Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Clayton Christensen:Der Vordenker des Silicon Valley

Er machte mit seinem Buch "The Innovator's Dilemma" in den Neunzigerjahren "Disruption" zum Schlüsselbegriff der Tech-Branche und beeinflusste Figuren wie Steve Jobs. Nun ist der US-Ökonom Clayton Christensen gestorben.

Von Nikolaus Piper

Kann sich noch jemand an die Zeiten erinnern, als die Deutschen entweder auf einem Siemens- oder einem Nokia-Handy telefonierten? Das war Ende der Neunzigerjahre. Nokia setzte sich durch und beherrschte den Markt. Dachte man damals. Dann kam das Jahr 2007, in dem Steve Jobs von Apple das iPhone auf den Markt brachte. Heute wissen junge Leute kaum noch, was Nokia überhaupt ist.

Die Geschichte mit Siemens, Nokia und dem iPhone ist ein Lehrbuchbeispiel für das, was der Ökonom Clayton Christensen "Disruption" nannte und als eines der wichtigsten Phänomene einer dynamischen Wirtschaft beschrieb. Christensen, zuletzt Professor an der Harvard Business School, wurde berühmt durch sein 1997 erschienenes Buch "The Innovator's Dilemma". Dessen Einfluss auf das Denken in den IT-Unternehmen des Silicon Valley ist kaum zu überschätzen. Wenn es so etwas wie den Ökonomen des Valley gegeben haben sollte, dann war das Clayton Christensen. Jedenfalls sahen das viele der ganz Großen aus der IT-Industrie so. Andy Grove etwa, Mitgründer des Chip-Herstellers Intel, behauptete einmal, "The Innovator's Dilemma" sei das beste Buch, das er in zehn Jahren gelesen habe. Er holte Christensen als Berater in seine Firma. Steve Jobs, Mitgründer von Apple, gehörte ebenso zu Christensens Bewunderern wie Amazon-Gründer Jeff Bezos.

Das "Dilemma des Innovators" besteht, laut Christensen, darin, dass Manager alles richtig machen können, dass sie auf ihre Kunden hören, nur in ertragreiche Projekte investieren, die eigenen Produkte immer besser machen - und doch scheitern, weil sie neue Produkte nicht erkennen, die ihr bisheriges Geschäft obsolet machen. Wie eben das iPhone. "Um an der Spitze der Industrie zu bleiben, müssen Manager in der Lage sein, disruptive Technologien zu erkennen", schrieb Christensen. Dafür müsste es aber eigene Organisationsstrukturen unabhängig vom herkömmlichen Geschäft geben. Als Lehre daraus konnten bei Google die Mitarbeiter eine Zeit lang ein Fünftel ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte nutzen.

Clayton Christensen kommt aus einem Umfeld, das für einen Innovationsforscher ein wenig überraschend ist. Er wuchs in Salt Lake City auf, der Hauptstadt des Mormonenstaats Utah, und war Mitglied der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" mit ihren strengen Regeln für den Alltag der Gläubigen. Zwischen 1971 und 1973 reiste er, wie von der Mormonenkirche verlangt, als Missionar durch Südkorea.

Als junger Mann mit einem Körpermaß von 2,03 Metern spielte er leidenschaftlich Basketball. Die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens jedoch hatte er mit schweren Krankheiten zu kämpfen. Er hatte Diabetes, Krebs und einen Herzinfarkt. Am vorigen Donnerstag starb Clayton Christensen in Boston an Komplikationen seiner Leukämie-Therapie.

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SZ vom 27.01.2020/cku
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