CO₂-Steuer:1000 Euro für den Klimaschutz - und dann?

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Fast täglich erscheint derzeit eine neue Studie zur CO₂-Steuer. Was haben sie gemeinsam? Welchen Preis schlagen sie vor? Und ist das alles überhaupt realistisch?

Von Jan Bielicki

Es ist die Zeit der Gutachten, und das Thema ist bei allen dasselbe: Fast täglich erscheint derzeit eine Expertise darüber, welchen Preis das klimaschädliche Gas Kohlendioxid bekommen soll, das aus den Schloten von Häusern und aus den Auspuffen von Autos und Lastern strömt. Seit vergangener Woche sind sechs solcher Studien veröffentlicht worden. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Wieso gerade jetzt diese Flut an CO₂-Gutachten?

Weil es nun allmählich ernst wird mit der Klimapolitik der Bundesregierung. An diesem Donnerstag tagt das sogenannte Klimakabinett, und dabei wollen die Minister auch über einen CO₂-Preis reden. Denn bis Herbst soll der Entwurf eines Klimaschutzgesetzes stehen - und darin wohl eine Vorgabe, wie der Ausstoß von Kohlendioxid beim Heizen und Autofahren zu bepreisen ist. Vor so einer gewichtigen Entscheidung lassen sich Politiker ihre Argumente gerne wissenschaftlich unterfüttern.

Was sind das für Studien?

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) geht gleich mit drei Gutachten in die Kabinettsrunde. Sie hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (IMK) und das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) beauftragt, die Auswirkungen einer CO₂-Bepreisung darzustellen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ließ die Meinung seines Wissenschaftlichen Beirats einholen. Die sogenannten Wirtschaftsweisen vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage übergaben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Sondergutachten. Und auch der Lobbyverein CO₂-Abgabe e.V., der nach eigenen Angaben etwa 1000 Unternehmen, Verbände und Einzelpersonen vertritt, meldete sich mit einer Studie zu Wort.

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Kommen alle zu ähnlichen Schlüssen?

In einem zentralen Punkt ja. Alle Experten sind sich einig darin, dass der Ausstoß von Kohlendioxid einen Preis haben muss - und das nicht nur in der Energiewirtschaft und Teilen der Industrie, für die es bereits europäische Regeln gibt. Sondern auch, wenn es um Verkehr und Gebäude geht, aus denen gut die Hälfte der deutschen CO₂-Emissionen kommt. Auch in diesem Punkt herrscht Einigkeit: Ein solcher CO₂-Preis muss sozial abgefedert werden.

Und wo hört die Einigkeit auf?

Vor allem bei der Frage, wie der CO₂-Preis erhoben werden soll. Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten an: zum einen eine Steuer oder Abgabe, die auf den Verbrauch von Brenn- und Treibstoffen erhoben wird; zum anderen eine Ausweitung des Emissionsrechtehandels, kurz ETS. Dieses System, bei dem Emittenten für das Recht, Kohlendioxid in die Luft zu blasen, Zertifikate kaufen müssen, gilt EU-weit bereits für die Energiewirtschaft und große Teile der Industrie, die zusammen etwa 45 Prozent aller CO₂-Emissionen durch ihre Schlote leiten. Seine Befürworter plädieren dafür, das System auch auf die Bereiche Verkehr und Gebäude anzuwenden.

Wie könnte das in der Praxis aussehen?

Der Lobbyverein CO₂-Abgabe e.V. gibt ein Beispiel: So könnten jedem Haushalt für das Jahr 2020 Emissionszertifikate zugeteilt werden, die den Verbrauch von 556 Litern Kraftstoff erlauben. Wer mehr verbraucht, muss zukaufen, wer weniger braucht, kann seine Zertifikate verkaufen - zum jeweiligen Marktpreis. Im Jahr 2021 gäbe es für jeden Haushalt dann nur noch Zertifikate für 534 Liter, was den Marktpreis steigen ließe - und die Neigung, Benzin einzusparen. Statt bei den Endverbrauchern könnte dieses System auch bei Zwischenhändlern wie den Tankstellen ansetzen, die ihre Zusatzkosten dann auf den Benzinpreis umlegen.

Ist das realistisch?

Da eben teilen sich die Meinungen der Wissenschaftler. Altmaiers Beiräte plädieren entschieden für einen solchen Emissionshandel, wollen den Zertifikaten aber Mindestpreise geben, damit sie nicht zu billig werden, um zu wirken. Auch die Wirtschaftsweisen empfehlen, dieses System spätestens 2030 europaweit auf Verkehr und Gebäude auszuweiten - was sie in einer gemeinsamen Erklärung mit ihren französischen Kollegen vom Conseil d' analyse économique noch bekräftigten. Für die Übergangszeit wollen sie sich aber nicht festlegen, ob Emissionsrechtehandel oder Steuern das Mittel der Wahl sind. Schulzes Gutachten gehen dagegen von einer CO₂-Steuer aus. Die DIW-Forscherin Claudia Kemfert zweifelt daran, dass die Einführung eines ETS "umsetzbar und zielführend" wäre, und hält sie für "enorm aufwendig". Der Verein CO₂-Abgabe wirbt für eine Kombination aus Steuer und ETS, warnt aber davor, dass die schwankenden Preise im Emissionshandel einen sozialen Ausgleich komplizieren würden.

Wie hoch soll die Steuer ausfallen?

Die Wirtschaftsweisen empfehlen der Bundesregierung, sich am Marktpreis für ETS-Zertifikate zu orientieren. Der lag am Mittwoch bei etwa 29 Euro pro Tonne CO₂. Die von Umweltministerin Schulze beauftragten Gutachter starten mit 35 Euro im Jahr 2020 und lassen den Satz bis 2023 auf etwa 80 Euro und bis 2030 auf 180 Euro steigen. Alle sagen: Je niedriger der Steuersatz am Anfang ist, desto stärker muss er später steigen, um die Klimaziele zu erreichen.

Und was kostet das den Bürger?

Ohne sozialen Ausgleich könnte es teuer werden. Das IMK etwa rechnet für eine Familie mit einem Verdiener und zwei Kindern mit Mehrbelastungen von anfangs etwa 260 Euro im Jahr, die bis 2030 auf mehr als 1000 Euro ansteigen. Alle Forscher empfehlen deshalb diesen Ausgleich. Der könnte aus einer Kopfpauschale von 80 bis 100 Euro bestehen oder aus einer deutlichen Senkung der Steuern und Abgaben auf Strom. Die Experten sympathisieren mit einer Kombination aus Pauschale und niedrigerem Strompreis. Das DIW etwa hat modellhaft ausgerechnet, was 80 Euro CO₂-Steuer für bestimmte Haushalte bedeuten würde: Ein Doppelverdienerhaushalt mit 5097 Eure netto Monatseinkommen und zwei Autos würde monatlich zwölf Euro weniger zu Verfügung haben, eine Familie mit einem Kind und 3406 Euro netto im Monat, aber keinem Auto, dafür 27 Euro mehr. Im Schnitt wären ärmere Menschen in diesem Modell künftig weniger, Besserverdienende dagegen mehr belastet als heute. Eine Gruppe aber müsste nach allen Berechnungen draufzahlen: Pendler, die mit dem Auto fahren.

© SZ vom 18.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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