Süddeutsche Zeitung

Chronik der Autobahn-Maut:Pleiten, Pech und Pannen

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Sie war eines der Prestigeobjekte der Regierung und beschäftigte vier Verkehrsminister: Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig und Manfred Stolpe (alle SPD). Nun wurde der Vertrag mit Toll Collect gekündigt und alles beginnt von vorne. Eine Übersicht.

18.10.1998: Die rot-grüne Koalition verkündet, sie wolle eine Lkw-Gebühr einführen, um Wegekosten gerechter zu verteilen.

15.08.2001: Das Kabinett fasst den Beschluss, die Maut 2003 einzuführen.

13.12.2001: Rot-Grün verabschiedet das Gesetz zum ersten Mal im Bundestag: Abhängig von Achslast und Schadstoffausstoß werden zwischen 10 und 17 Cent pro Kilometer erhoben.

01.02.2002: Der Bundesrat stoppt das Gesetz. Die Länder verlangen die Zweckbindung der Einnahmen für Infrastruktur sowie einen Ausgleich für die Wirtschaft. Der Vermittlungsausschuss soll einen Kompromiss finden.

02.03.2002: Der Vermittlungsausschuss billigt eine nachgebesserte Maut, dem kurze Zeit später Bundesrat und Bundestag zustimmen.

27.06.2002: Das Ergebnis der Ausschreibung wird bekannt gegeben: Ein Konsortium um die Deutsche Telekom und DaimlerChrysler mit dem damals noch unbekannten Namen Toll Collect erhält den milliardenschweren Auftrag, das geplante elektronischen Mautsystems aufzubauen und einzuführen. Als anvisierter Starttermin gilt der 31. August 2003.

29.06.2002: Das unterlegene Ages-Konsortium reicht beim Bundeskartellamt einen Nachprüfungsantrag ein, der im September zurückgewiesen wird.

23.12.2002: Toll Collect gerät ins Visier der EU-Wettbewerbshüter. Die Kommission verlängert eine Prüfung, da sie marktbeherrschende Stellung bei den so genannten Telematik-Systemen befürchtet. Ende April billigt Brüssel Toll Collect mit Wettbewerbsauflagen.

21.05.2003: Der Vermittlungsausschuss beschließt endgültig den Bund-Länder-Kompromiss. Bundestag und Bundesrat stimmen in der gleichen Woche zu. Demnach sind vom 1. September an im Schnitt 12,4 Cent pro Kilometer fällig.

22.07.2003: Die EU-Kommission leitet ein Prüfverfahren ein. Sie kritisiert die geplante Entschädigungen für deutsche Transportunternehmer.

31.07.2003: Die Wettbewerbshüter in Brüssel bemängeln, dass nicht ausreichend On Board Units für europäische Spediteure zur Verfügung stehen. Ohne diese Geräte können sich Lkw-Fahrer nur über das Internet oder über Terminals an Raststätten oder Tankstellen einbuchen.

Dies bringe Wartezeiten mit sich und somit einen Wettbewerbsnachteil gegenüber deutschen Spediteuren. Verkehrsminister Stolpe verspricht, die Zahl der Geräte deutlich zu erhöhen. Es kommt zu Lieferengpässen. Als neuer Starttermin wird der 2. November festgesetzt.

26.08.2003: Die EU-Kommission stimmt dem Start der Maut in Deutschland zu, nachdem Stolpe seine Pläne zurückgenommen hat, die Mautkosten zum Teil mit der Mineralölsteuer zu verrechnen. Eine Entschädigung für Spediteure ist damit zunächst nicht vorgesehen.

31.08.2003: Der ursprüngliche Starttermin verstreicht.

5.10.2003: Der erste von vielen Krisengipfeln zwischen Minister Manfred Stolpe und Toll Collect findet statt. Die Einführung der Maut wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Diskussion über Entschädigung nimmt an Schärfe zu, der Begriff "Maut-Debakel" macht die Runde.

14.10.2003: Bei Toll Collect muss der zuständige Manager Michael Rummel gehen.

14.11.2003: Die Verluste aus der verzögerten Maut-Einführung gehen nun auch zu Lasten der Investitionen in die Infrastruktur. Im Verkehrsetat des Bundes für 2004 wird von 9,5 Milliarden Euro gut 1 Milliarde zunächst gesperrt.

13.12.2003: Nach wochenlangen zähen Verhandlungen scheitern die Gespräche zwischen Toll Collect und dem Verkehrsministerium. Eine Einigung im Streit um Schadenersatz und einen neuen Starttermin wird nicht erreicht, man strebt aber das Sommerquartal 2004 an. Die vom 15. Dezember an mögliche Kündigung des Vertrages mit Toll Collect durch den Bund bleibt zunächst offen.

18.12.2003: Auf Druck des Haushaltsausschusses des Bundestages setzt Stolpe dem Mautbetreiber Toll Collect ein Ultimatum: Das Konsortium soll bis zum Jahresende einen verbindlichen Zeitplan und Vorstellungen für Schadenersatz-Leistungen vorlegen. Ansonsten wird der Vertrag gekündigt. Bevor die Kündigung wirksam wird, soll Toll Collect noch zwei Monate Zeit zum Nachbessern haben.

26.12.2003: Stolpe verlängert die gesetzte Frist hinsichtlich Starttermin und Ausgleichszahlungen unter Verweis auf Bewegung bei Toll Collect auf Ende Januar.

09.01.2004: Nach monatlichen Einnahmeausfällen von rund 156 Millionen Euro im vergangenen Jahren rechnet Bundesverkehrsminister Stolpe für das Jahr 2004 mit Mindereinnahmen von 180 Millionen Euro pro Monat. Es wird über eine Wiedereinführung der Euro-Vignette debattiert.

14.01.2004: Der Streit um die Milliardenausfälle bei der Lkw-Maut zwischen der Bundesregierung und dem Betreiberkonsortium soll durch ein Schiedsgericht entschieden werden.

Der Bundesverkehrsminister soll Toll Collect für Einnahmeausfälle und Vertragsstrafe 1,3 Milliarden Euro in Rechnung gestellt haben. Bundeskanzler Schröder mahnt die Nennung eines Start-Termins bis zum Monatsende an - sonst drohe ein "Donnerwetter".

27.01.2004: Toll Collect kündigt einen neuen Starttermin an: Am 31. Dezember 2004 soll eine technisch abgespeckte Version starten. Erst ein Jahr später könne das eigentliche Mautsystem einsatzbereit sein. Die bisher eingebauten 120.000 Bordcomputer in den Lkw müssen vor dem Start der zweiten Phase mit erneuerter Software versehen werden.

09.02.2004: Stolpe fordert von Toll Collect eine Nachbesserung des Angebots. Die Vorschläge von Toll Collect haben nach seinen Angaben einen "Hauch von Unverschämtheit". Das Unternehmen will eine Haftungsobergrenze von 500 Millionen Euro bei technischen Problemen festschreiben.

17.02.2004: Nach zwölfstündiger nächtlicher Verhandlung kündigt Verkehrminister Stolpe den Vertrag mit Toll Collect. Dem Konsortium bleiben zwei Monate Zeit, um ein verbessertes Angebot vorzulegen. Um Einnahmen zu sichern und in die Infrastruktur investieren zu können, soll die Euro-Vignette wieder eingeführt werden. Der Auftrag soll neu ausgeschrieben werden.

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