CO2-Bilanz der Autohersteller:Der Preis des Klimaschutzes

Geld verdient mit Elektroautos noch niemand. Das wird sich auch so bald nicht ändern. Die Investitionen in die Zukunft lohnen sich trotzdem - weil den Konzernen happige Strafzahlungen drohen.

Von Joachim Becker

Der Abschied vom Verbrennungsmotor fällt schwer - gerade den erfolgsverwöhnten deutschen Autoherstellern. Anfang August hat Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess eine Gewinnwarnung für die kommenden Elektrofahrzeuge ausgesprochen: "Die geplanten Renditen unserer E-Autos werden zu Beginn nicht auf dem Niveau der konventionellen Fahrzeuge liegen", so Diess in der Halbjahrespressekonferenz. Tesla hat als Elektropionier seit 2009 Milliarden US-Dollar verbrannt. Der Einstieg in die Großserienfertigung des Model 3 sorgte im vergangenen Quartal für den höchsten Verlust. Nach einem Minus von rund 650 Millionen Euro wäre es erstaunlich, wenn Tesla wie angekündigt noch 2018 schwarze Zahlen schreiben würde.

Hohe Aufwendungen, die mit geringeren Erträgen einhergehen - das Problem kennt auch Porsche-Chef Oliver Blume. Er will in den kommenden drei Jahren zwei Milliarden Euro einsparen, weil die Kosten für die geplanten E-Modelle höher sind als zunächst erwartet. Porsche hat Anfang des Jahres beschlossen, die Investitionen in die Elektromobilität auf mehr als sechs Milliarden Euro zu verdoppeln. Die Hälfte davon fließt in die Entwicklung weiterer Derivate des rein elektrisch angetriebenen Taycan; gut eine weitere Milliarde Euro wird für die Elektrifizierung und Hybridisierung der bestehenden Produktpalette benötigt. Daimler legt noch einen drauf und lässt sich die E-Mobilität bis zum Jahr 2021 zehn Milliarden Euro kosten, davon wird ein großer Teil für die Entwicklung der neuen Antriebsvariante und die Umrüstung der Produktionsstandorte ausgegeben. Ob die Mercedes-EQ-Modelle danach Gewinne einspielen werden, bleibt abzuwarten.

Nur mit vielen Elektroautos können die Autohersteller ihre CO₂-Flottenziele erreichen

Wozu der ganze Aufwand, fragt man sich, wenn konventionelle Modelle weiterhin die Kassen klingeln lassen? Die Antwort ist laut Konstantin Neiß simpel: "Die Gesetze fordern von uns 15 Prozent weitere CO₂-Einsparung bis 2025 und 30 Prozent bis 2030", erklärt Daimlers Entwicklungschef für Elektroantriebe: "Der Zielwert für 2025 wird gar nicht so leicht erfüllbar sein, weil uns die schweren SUV die Klimabilanz kaputt machen." Die Hochdachautos treiben zwar den Umsatz auf nie gekannte Höhen, bremsen aber die gesetzlich geforderte Absenkung der CO₂-Flottenwerte. Entsprechend hoch sind die Erwartungen in das erste eigene Batteriefahrzeug von Mercedes, das im nächsten Jahr auf den Markt kommen soll: "Vom EQC erhoffen wir uns ganz klar, dass er den CO₂-Durchschnittswert der Flotte reduzieren wird, weil wir von recht hohen Stückzahlen in Europa und vor allem in China ausgehen", sagt Neiß über das klimafreundliche SUV.

Bisher hatten die Elektrofahrzeuge bei Daimler genau wie die Brennstoffzellenmodelle eher Kleinserienstatus. Sie sollten die Technik und die Kundenresonanz testen, Geld verdienen konnten Modelle wie die B-Klasse E-Cell nicht. Der Stromer musste die Quote für E-Autos in Kalifornien erfüllen, sein Antrieb kam wie beim ersten Elektro-Smart von Tesla. Ein echter Rivale der bestehenden Modellpalette war das Batteriewägelchen nie. Wozu auch? Wie viele andere Marken war Mercedes lange Zeit zuversichtlich, die CO₂-Ziele in Europa mit Dieselmodellen und einigen Plug-in-Hybriden zu erreichen. Seitdem die Selbstzünder in der Dauerkrise stecken, müssen die Hersteller viel Geld in neue Antriebsarchitekturen nachschießen.

