"Cityboy"-Autor Geraint Anderson:"Ich fühle mich wie ein Sünder"

Ein Ex-Banker packt aus: Geraint Anderson war einer der flotten Jungs aus der Londoner City. Nun berichtet der Aussteiger über das ausschweifende Leben der Banker - und die Gepflogenheiten der Frankfurter Kollegen.

Andreas Oldag

Als junger Banker machte Geraint Anderson im Londoner Finanzviertel Karriere. Er arbeitete als Wertpapierhändler für ABN Amro und Dresdner Kleinwort. Dann begann er unter dem Pseudonym "Cityboy" Zeitungs-Kolumnen zu schreiben. Anfang des Jahres ist der 36-Jährige ausgestiegen, um ein Buch mit dem Titel "Cityboy - Bier und Abscheu im Finanzviertel" zu veröffentlichen. Anderson liefert einen intimen Einblick in das ausschweifende Leben der Banker und Broker, das von Geld und Gier bestimmt ist. Zum Interview kommt er auf seinem verbeulten Motorroller gefahren.

"Cityboy"-Autor Geraint Anderson: Blick auf das Finanzviertel von London: "Es gibt Leute, die haben noch im vergangenen Jahr Millionen einschließlich Bonuszahlungen verdient", sagt Geraint Anderson.

Blick auf das Finanzviertel von London: "Es gibt Leute, die haben noch im vergangenen Jahr Millionen einschließlich Bonuszahlungen verdient", sagt Geraint Anderson.

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Ist Ihr verbeulter Roller Ausdruck der neuen Bescheidenheit der Londoner Banker?

Geraint Anderson: (lacht) Ich brauche keinen Ferrari oder Porsche. Mir bedeuten solche Statussymbole nichts. Mit der Vespa bin ich ohnehin viel schneller unterwegs in der City. Außerdem habe ich noch einen alten Vauxhall. Der stammt von meiner Mutter. Übrigens ist meine Rolex eine Fälschung, die ich im Türkei-Urlaub gekauft habe. Und wenn Sie es genau wissen wollen: Ich habe noch ein Haus im Londoner Stadtteil Shepherd's Bush. Aber das ist alles kein Luxus...

SZ: Wie verkraften Ihre ehemaligen Kollegen die Finanzkrise? Das muss doch gewaltig auf die Psyche schlagen.

Anderson: Richtig. Für viele bedeutet das einen tiefen Einbruch. Sie müssen sich vorstellen: Es gibt Leute, die haben noch im vergangenen Jahr Millionen einschließlich Bonuszahlungen verdient. Viele meiner ehemaligen Kollegen müssen hohe Kredite abzahlen für teure Wohnungen und Häuser. Die pflegten bislang einen unglaublichen Lebensstil. Da kann es nun plötzlich eng werden. Neben der psychologischen Situation geht es ums Geld. Jeder muss sich einschränken. Das fällt umso schwerer, je luxuriöser man vorher gelebt hat.

SZ: Müssen wir nun Mitleid haben mit den Meistern des Universums?

Anderson: Ja und nein. Für die junge Generation der Banker, die 25- bis 35-jährigen, ist doch die jetzige Krise eine völlig neue Lebenserfahrung, sieht man mal von dem kurzen Börseneinbruch nach den Terroranschlägen 2001 ab. Damals ging die Party schon nach kurzer Zeit weiter. Diesmal wird es nicht so einfach. Für viele bedeutet das einen scharfen Knick in der Karriereleiter oder sogar den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Da wird es auch persönliche Tragödien geben.

SZ: Was schätzen Sie, wie viele Arbeitsplätze sind in Gefahr?

Anderson: Im Londoner Finanzviertel stehen Zehntausende Jobs auf dem Spiel. Aber natürlich sieht das die Öffentlichkeit auch als gerechte Strafe für die übermäßige Gier an. Im Englischen benutzen wir dafür auch das deutsche Wort Schadenfreude. Aber ich persönlich spüre da keine Häme.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Geraint Anderson ziemlich schnell ziemlich erfolgreich wurde - und warum er sich jetzt als Frührentner betrachtet.

"Ich fühle mich wie ein Sünder"

SZ: Sie gehören ja selbst zu den Privilegierten. Wie gehen Sie damit um, dass die Banker nun als die Inkarnation des bösen Kapitalismus schlechthin verschrien sind?

Anderson: Ich habe schon in gewisser Weise ein schlechtes Gewissen. Ich fühle mich wie ein Sünder. Aber das ist nicht nur ein Problem der Banker. Wenn ich mir die Welt ansehe, ist die Diskrepanz zwischen Arm und Reich ein schlimmes Problem. Das gilt auch für Großbritannien. Wir sind eine Klassengesellschaft. Ich bin in einer privilegierten Familie aufgewachsen. Mein Vater war Labour-Abgeordneter und ist dann Lord im britischen Oberhaus geworden. Ich konnte in Cambridge Geschichte studieren. Und dann habe ich jetzt das Privileg, Frührentner zu sein.

SZ: Wie bitte?

