Es ist selten, dass ein Dax-Konzern zum Übernahmekandidaten wird und in ausländische Hände fällt: 2005 ist die Münchener Hypovereinsbank von der italienischen Großbank Unicredit übernommen worden. Jetzt ist es wieder so weit, und wieder zieht die Mailänder Großbank die Fäden: Unicredit, die zweitgrößte italienische Bank (nach Intesa San Paolo) will das zweitgrößte börsennotierte deutsche Institut Commerzbank (nach Deutscher Bank) übernehmen – obwohl die Bundesregierung ein verbales Stoppschild aufgestellt hat. „Als nicht angemessen“ bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz das Vorgehen von Unicredit-Chef Andrea Orcel am Montag, nachdem dieser seine Anteile an der Commerzbank überraschend erneut erhöht hatte. Für Scholz Verhältnisse war das schon recht deutlich.
Es heißt, Unicredit habe sich „angeschlichen“, wie geht das?
Unicredit-Chef Orcel hat getan, was die meisten Investoren bei einer geplanten Übernahme machen: Sie versuchen, so lange wie möglich unbemerkt zu kaufen. Schließlich steigt der Aktienkurs, sobald Übernahmeabsichten bekannt werden. Entsprechend kaufte Orcel seit Sommer „heimlich“ am Aktienmarkt 4,5 Prozent der Commerzbank, und griff dann zu, als der Bund ein erstes Paket von 4,5 Prozent an den Markt gab. In Berlin wurde das bereits als „anschleichen“ wahrgenommen, weil Orcel die Bundesregierung nicht ordentlich vorgewarnt haben soll. Das wies Orcel zurück. Ohnehin schließe er eine feindliche Übernahme aus. Investoren müssen ihre Anteile bei bestimmten Schwellenwerten eigentlich melden, und zwar ab drei Prozent Aktien oder ab fünf Prozent indirekter Beteiligung über Derivate. Laut Aufsichtskreisen gibt es bislang aber keine Anzeichen, dass Unicredit gegen Melde-Vorschriften verstoßen hat.
Wie viel hält Unicredit jetzt?
Am Montagmittag überraschte Unicredit mit der Nachricht, man habe über „Finanzinstrumente“ – also Derivate – weitere 11,5 Prozent an der Commerzbank erworben. Zusammen mit der bestehenden Beteiligung von rund neun Prozent kommt Unicredit jetzt bereits auf etwa 21 Prozent. Angesichts niedriger Präsenzquoten auf Aktionärstreffen könnte das womöglich schon für eine Mehrheit auf der Hauptversammlung reichen. Zugleich habe man bei der Bankenaufsicht der EZB beantragt, die Beteiligung weiter zu erhöhen. Wenn die Marke von 30 Prozent überschritten wird, muss Unicredit allerdings allen anderen Aktionären ein Übernahmeangebot unterbreiten.
Welche Rolle spielt die Bankenaufsicht?
Weil die meisten Banken systemrelevant sind und ihr Scheitern viel Schaden anrichten kann, gelten für Bank-Investoren strengere Regeln als für Investoren von Nicht-Banken. In Europa – und auch anderswo - müssen Investoren, die mehr als zehn Prozent an einer Bank kaufen wollen, ein so genanntes Inhaberkontrollverfahren durchlaufen. Dabei prüft die EZB-Bankenaufsicht zum Beispiel, ob ein Bank-Investor seriös ist und was er mit der Bank vorhat. In Fachkreisen sorgt nun für Gesprächsstoff, dass Orcel Fakten geschaffen hat, indem er die Option auf deutlich mehr als zehn Prozent der Aktien hält, obwohl der Antrag gerade erst eingereicht wurde. Bei der EZB-Bankenaufsicht scheint man damit aber keine Probleme zu haben. Generell sei es im Rahmen eines Prüfverfahrens möglich, die Anteile auch über Optionen zu erwerben, sagte ein Sprecher der EZB-Bankenaufsicht. So ein Vorgehen sei daher nicht überraschend. Die deutsche Aufsicht – Bafin und Bundesbank – wollte sich nicht dazu äußern.
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Commerzbank:Scholz verurteilt Vorstoß der Unicredit
Also doch eine feindliche Übernahme? Trotz des Widerstands der Bundesregierung kauft Unicredit-Chef Orcel weitere Anteile an der Commerzbank. Nun reagiert der Bundeskanzler.
Was kann die Bundesregierung nun tun?
Den stärksten Trumpf, den der Bund derzeit noch in den Händen hat, sind die restlichen zwölf Prozent der Commerzbank-Aktien, die er nun vorerst nicht verkaufen will. Abgesehen davon kann der Bund nur seine Missbilligung zum Ausdruck bringen. Inhaltlich hat sich die Bundesregierung dabei die Argumente des Commerzbank-Vorstandes und des Betriebsrats zu eigen gemacht, wonach Mittelstandskunden nach einer Übernahme angeblich nicht mehr so gut mit Kredit versorgt würden. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die einen Stellenabbau befürchtet, hofft darauf, dass der Bund die Commerzbank als kritische Infrastruktur einstuft. Tatsächlich gehören Finanzdienstleistungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz zur kritischen Infrastruktur. Eine Übernahme durch eine hoch regulierte andere Bank aus Europa dürfte damit aber kaum zu verhindern sein.
Was sagt der Commerzbank-Vorstand?
Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht die Commerzbank in der Verantwortung, eine Übernahme durch Unicredit abzuwehren. „Das ist eine Angelegenheit vom Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank“, sagte Lindner am Dienstag laut Nachrichtenagentur dpa auf die Frage, was die Bundesregierung tun könne, um die italienische Großbank abzuhalten. Die Commerzbank-Führung ist dem Vernehmen nach ebenfalls gegen eine Übernahme. Gegenüber ihren eigenen Aktionären und auch gegenüber dem Bund und den beteiligten Steuerzahlern muss sie gut begründen, warum sie besser eigenständig bleibt und will daher nun ihre Geschäftsziele anheben. Bei Banken sind feindliche Übernahme allerdings ohnehin unüblich: Kreditinstitute verfügen weder über Maschinen noch über Patente, entscheidend sind vielmehr die Mitarbeiter und ihre Beziehungen zu den Kunden sowie das Wissen über die eigene Bilanz und versteckte Risiken. Normalerweise wird das Management daher vor einer Übernahme mit interessanten Angeboten für eine Weiterbeschäftigung „gefügig“ gemacht. Das ist hier bislang offenbar nicht passiert.