Die "recht hohen Stückzahlen", die Konstantin Neiß erwartet, wirken angesichts aktueller Marktzahlen allerdings optimistisch: Im ersten Halbjahr 2018 wurden 33 917 Elektrofahrzeuge in Deutschland neu zugelassen. Das bedeutet zwar einen Zuwachs von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Massenmarkt angekommen sind die Stromer mit einem Marktanteil von 1,8 Prozent aber noch nicht. In China ist ihr Anteil an den Neuzulassungen bereits auf 2,9 Prozent gestiegen. Ab 2019 gilt dort ein Mindestziel von zehn Prozent, ab 2020 müssen die Autohersteller zwölf Prozent ihrer Neuwagen mit elektrischem Antrieb verkaufen. Wenn sie dieses Ziel verfehlen, drohen hohe Strafzahlungen.

In Europa haben sich die Hersteller erfolgreich gegen eine solche Elektroautoquote gewehrt. Doch die geforderte Technologieoffenheit ist seit der Dieselkrise Makulatur. An der Großserien-Elektromobilität führt mangels Alternativen nun kein Weg mehr vorbei. Nach der EU-Verordnung 443/2009 gilt ab Januar 2020 ein verschärfter Grenzwert von 95 Gramm CO₂ pro Kilometer. Momentan liegen alle deutschen Hersteller aber im Schnitt bei rund 120 Gramm CO₂ g/km. Anfangs bekommen sie wegen ihrer schweren Autos noch eine CO₂-Gutschrift von rund fünf g/km, nach 2020 wird dieser Gewichtsfaktor aber zügig abgeschmolzen. Mit weiterentwickelten Verbrennungsmotoren und milden 48-Volt-Hybriden werden Audi, BMW, Mercedes und VW ihrem Klimaziel höchstens zehn g/km näher kommen. Die zweite Weghälfte müssen sie über die Hochvolt-Elektrifizierung erreichen. Anfangs zählt jedes Elektroauto bei der Ermittlung der CO₂-Ziele doppelt, aber auch dieses Bonusprogramm läuft 2023 aus. Nicht nur Daimlers Entwicklungschef sieht in der nächsten Klimaetappe bis 2025 deshalb ein durchaus sportliches Ziel.

Der Grenzwert für 2020 entspricht einem Verbrauch von vier Litern Benzin auf 100 Kilometer. Mit einem großen Allradkraxler ist so ein Minimalwert bei Weitem nicht zu schaffen. SUV boomen, mittlerweile machen sie mehr als ein Drittel aller Zulassungen aus. Ohne Hunderttausende zusätzlicher Stromer werden alle Marken ihre Klimaziele daher deutlich verfehlen. Der Marktforscher Ferdinand Dudenhöffer vom Car-Institut Duisburg-Essen rechnet ab 2020 mit einem jährlichen Bedarf von 1 450 000 Elektroautos für Europa. Das entspricht einem Elektro-Anteil von neun Prozent aller Neuwagen. Umgelegt auf die deutschen Hersteller bedeutet das: BMW und Mini benötigen 93 000 neue Batterieautos, Daimler 101 000 und die VW-Gruppe 347 000, wenn sie Strafzahlungen vermeiden wollen. Pro Jahr, versteht sich.

Um die relativ hohen Stückzahlen in den Markt zu drücken, müssen die Hersteller anfangs auf einen großen Teil ihrer Marge verzichten. Trotzdem könnte sich der Umstieg auf die E-Mobilität auch finanziell lohnen: "Die CO₂-Regulierung setzt einen ungewohnten Preismechanismus in Gang", erklärt Ferdinand Dudenhöffer: "Elektroautos werden für die Autobauer bis zu einem gewissen Volumen um mehr als 10 000 Euro pro Fahrzeug wertvoller als der Preis, den sie am Markt erzielen." Der Rechnung liegen die Strafzahlungen zugrunde, die den Autoherstellern drohen. Ohne Batterieautos müssten BMW/Mini laut Dudenhöffer mit einer CO₂-Strafe von gut einer Milliarde Euro rechnen, bei Mercedes/Smart wären schon 1,248 Milliarden fällig, und im gesamten Volkswagenkonzern sogar fast vier Milliarden Euro.

Elektroautos bieten den Unternehmen durch die Vermeidung von Strafzahlungen also einen hohen Zusatzwert - selbst, wenn sie dafür zunächst tief in die Tasche greifen müssen. "Klar, die Margen werden am Anfang niedriger sein. Aber der Trend zur Elektromobilität ist unumkehrbar", erwartet Ferdinand Dudenhöffer: "Wer nicht mitmacht, verliert den Markt und muss Strafe zahlen." Seinen Schätzungen zufolge dürften die Preise der rein elektrischen Fahrzeuge mit 70 Kilowattstunden Batteriekapazität im Jahr 2025 auf dem Niveau eines Dieselneuwagens liegen. Dann könnten sich auch die Gewinnmargen der Autohersteller wieder normalisieren.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: