Kolumne: Femme Digitale:Wenn schweigende Akzeptanz schwindet

Claudia Neumann

Sportjournalistin Claudia Neumann kommentiert gemeinsam mit Fußball-Weltmeisterin Ariane Hingst die Spiele der Europameisterschaft 2021 im ZDF.

(Foto: dpa)

Frauen wie die Sportjournalistin Claudia Neumann erfahren Hetze im Internet. Nun formt sich eine neue Solidarität.

Kolumne von Kathrin Werner

Das ZDF Sportstudio hat im Moment viel mit Unsportlichkeit zu tun. Die findet allerdings nicht auf dem Fußballplatz oder in der Tennis-Arena statt, sondern im Internet, vor allem auf Twitter und anderen sozialen Medien. Und weder Opfer noch Täter sind Sportler oder Sportlerinnen.

Das Social-Media-Team der Sportsendung hält sich bislang sehr wacker. "Die blöde Alte wieder", schrieb ein empörter ZDF-Zuschauer. "Darum schicken wir unsere Frauen extra weg beim Fußball", schrieb ein anderer. "Warum hört diese Quälerei nicht auf? Jetzt sind es schon zwei Frauen, die kommentieren", klagt ein Twitter-Nutzer. "Warum erlöst uns niemand davon?" Das ZDF reagierte: "Statistisch gesehen machen Frauen etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung aus. Dass zwei von ihnen zusammen ein Fußballspiel kommentieren, sollte Menschen mit mathematischen Grundkenntnissen nicht überraschen." Die Dialoge zwischen ZDF und Fans sind knackig: "Warum kommentieren zwei Frauen? Warum?", fragt der Zuschauer. Das ZDF antwortet: "Warum denn nicht?" "Eine Moderatorin, die mit tieferer Stimme versucht, maskulin zu wirken, und die hektische Co-Moderatorin sind übel", meint ein anderer. "Die beiden Kommentator:innen sprechen mit ihren natürlichen Stimmen und imitieren keine Männer", antwortet das ZDF. "Generationen von Männern haben sich auch deshalb auf Fußball gefreut, weil sie dann mal nicht von einer Frau zugetextet werden. Aber Quote ist ja wichtiger", schreibt einer. Das ZDF antwortet: "Das ist also dieser Sexismus im Internet, vor dem immer gewarnt wird."

Ja genau, das ist dieser Sexismus. Sportjournalistin Claudia Neumann, die gemeinsam mit Fußball-Weltmeisterin Ariane Hingst im ZDF EM-Spiele kommentiert, erlebt gerade etwas, das viele Frauen kennen und fürchten: Hass und Hetze in sozialen Medien. Was allerdings vergleichsweise neu ist, ist die Reaktion auf die Pöbler. Das Social-Media-Team ignoriert sie nicht, sondern weist sie in ihre Schranken, klar und deutlich. Und es bekommt dabei sogar Unterstützung von der Konkurrenz. "Unabhängig davon, dass Claudia Neumann und Ariane Hingst beim ZDF kommentieren, wäre ein netterer Umgang miteinander und ein etwas respektvollerer Ton doch ganz cool, oder?", twittert die Sportschau von der ARD.

Eine Gefahr für die Demokratie

In den vergangenen Monaten haben Menschen noch mehr Hass im Internet erlebt als in den Jahren zuvor - auch weil andere Ventile fehlen. Besonders oft sind es Frauen, die zum Opfer werden. 88 Prozent aller Menschen, die Zeugen digitaler Gewalt geworden sind, berichten, dass sich die Gewalt gegen Frauen richtete, ermittelte eine bundesweite Studie im Jahr 2019. Frauen erhalten Vergewaltigungsdrohungen, werden zum Geschlechtsverkehr aufgefordert oder schlicht "zurück in die Küche" geschickt. Laut einer weltweiten Studie von Plan International wurden 58 Prozent der Mädchen und jungen Frauen bereits online missbraucht.

Besonders oft trifft es Frauen, die wie Sportjournalistin Neumann im öffentlichen Leben stehen. "Es trifft Kommunalpolitikerinnen, Aktivistinnen und Journalistinnen, die mundtot gemacht werden sollen, bis sie sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen", sagt Anna-Lena von Hodenberg von Hate Aid. "Leider ist das erfolgreich." Hate Aid betreut die Opfer von Hass im Internet und unterstützt sie zum Beispiel mit Klagen gegen die Online-Beleidiger und auch gegen Plattformen wie Twitter und Facebook selbst. Viele der Hass-Äußerungen sind rechtswidrig, doch Betroffene können ihre Rechte auf Löschung und Strafverfolgung nur schwer durchsetzen - Prozesse sind langwierig und teuer. Das liegt auch daran, dass Gerichte manchmal nicht so entscheiden, wie erwartet. Ein Urteil in einem Prozess der Grünen-Politikerin Renate Künast kam zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass sie mit Beschimpfungen wie "Drecks Fotze", "Schlampe", "Sondermüll", "Drecksau" oder "Geisteskranke" eben leben müsse.

Kathrin Werner, Digi-Kolumne

An dieser Stelle schreiben jeden Dienstag Marc Beise, Helmut Martin-Jung, Jürgen Schmieder und Kathrin Werner im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker

Auch Männer machen den Mund auf - gut so!

Da kann einem leicht die Lust vergehen, sich öffentlich zu äußern. Und erst recht, sich an Debatten in sozialen Medien zu beteiligen. Das führt dazu, dass weibliche Stimmen noch weniger gehört werden als ohnehin schon. Frauen zensieren sich selbst, schwächen ihre Kommentare immer weiter ab, bis sie irgendwann ganz verstummen. "Ein gefährlicher Schneeballeffekt: Betroffene ziehen sich aus den Debatten im Netz zurück - Täter*innen agieren immer enthemmter und aggressiver - unsere Demokratie erodiert", heißt es bei Hate Aid. Und es geht nicht nur um die Extremfälle, die tatsächlich als Beleidigungen strafbar wären - wenn sie denn verfolgt würden. Es geht auch um den Fußball-Stammtisch-Sexismus, den Neumann erleiden muss - und der dazu führt, dass sich Frauen nicht willkommen fühlen.

Doch nicht nur die Social-Media-Teams von ARD und ZDF, auch andere Stimmen lehnten sich in den vergangenen Wochen zunehmend gegen den Hass auf - auch viele Männer. Die Grünen-Politikerin Ricarda Lang musste vor ein paar Tagen viele fiese Kommentare ertragen, die vor allem auf ihren Körper anspielten, nachdem sie in einer Talkshow heftig mit einem CSU-Politiker über den Benzinpreis diskutierte. Die Hetze danach soll hier nicht zitiert werden. Aber das doch: "Die Angriffe auf #RicardaLang wegen Äußerlichkeiten sind einfach nur asozial! Solchen Hass verurteile ich. Meine volle Unterstützung für @Ricarda_Lang!", twitterte CDU-Generalsekretär @PaulZiemiak.

Lange haben sowohl die männlichen Eliten, zu denen Ziemiak gehört, als auch die breite Masse zu Hass im Netz geschwiegen - und so den Eindruck entstehen lassen, dass die Mitte der Gesellschaft vielleicht den Ton nicht mag, sich aber im Grunde nicht daran stört, wenn Frauen stummgeschaltet werden. Jetzt zeigen sie Solidarität. Das ist genau das, was Frauen brauchen, damit sich nicht nur wenige weiterhin in die Öffentlichkeit trauen. Mehr davon!

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