Süddeutsche Zeitung

CO₂-Grenzwerte:Der Zwang zum E-Auto

Die Autohersteller müssen nach dem Willen der EU den CO₂-Ausstoß der Fahrzeuge drastisch reduzieren. Da hilft nur eins: mehr Motoren mit Strom.

Von Michael Bauchmüller, Markus Balser, Karoline Meta Beisel und Max Hägler, Berlin/Brüssel/München

Die europäische Politik ist sich einig, die Autoindustrie hingegen ist entsetzt. Am Montagabend haben sich Parlament, Rat und EU-Kommission nach zehnstündigen Verhandlungen auf neue Kohlendioxid-Vorgaben geeinigt: Die Autohersteller sollen nach 2021 die CO₂-Emissionen ihrer Flotten noch einmal massiv senken: um 15 Prozent bis zum Jahr 2025, um 37,5 Prozent bis zum Jahr 2030 - jeweils gemessen am schon ehrgeizigen Zielwert für 2021. In zwölf Jahren dürfen die Autos aus den Flotten im Schnitt nur noch 60 Gramm CO₂ je Kilometer ausstoßen, derzeit sind es in Europa durchschnittlich 118,5 Gramm und bei deutschen Herstellern 127,1 Gramm. "Das ist ein gutes Ergebnis, das uns bei Klimaschutz und Zukunftsjobs voranbringen wird", sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). "Das gibt einen Innovationsschub, der die alternativen Antriebe raus aus der Nische holen wird." Deutschlands oberster Autolobbyist Bernhard Mattes, der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, meint dagegen: "Diese Regulierung fordert zu viel." Was also verändert sich für die Hersteller und deren Kunden. Ein Überblick.

Was bedeutet das für Autofahrer?

Autos, die weniger Kohlendioxid ausstoßen, verbrauchen auch weniger Sprit, denn bei dessen Verbrennung entsteht das klimaschädliche Gas. In jedem Liter Benzin stecken 2,37 Kilogramm CO₂, in jedem Liter Diesel 2,65 Kilogramm. Ein Auto, das 95 Gramm CO₂ je Kilometer ausstößt, so der Zielwert für das Jahr 2021, muss sich folglich mit vier Litern Benzin oder 3,6 Liter Diesel begnügen. Weil sich die EU-Vorgabe daran orientiert, was die Fahrzeugflotte der Hersteller im Schnitt ausstößt, wird sich der höhere Wert nur durch viele neue Elektroautos erreichen lassen, sie drücken den Schnitt.

Werden Autos dadurch teurer?

Ja und nein. Die nötigen Verbesserungen würden Autos bis 2030 um etwa 900 Euro teurer machen, schätzt die Forschungsinstitution ICCT. Im Gegenzug spare ein Autofahrer etwa 2300 Euro an Kraftstoffkosten ein. "In der Summe ist das positiv für Verbraucher, und vor allem für die Gesellschaft als Ganzes", sagt ICCT-Europa-Chef Peter Mock, "da wir weniger Rohöl importieren müssen und stattdessen Jobs im europäischen Inland schaffen."

Wieviele E-Autos müssen dann 2030 auf den Straßen sein?

Zu schaffen sind die Vorgaben nur, wenn immer mehr Fahrzeuge ohne Emissionen verkauft werden, etwa reine Elektroautos. Volkswagen werde nun stärker umbauen müssen, damit im Jahr 2030 vier von zehn Neuwagen mit Strom fahren, sagt VW-Chef Herbert Diess. Umweltverbände hatten eigentlich eine Mindestquote von emissionsarmen Fahrzeugen verlangt - samt Sanktionen. Nach dem jetzt gefundenen Kompromiss fallen die CO₂-Grenzwerte für die Unternehmen schwächer aus, wenn sie viele Plug-in-Hybride oder Elektroautos verkaufen. Umweltverbände halten das für falsch. Wenn Autohersteller diesen Bonus auf ihre Benzin- und Diesel-Flotte anrechnen können, "müssen die Verbrenner gar nicht weit unter die heutigen 95 Gramm sinken", sagt Dietmar Öliger, Leiter Verkehrspolitik des NABU.

Was bedeutet das für die Industrie?

Hersteller, die die EU-Grenzwerte reißen, müssen Strafen zahlen. Dabei gilt die Formel: 95 Euro pro Gramm CO₂-Verfehlung, und das mal verkaufter Menge in Europa. Die Automobilwoche hatte jüngst errechnet, dass etwa VW 2021 rund 1,4 Milliarden Euro Strafe drohen, Fiat-Chrysler 700 Millionen Euro. Auch lässt sich mit Elektroautos lässt derzeit kaum Geld verdienen - wegen der Batterie, die oft ein Drittel des Fahrzeugwertes ausmacht. Die Hersteller müssen sie ihrerseits zukaufen.

Wann kommt die nötige Infrastruktur?

Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass 2030 sechs Millionen reine E-Autos sowie Hybrid-Autos verkauft werden müssen, damit die Quote gehalten werden kann. Dazu braucht es 3,6 Millionen Ladepunkte, aus denen pro Jahr 42 000 Gigawattstunden Strom gezapft wird. 4000 Großwindräder wären nötig, denn mit Kohle nutzt das E-Auto wenig.

Wie viel bringt es für den Klimaschutz?

Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge stießen Deutschlands Autos im vorigen Jahr 115 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus, 13 Prozent aller Emissionen. Die Emissionen des Schwerlastverkehrs kommen noch obendrauf. Damit ist der Verkehr der einzige Bereich, in dem klimaschädliche Emissionen nicht sinken, sondern steigen: Die Autos wurden zwar effizienter, aber größer und mehr. Mit den Vorgaben der EU muss der Ausstoß nun stark sinken, was die Regierung eigentlich freuen müsste: Sie will die Verkehrs-Emissionen bis 2030 um fast 40 Prozent drosseln.

Welche Maßnahmen für den Klimaschutz wären sonst noch möglich?

Besonders schnell wirken würde ein Tempolimit. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) prüft die Chancen für Tempo 120 auf Autobahnen. Damit lasse sich Klimaschutz im Verkehr auch bei jenen Autos erreichen, die schon auf der Straße seien, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. "Wir prüfen, welche juristischen Möglichkeiten wir zur Durchsetzungen haben." Aber auch technisch gibt es noch Ideen, etwa sogenannte E-Fuels, oder synthetische Kraftstoffe, die in Verbrennerautos getankt werden könnten.

Die Koalition wollte der Industrie zuliebe niedrigere Grenzwerte durchsetzen. Wieso hat sie sich nicht durchgesetzt?

Die Bundesregierung hatte sich früh auf die Seite der Kommission geschlagen, die nur ein Minus um 30 Prozent wollte. Allerdings sind die Interessen in Europa ungleich verteilt: Viele Länder haben keine Autoindustrie, aber viele Autofahrer. Ihr Hauptinteresse liegt in verbrauchsarmen Autos. In anderen Ländern, vor allem in Italien und Frankreich, werden weniger große Autos gebaut als in Deutschland - dort könnten die Auflagen sogar zum Wettbewerbsvorteil werden. "Durch das neue Regelwerk", sagt Autoexperte Fabian Brandt von der Beraterfirma Oliver Wyman, "wird der Wettbewerb für die deutschen Hersteller nochmals ein ganzes Stück härter."

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Quelle:
SZ vom 19.12.2018
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