Anderson: Ja gewiss. Im letzten Jahr meiner Karriere als Banker habe ich eine Prämienzahlung von 500.000 Pfund erhalten. Ich habe mir immer geschworen, die Londoner City zu verlassen, wenn ich zwei Millionen in der Tasche habe. Das ist mir gelungen. Nun kann ich tun und lassen, was ich will, ohne Geldsorgen zu haben. Insofern bin ich Rentner. Aber natürlich werde ich mich nicht auf die faule Haut legen.

SZ: Was bedeutet Geld für Sie?

Anderson: Geld ist eine Art Rauschmittel. Es wirkt wie eine Droge, die abhängig macht. Das ist auch mir passiert. Ursprünglich hatte ich vor, nur fünf Jahre im Bankgeschäft zu sein. Es wurden am Ende zwölf. Da ist die große Verlockung der Prämienzahlung an jedem Jahresende. Und jedes Jahr sagt man sich, im nächsten lässt sich noch etwas mehr aufs Konto bringen. Ich verbündete mich mit dem Teufel, um meine Ziele zu erreichen.

SZ: Können Sie sich an ihren ersten Arbeitstag als Banker erinnern?

Anderson: Ja, sehr genau. Ich fing im August 1996 bei ABN Amro in London an. Ich hatte mir einen gebrauchten Nadelstreifenanzug für sechs Pfund im Charity-Shop gekauft. Außerdem hatte ich meine Ohrringe entfernt. Mein einstiges Image als Hippie passte nicht so recht. Ich kam dann in eine völlig neue Welt. Große Ahnung hatte ich nicht. Mein Bruder gab mir kurz vorher noch einen 30-Minuten-Crashkurs in Sachen Finanzen. Ich wusste ja nicht einmal, was beispielsweise ein Kurs-Gewinn-Verhältnis ist.

SZ: Aber dennoch waren Sie offenbar ziemlich schnell erfolgreich.

Anderson: Ich war niemals ein brillanter Analyst. Das lag auch an meinen mangelhaften Mathematik-Kenntnissen. Doch meine Fähigkeiten lagen im Verkauf. Ich reiste dann viel in der Welt herum, um mit Investoren zu verhandeln. Ich war für den Verkauf von Aktien der Strom- und Gasversorger zuständig, darunter auch der deutsche Eon-Konzern. Es war eine tolle Zeit. Es gab mir Selbstsicherheit und natürlich auch den Erfolg. Ich jettete nach Tokio, New York, Rio und so weiter. Abends aßen wir in Dreisterne-Restaurants. Das gehörte dazu.

Lesen Sie im dritten Teil, welche Rolle Drogen in der Finanzwelt spielen - und welches kriminelle Potential in Bankern schlummert.

"Ich fühle mich wie ein Sünder"

SZ: Waren Sie auch in Frankfurt?

Anderson: Klar. Mir ist übrigens aufgefallen, dass die deutschen Banker-Kollegen viel ernsthafter bei der Sache sind. Sie trinken auch nicht so viel Alkohol, wie es in der Branche in London üblich ist. Aber trotzdem gefällt mir London besser: Die Stadt ist internationaler. Das ganze Finanzgeschäft ist noch schneller und dynamischer als auf dem europäischen Kontinent.

SZ: In Ihrem Buch ist auch von Drogen-Exzessen die Rede. Gehört das zum schnellen Leben der Cityboys?

Anderson: Ja, leider. Das sind die Folgen des Dauerstresses. Sie stehen ja ständig unter Erfolgsdruck. Und nach Feierabend wird dann über die Stränge geschlagen. Dann ist Party angesagt. Mir hat dieser dekadente Lebensstil allerdings nie gefallen. Insofern war ich ein Außenseiter.

SZ: Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen der Finanzkrise?

Anderson: Es ist die ausufernde Bonusmentalität in der Branche. Die Banker und Broker werden zu immer riskanteren Geschäften getrieben. Alles nur, um eine saftige Prämie am Ende des Jahres zu erhalten. Das ganze System treibt eine gefährliche Gier an. Man spielt ja letztlich mit dem Geld anderer. Bislang gab es viel zu wenige Kontrollen. Die Börsen-Aufsichtsbehörden haben versagt. Das muss sich ändern. Ansonsten steht uns die nächste Spekulationsblase schon bevor.

SZ: Sind Banker eigentlich kriminell?

Anderson: So würde ich das nicht sagen. Viele meiner ehemaligen Kollegen arbeiten hart. Natürlich gibt es auch Tricks. Insiderhandel gehört dazu. Da werden Gerüchte gestreut, um Aktien nach oben oder nach unten zu reden. Aber das sind die Ausnahmen. Es ist vielmehr das System der Gier, das fragwürdig ist.

SZ: Wie viel an Ihrem Buch ist eigentlich wahr?

Anderson: Etwa 80 Prozent beruhen auf wahren Ereignissen. Ich musste mich schützen und Namen von Personen und Banken ändern. Es ist ja so, als wenn man einen Mafia-Klub verlässt. Plötzlich sind Sie der Verräter. Ich will ja nicht Schadenersatzklagen haben.

SZ: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Anderson: Mit Sicherheit werde ich nie wieder in einem Büro arbeiten. Ich reise gern nach Indien und Afrika. In Kenia bin ich am Aufbau eines Schulprojekts beteiligt. Dann ist eine Fernseh-Verfilmung meines Buches geplant. Langeweile habe ich nicht.

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