Der wohl schwerste Fehler seines Berufslebens verfolgt Marcus Chromik immer noch: Erst in diesem Sommer musste er im Debakel um die Kredite der Commerzbank an den Pleitekonzern Wirecard als Zeuge vor Gericht aussagen. Vor drei Jahren wurde er dazu sogar im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin befragt. Jetzt aber legt Chromik, 52, einen überraschenden Karriereschritt hin: Die Deutsche Bank holt ihn als Risikovorstand an Bord, wie das größte deutsche Geldhaus am Donnerstag im Anschluss an eine Aufsichtsratssitzung mitteilte. Damit bekommt Chromik eine zentrale Rolle, denn er wird in der Position die Risiken der Bank etwa im Kreditgeschäft und im Wertpapierhandel überwachen.
Das Amt übernimmt Chromik wohl zum 20. Mai 2025. Er äußerte sich auch selbst zu dem Karriereschritt: „Es ist mir eine große Ehre, dem Vorstand der Deutschen Bank beizutreten, einem der führenden Finanzinstitute in Europa und einer der wenigen wirklich globalen Banken“, sagte er laut der Pressemitteilung der Deutschen Bank. Er freue sich darauf, die Bank durch das volatile und sich schnell verändernde wirtschaftliche Umfeld zu navigieren, „das uns in den kommenden Jahren erwartet“.
Chromik folgt somit auf Olivier Vigneron, der die Bank kürzlich darüber informiert hat, dass er seinen am Vortag auslaufenden Vertrag nicht verlängern werde. Warum der Franzose seinen Vertrag nach so kurzer Zeit nicht verlängert, wurde nicht bekannt. „Ich danke Olivier Vigneron für den großen Einsatz, mit dem er seit seinem Eintritt in den Vorstand im Jahr 2022 die Weiterentwicklung der Risikofunktion unserer Bank gesteuert hat. Wir wünschen ihm für seine Zukunft alles Gute“, sagte Aufsichtsratschef Alexander Wynaendts. „Gleichzeitig freuen wir uns, mit Marcus Chromik einen renommierten Risikomanager als neuen Risikovorstand für die Deutsche Bank gewonnen zu haben.“
Vorstandschef Christian Sewing bezeichnete Chromik als „hoch angesehenen Risikomanager, der in früheren Positionen sehr erfolgreich gearbeitet und sich einen Ruf als starke Führungspersönlichkeit erworben hat“. Seine Erfahrung werde der Deutschen Bank helfen, das Risikomanagement weiter zu stärken.
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Umstrittene Zwischenstation bei der Unicredit
Der promovierte Kernphysiker Marcus Chromik hatte die Commerzbank vor einem Jahr nach Ablauf seines Vertrages und nach acht Jahren im obersten Führungsgremium verlassen – auf eigenen Wunsch, wie es damals hieß. Danach hatte er unter anderem als Verwaltungsrat der Unicredit angeheuert. Weil Unicredit im September bei der Commerzbank eingestiegen war, möglicherweise mit dem Ziel, die zweitgrößte deutsche Privatbank zu übernehmen, hatte ihm dieser Wechsel zum „Erzfeind“ in Frankfurt Kritik eingebracht. Unicredit musste eiligst erklären, dass er bei allen Entscheidungen und Beratungen zur Commerzbank außen vor sei.
Beim Thema Wirecard hatte sich Chromik ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Das hatten zuletzt auch die Zeugenaussagen im Wirecard-Prozess in München ergeben: Obwohl in der Bank Berichte und Warnsignale vorlagen, die auf Unstimmigkeiten bei Wirecard hinwiesen, zum Beispiel in Bezug auf Drittpartnergeschäfte in Asien und fragwürdige Übernahmen in Indien, organisierte die Commerzbank noch im Sommer 2018 mit anderen Banken einen größeren Kreditrahmen für Wirecard. Ein interner Bericht und die Empfehlung einer bankinternen Betrugsermittlerin, den Kredit nicht zu begleiten, wurden in der Führung ignoriert.
Ein geplanter „Soft Exit“ aus der Geschäftsbeziehung mit Wirecard wurde im Frühjahr 2019 beschlossen, aber nicht konsequent umgesetzt. Während andere Banken sich wenigstens absicherten, unternahm die Commerzbank hingegen bis zum Schluss nichts. Einen früheren Ausstieg hatte man sich offenbar nicht getraut. „Wir wussten nicht, ob wir uns zum Deppen im Markt machen“, sagte Chromik vor Gericht. Als Wirecard zusammenbrach, war die Commerzbank also immer noch dabei – und fast die gesamten geliehenen 200 Millionen Euro waren weg. Der Aufsichtsrat der Commerzbank ließ die Vorgänge später untersuchen und stellte kein Fehlverhalten fest. Aktionäre stellten dazu dennoch kritische Fragen.
Chromik ist im Deutsche-Bank-Konzern kein Unbekannter: Er begann seine Karriere 2004 bei der Postbank, wo er Positionen in den Bereichen Risiko und Kapitalmärkte innehatte. 2009 wechselte er zur Commerzbank, kurz nachdem die Deutsche Bank bei der Postbank eingestiegen war.