Süddeutsche Zeitung

Cloud-Computing:Wie Europa die Abhängigkeit von US-Techkonzernen verringern will

Microsoft und Google steigern ihre Gewinne kräftig - auch wegen des Cloud-Geschäfts. Zusammen mit Amazon beherrschen die beiden Unternehmen den europäischen Cloud-Markt zu 68 Prozent.

Von Helmut Martin-Jung

Es sieht so freundlich aus, so einladend, zum Beispiel bei Amazon. Ein kleiner privater Blog gefällig? Oder ein großer digitaler Shop? Egal. Ein paar Klicks hier, ein paar Daten eingeben dort, und schon kann es losgehen. Auf in die neue Welt, auf in die Cloud. Kaum einer glaubt noch, dass Wirtschaft und Verwaltung herumkommen werden um diese Cloud. Dass sie also ihre Daten in solchen Rechenzentren speichern und verarbeiten - es ist einfach wirtschaftlicher so. Und es ist nötig, wenn Mitarbeiter von überall her auf Daten zugreifen sollen.

Noch sind die meisten - Behörden wie Unternehmen - erst auf dem Weg dorthin. Doch diejenigen, die schon drin sind in der Cloud, vertrauen ihre Daten oftmals den Großen an, den Amazons, Microsofts und Googles. Hyperscaler nennt man sie und ein paar Mitbewerber in der Branche, weil sie ihr Angebot scheinbar unendlich erweitern können. Und weil sie groß sind. Richtig groß. Allein zwischen 2015 und 2020 verdoppelte sich die Zahl ihrer Rechenzentren weltweit auf knapp 600. Zusammen beherrschen allein Amazon, Microsoft und Google den europäischen Markt zu 68 Prozent.

Microsoft und Alphabet, der Mutterkonzern von Google, legten am Dienstagabend nach US-Börsenschluss neue Zahlen vor. Ihre Umsätze sind im zweiten Quartal dieses Jahres kräftig gestiegen - und die Cloud-Dienste sind ein Grund dafür. Die Azure-Plattform von Microsoft, die zahlreichen anderen Unternehmen und Apps IT-Dienste und Speicherplatz im Netz bietet, steigerte den Umsatz um überraschend starke 51 Prozent. Die Cloudsparte von Alphabet liegt beim Marktanteil zwar weit hinter Amazon und Microsoft, konnte aber Marktanteile gewinnen und den Umsatz um 54 Prozent steigern.

Ist Europa, ist Deutschland schon wieder mal zu lahm? Verliert die alte Welt gar die Herrschaft über ihre Daten? Wächst die Abhängigkeit von den USA, von China noch weiter?

Die Antwort ist ja, wenn jetzt nichts passiert. Denn noch ist es nicht zu spät. Und es tut sich was. Vor Kurzem hat das Bundeswirtschaftsministerium den Förderantrag für ein Projekt bewilligt, das tatsächlich etwas bewegen könnte. Die Open Source Business Alliance (OSB Alliance) bekommt für einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren insgesamt 15 Millionen Euro. Das Ziel des deutschen Verbandes mit 170 Mitgliedsfirmen und -organisationen: Einen Werkzeugkasten an Software zusammenzustellen, der es auch kleineren Anbietern oder einzelnen Firmen erlaubt, selbständig eine Cloud zu betreiben, die konkurrenzfähig ist.

Das Projekt soll den technischen Unterbau liefern für das europäische Projekt Gaia-X. Einzelpersonen, öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen sollen aus einer Vielzahl von Anbietern wählen können, die alle denselben Standards und Regeln folgen. Wenn einem Anbieter A nicht passt, ist es kein Problem, zu Anbieter B zu wechseln. Es gibt keinen vendor lock-in, wie es in der Branche heißt, wenn Anbieter es durch herstellerspezifische Standards schwierig bis unmöglich machen, mal eben schnell den Anbieter zu wechseln. Gaia-X soll auch mithelfen zu verhindern, dass europäische Firmen Probleme bekommen, wenn etwa die Amerikaner mal wieder einen Präsidenten à la Donald Trump wählen.

Das Besondere an dem Werkzeugkasten: Alle seine Bestandteile sind Open-Source-Projekte. Schon während der Entwicklung ist der Quellcode also einsehbar. Jeder kann daran mitarbeiten und seine eigenen Ideen einbringen. Viele Unternehmen wie etwa Bosch haben inzwischen erkannt, dass darin ein großes Potenzial steckt: Die Grundlagentechnologien, die ohnehin viele Unternehmen brauchen, entwickelt man am besten gemeinsam. Differenzieren kann man sich damit ja nicht. Das muss man mit dem tun, was auf dieser Basis dann entsteht.

