Der Mensch nimmt sein Gegenüber gern als eben solches wahr, von Angesicht zu Angesicht, mit Mimik und Gestik. Da mag es schon überraschen, dass auch eines der persönlichsten Geschäfte, das der Beratung und des Coachings, nun digital zu haben ist.
Insa Klasing hat das Berliner Start-up The Next We gegründet, gemeinsam mit ihrem Bruder Klaas und der Psychologin Anke Kaupp. Sie beraten Mitarbeiter und Führungskräfte, vom Start-up bis zum Konzern - ausschließlich per Telefon oder online, Coach und Mandant sehen sich nicht. Die Vorteile: Die Berater sind jederzeit ansprechbar, ohne lokal gebunden zu sein. Für Kunden entstehen keine Reisekosten, wenn sie ihre Mitarbeiter zum Coaching schicken. Und auch das Start-up ist so flexibel, das Angebot skalierbar, sagt Klasing.
Schätzungsweise 8000 Menschen sind in Deutschland als Coaches tätig. Der Beruf ist rechtlich nicht geschützt, die Ausbildungsmodelle vielfältig, der Markt fragmentiert. Eine Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass zwei Drittel der Coaches einen Hochschulabschluss haben, etwa in Wirtschaftswissenschaften oder Psychologie. Immerhin 72 Prozent haben eine Zusatzausbildung im Coaching abgeschlossen. Für Abgrenzung gegenüber selbsternannten Beratern sorgen Berufsverbände. Sie zertifizieren Coaches nach strengen Kriterien - Seriosität als Marktwert. Sicher ist ein guter Coach, wer viel Empathie und eine umfangreiche Ausbildung hat. Doch gegenüber einem Mandanten geht es auch immer um Augenhöhe - und die hat ein Businesscoach, der Geschäftsleute bis hin zum Top-Manager berät, vor allem dann, wenn er selbst mal Führungskraft war.
Das ist auch der Anspruch von The Next We. Erstens geht es ausschließlich um Businesscoaching - wer in einer Lebenskrise Hilfe sucht, ist hier falsch. Zweitens sind alle Coaches selbst mehrere Jahre Chef gewesen und haben eine Zusatzausbildung zum Coach gemacht. Und lernen dann, drittens, die Start-up-eigene Methode, die Mitgründerin Anke Kaupp entwickelt hat. Derzeit hat The Next We 30 Mitarbeiter, weitere 40 durchlaufen die interne Schulung. Viele leiten immer noch Teams und Abteilungen in Unternehmen, sie arbeiten nebenbei und projektbezogen für das Start-up. So ist für jede Führungsebene ein passender Coach im Angebot, auf Augenhöhe eben. Abhängig von der Hierarchie berechnet The Next We die Beratungskosten.
Auch Klasing, 38, hat viel Führungserfahrung. Die studierte Volkswirtin arbeitete bei der Unternehmensberatung Bain und dem Start-up Innocent Smoothies, bis sie Deutschlandchefin der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken wurde. Innerhalb von fünf Jahren verdoppelte sie den Umsatz - indem sie Bedenkenträger im Team frühzeitig erkannte und überzeugte. In der Zeit bekam sie ebenfalls viel Coaching und stellte fest, dass die zweite Reihe im Management von solcher Reflexion nichts abbekam: "Coaching ist immer noch ein Führungsprivileg." Das Digitale an der Beratung soll den Dienst demokratischer machen. Die Mandanten haben ihren Coach in der Hosentasche dabei, was sie jetzt noch telefonisch oder im Chat besprechen, soll bald in einer App stattfinden.
Der Coach sieht dem Kunden nicht ins Auge. Skeptische Nutzer gibt es vor allem beim ersten Mal
Das Coaching an sich ist immer auf zwölf Wochen beschränkt. Kunde und Berater vereinbaren ein konkretes Weiterentwicklungsziel, etwa die Stimmung im Team, den Umgang mit den Mitarbeitern zu verbessern. Das wird mit einem messbaren Geschäftsziel verknüpft, in diesem Beispiel etwa weniger Krankheitstage, wenn die neue Arbeitsatmosphäre den Kollegen hilft, gesund zu bleiben oder schneller auf die Beine zu kommen. Das soll Unternehmen zeigen, dass Coaching eine gute Investition in jeder Hinsicht ist.
Für die Mandanten heißt das vor allem, eigene Denkmuster infrage zu stellen. Nicht immer ist ein Vorgesetzter an einem schlechten Arbeitsklima schuld, auch strukturelle Probleme können maue Stimmung oder schwergängige Prozesse schaffen. "Was steht zwischen mir und dem Ziel, das ich erreichen will?" Das klären Coach und Kunde im ersten Monat, erstellen einen Aktionsplan, den der Mandant in den weiteren acht Wochen umsetzt. Dabei kann er seinen Coach jederzeit kontaktieren, digital direkt, nicht in einer Praxis mit Terminvereinbarung und Wartezeit.
Die Methode von The Next We basiert auf der kognitiven Verhaltenstherapie. Man gehe davon aus, dass das Verhalten vom Denken gesteuert werde, also sei es "smarter, ins Denken zu investieren als ins Verhalten", sagt Klasing. Mit anderen Worten: Nicht die Unternehmensstrategie ständig ändern, sondern sicherstellen, dass die Mitarbeiter verstehen und mitziehen. Für einen Kunden des Start-ups heißt das "neu denken, neu handeln. Wir machen ihm klar: Selbst wenn er das Verhalten anderer nicht ändern kann, kann er seine Einstellung dazu beeinflussen".
Dass Coach und Kunde sich bei ihrem Projekt nicht ins Auge sehen, sei unproblematisch, so die Gründerin. Die Berater versprechen Verschwiegenheit, skeptische Kunden gebe es höchstens beim ersten Gespräch. Wenn beide gar nicht miteinander klarkommen, könne der Kunde das Coaching bis nach dem dritten Termin abbrechen. Das aber habe bisher noch keiner getan.