Süddeutsche Zeitung

CO₂-Auflagen:Lkw-Hersteller wollen Grenzwerte verwässern

  • An diesem Donnerstag entscheidet die EU-Kommission, wie viel Sprit Lkw verbrauchen dürfen, um weniger CO₂ auszustoßen.
  • Für Hersteller sind strenge Regeln eine Horrorvision. Ihre Lobbyarbeit hatte offenbar Erfolg, jetzt ist von geringeren Grenzwerten die Rede.

Von Markus Balser, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Um wie viel es gerade in Brüssel geht? Die Antwort gibt schon das Ausmaß der Lobbyschlacht um neue CO₂-Grenzwerte für Lkw: Dass Hersteller niedrige und Umweltschützer hohe Grenzwerte fordern, gilt in Brüssel schon als normale Kulisse einer wichtigen Abgasentscheidung. Dass sich aber auch die Post von Weltkonzernen wie Unilever, Ikea oder Frankreichs Supermarktkonzern Carrefour und diversen Regierungen in den Büros von Kommissionschef Jean-Claude Juncker und seinen Kommissaren stapelt, macht die Brisanz jener Entscheidung klar, die die Kommission an diesem Donnerstag bekannt geben will.

Es geht nicht nur um millionenschwere Transportkosten, denn weniger CO₂ bedeutet auch weniger Spritverbrauch beim Transport von Möbeln oder Lebensmitteln. Es geht auch darum, ob die langfristigen europäischen Klimaziele eine Chance haben.

Losgetreten hat das Ringen um Einfluss der Brüsseler Plan, den Dieselverbrauch von Nutzfahrzeugen über strengere CO₂-Grenzwerte zu senken. Nach monatelangen Verhandlungen will die Kommission nun entsprechende Pläne veröffentlichen. Der Handlungsdruck ist groß. Schließlich gilt der Verkehrssektor noch immer als Europas großes Klimaproblem. Er steht für fast 30 Prozent des gesamten Treibhausgasausstoßes der EU.

Besonders problematisch sind schwere Lkw. Sie machen ein Viertel der Abgase des Straßenverkehrs aus - mit steigender Tendenz. In vertraulichen Papieren mahnte Frankreich deshalb "ambitionierte Ziele" an. Umwelt- und Verkehrsminister aus den Niederlanden, Luxemburg, Irland und Litauen forderten nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in Brüssel Anfang Mai per Brief 24 Prozent weniger Spritverbrauch und CO₂-Ausstoß bis 2025 und gar 45 Prozent bis 2030.

Die Lkw-Hersteller sehen, was aus Pkw-Grenzwerten wurde

Für Hersteller wie MAN oder Daimler ist das eine Horrorvision. Und so hält man dagegen. In Brüssel versuchten einige deutsche Produzenten bis zuletzt, die Vorgaben in ihrem Sinne zu verwässern. Sie nahmen sich die Autobauer zum Vorbild und setzten dabei auf einen Mann: Günther Oettinger. Der deutsche EU-Kommissar sollte seine Kollegen davon überzeugen, dass der Vorschlag die Unternehmen nicht zu sehr belasten darf. Oettinger, der eigentlich für Haushalt und Personal zuständig ist, nannte schon die Flottenvorgaben für Autos einen bedenklichen Fall von "Planwirtschaft". Um eben diese Grenzwerte geht es auch bei den sehr viel schwereren Lastkraftwagen. Die Hersteller halten ihrem Branchenverband zufolge gerade mal ein Drittel der Forderungen für machbar.

Nachdem schon die Pkw-Grenzwerte abgeschwächt wurden, landen nun offenbar auch die Lkw-Hersteller einen Erfolg. Wobei die Kommission von Ausgewogenheit spricht: Die Industrie habe eine Absenkung von sieben Prozent vorgeschlagen, sagt Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Kommission. "Aber wir sind überzeugt, dass das Ziel von Minus 15 Prozent bis 2025 mit bestehenden Technologien erreicht werden kann." Darauf läuft es wohl hinaus. Weitergehende Ziele bedürften hingegen anderer Techniken, etwa E-Lastwagen oder windschnittige Kabinen, sagt er. Um den Herstellern diese Entwicklung zu ermöglichen, sei die nächste Emissionsreduktion - um weitere 15 Prozent - erst für das Jahr 2030 vorgesehen.

Umweltverbände sind entsetzt. Der Gesetzentwurf könne in diesem Fall keinen substanziellen Beitrag leisten, um die deutschen Klimaziele zu erreichen, warnt der Leiter des Bereichs Verkehrspolitik des Nabu, Dietmar Oeliger. Bereits mit heutigen Technologien seien beim Lkw Effizienzsteigerungen von etwa 40 Prozent realisierbar. Warum dieses Potenzial angesichts der enormen Herausforderungen im Zuge der Dekarbonisierung des Verkehrssektors nicht auch umgesetzt werde, sei ihm völlig unverständlich.

Ein Anreizsystem könnte Firmen belohnen, die sich umstellen

Wie die Grenzwerte im Detail ausfallen, will die EU-Kommission am Vormittag bekanntgeben. Sie sind Teil des sogenannten Mobilitätspakets, zu dem auch Strategiepläne für Batterien sowie autonomes und vernetztes Fahren gehören. Eine mögliche Stellschraube aus Sicht der Industrie wäre es, wenn die Kommission es erlauben würde, Lkw mit alternativen Antrieben als eine Art Bonus im Flottenverbrauch zu berücksichtigen - dann müssten die Schadstoffausstöße bei den herkömmlichen Motoren nicht so stark zurückgefahren werden.

Ein solches Anreizsystem könnte auch Firmen belohnen, wenn sie viele Fahrzeuge herstellen, die weniger als einen bestimmten Wert Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. Enthält ihre Flotte in den nächsten Jahren einen von der Kommission vorgegebenen Anteil, müssten sie insgesamt niedrigere CO₂-Ziele erreichen. Emissionsfreie Fahrzeuge mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb dürften stärker angerechnet werden als Hybridmodelle.

Das Parlament und die Mitgliedstaaten müssen dem Gesetzentwurf dann noch zustimmen. Dass der Kampf um Grenzwerte auf der Straße dort weiter geht, zeigt das Beispiel Pkw-Verkehr. Denn die vor einigen Monaten in Brüssel verabschiedeten Werte für Autos wurden von den Fachleuten in Straßburg zerpflückt.

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SZ vom 17.05.2018/sana
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