäftsverbindung und damit auch die Kreditverbindung zu Wirecard zu beenden - geplant war ein "Soft Exit", wie er es im Untersuchungsausschuss darlegte, also ein "schleichendes Ende". Aber warum verkaufte die Commerzbank den Kredit dann nicht an einen anderen Geldgeber, wie es in solchen Fällen üblich ist? Warum überließ die Bank die Suche nach einem neuen Kreditgeber ausgerechnet Wirecard, die laut Chromik im Untersuchungsausschuss schon in der Vergangenheit Zusagen nicht einhielten? Vertraglich war vorgesehen, dass sich die Bank selbst um einen Ersatz kümmert, falls sie ihren Kredit nicht fortführen möchte. So geht es aus dem Vertrag hervor, der der SZ vorliegt. Der Vorstand aber unternahm dazu offenbar nichts. Und Wirecard ließ die Sache schleifen, suchte lieber erfolgreiche neue Kreditgeber, statt die alten abzulösen. Warum drängte der Risikovorstand dann nicht wenigstens darauf, Derivate zu kaufen, um das Kreditrisiko abzusichern, wie es zum Beispiel die Deutsche Bank erfolgreich tat? Sie konnte ihre Verluste auf 18 Millionen Euro begrenzen, obwohl sie zuvor noch mehr Kredit vergeben hatte als die Commerzbank. Die "perspektivische Beendigung der Kundenbeziehung zu Wirecard" sei "risikoadäquat und damit vertretbar" gewesen, teilte die Commerzbank dazu mit.

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