Der Datenschutz soll dem hohen deutschen Standard entsprechen

Die Hauptaufgabe des Teams bei der OSB Alliance ist es nun, die verschiedenen Software-Werkzeuge zusammenzubinden. "Das ist alles andere als trivial", sagt Kurt Garloff von der OSBA. Garloff weiß, wovon er spricht, er hat die Open Telekom Cloud aufgebaut. Die könnte man als eine Art Muster dafür sehen, wie andere Anbieter sich aufstellen könnten. Die verwendete Software stammt aus der Open-Source-Welt, der Datenschutz entspricht dem hohen deutschen Standard.

"Die Regierung hat erkannt, dass es hier ein Marktversagen gegeben hat", sagt Peter Ganten, Vorstandschef der OSBA. Es bestehe das Risiko einer unauflösbaren Abhängigkeit von den großen Cloud-Anbietern. Deshalb habe das Ministerium die Vollförderung für das Projekt übernommen, das eine Basis-Infrastruktur schaffen soll.

Denn das Hauptproblem kleinerer Cloud-Anbieter ist es, den ganzen Zirkus an Software zu bändigen, der zum Betrieb einer Cloud nötig ist. "Der Aufwand dafür, die Basissysteme zu pflegen, wird immer größer", sagt Ganten. "Viele kämpfen damit", ergänzt Garloff. Das Projekt der OSB Alliance, genannt Sovereign Cloud Stack (SCS), soll dieses Problem lösen. Und dazu beitragen, dass nicht wie bei Messenger-Diensten, Internetsuche und sozialen Netzwerken amerikanische und chinesische Firmen alles dominieren. Abhängigkeit wäre die Folge: "Das ganze Cloud-Ökosystem stirbt ab, wenn wir nichts machen", warnt Ganten.

Die Nachfrage sei groß, sagt Ganten. Zum Beispiel von einem großen Unternehmen aus der Autobranche. Es wolle die Cloud-Fähigkeiten im eigenen Unternehmen haben, um nicht abhängig zu sein von den Großen. Das sieht auch Ganten so: "Wenn zum Beispiel autonomes Fahren nur noch geht, wenn Amazon oder Google mitmachen, dann werden auch die Gewinne dort landen." Oder künstliche Intelligenz: "Da fallen riesige Datenmengen an", sagt Garloff, "aber nur ein einstelliger Prozentsatz davon wird in der EU gespeichert."

Die Idee für eine aufeinander abgestimmte Sammlung an Software gibt es schon länger, die OSBA hat daran auch schon vor der endgültigen Förderzusage gearbeitet. Deshalb gibt es nun auch schon eine erste Version, die zwei Cloudanbieter bereits testen. Künftig soll eine kleinere Gruppe von etwa zehn bis zwölf Leuten das Projekt steuern, sagt Ganten, "einen Großteil der Arbeit werden wir herauslösen in Aufträge, für die man in öffentlichen Ausschreibungen bieten kann".

Es müssen genügend Entwickler und Firmen mitmachen

Entscheidend ist nun, ob es gelingt, wie Garloff das formuliert, "eine kritische Masse" zu erreichen. Genügend Entwickler und Firmen also, die mitmachen und so dafür sorgen, dass eine Plattform entsteht und eine nachhaltige Finanzierung gewährleistet ist. "Das Geld wäre verloren, wenn es keine Weiterentwicklung gäbe", sagt Ganten. Software müsse schließlich ständig neueren Erfordernissen angepasst werden. Deshalb sei eine ausreichend große Community nötig.

In der OSBA ist man allerdings zuversichtlich, dass das klappt. "Unternehmen testen es bereits intern, aus der öffentlichen Verwaltung gibt es großes Interesse." Auch bevor das Projekt überhaupt begonnen wurde, hätten Gespräche mit vielen Leuten aus der Branche gezeigt: "Das ist es, was man machen muss", habe etwa Rafael Laguna de la Vera gesagt. Er ist Vorsitzender der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Einem Gremium also, das Deutschland sozusagen auf die digitalen Sprünge helfen soll. "Viele Cloud-Provider kommen jetzt und wollen mitmachen", sagt Ganten.

Die OSBA als unabhängige Institution der Open-Source-Wirtschaft sei "die ideale Heimat" für das Projekt, sagt Ganten. Kurt Garloff sekundiert: Über den Verband verfüge man über ein gutes Netzwerk, schließlich sei hervorragende Entwicklung mit Erfahrung auf diesem Gebiet erforderlich. Für die OSBA, einen im Vergleich zu anderen Verbänden eher kleinen Zusammenschluss, eine ziemliche Aufgabe, gibt Ganten zu: "Die Schlagzahl hat sich deutlich erhöht."

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