Christine Lagarde, EZB:Eine neue Strategie für die Notenbank

Christine Lagarde, EZB: Christine Lagarde war Chefin des IWF. Seit 1. November steht sie an der Spitze der EZB.

Christine Lagarde war Chefin des IWF. Seit 1. November steht sie an der Spitze der EZB.

(Foto: John Thys/AFP)

Von Markus Zydra

Es gibt Chefs, die wirken unangenehm, weil sie so tun, als ob sie alles besser wüssten. Da wirkt es positiv, wenn sich Christine Lagarde, die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank, nicht verstellen möchte. "Ich werde sagen, wenn ich etwas nicht weiß", versprach sie bei ihrer ersten Pressekonferenz. Ihr selbstbewusster Mut zur Lücke könnte ein guter Schachzug sein, um ihr großes Ziel zu erreichen: Lagarde, früher Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), möchte eine neue Strategie für Europas Notenbank entwickeln. An diese Aufgabe hat sich die EZB seit 2003 nicht mehr gewagt; das war vier Jahre nach Gründung der Währungsunion - und vor der großen Finanz- und Euro-Schuldenkrise, in der die EZB viel dazu beitrug, den Euro zu retten. Doch inzwischen mehrt sich Kritik an der langen Null- und Negativzinspolitik sowie den billionenschweren Anleihekäufen, weil diese Maßnahmen die Altersvorsorgepläne vieler Bürger durchkreuzen. Die meisten Menschen können und wollen nicht verstehen, warum die Notenbank mit diesen extremen Mitteln ein Inflationsziel von nahe zwei Prozent erreichen möchte, obwohl man doch auch ein Prozent Inflation per annum als einen Zustand der Preisstabilität bezeichnen könnte.

Lagarde hat das Jahr 2020 dazu ausgerufen, all diese Fragen zu diskutieren: mit den Kollegen der Euro-Notenbanken, mit Wissenschaftlern, mit dem EU-Parlament, aber auch mit der Zivilgesellschaft, wie sie sagte. Im Jahr 21 ihres Bestehens stellt die EZB ihr Selbstverständnis zur öffentlichen Debatte. Ein mutiger und wichtiger Schritt, denn die Institution droht in weiten Teilen der Öffentlichkeit aufgrund der lockeren Geldpolitik ihre Legitimationsbasis zu verlieren.

Lagarde sagte, sie wolle Anstöße zur Debatte geben, die Entscheidung treffe aber der EZB-Rat. Die ehemalige französische Finanzministerin versprach zuzuhören, statt zu predigen, um dann einen Kompromiss zu schmieden, der die Europäer mit der Notenbank versöhnt. Man darf ihr zutrauen, dass ihr das gelingt. Lagarde signalisiere in Gesprächen ihrem Gegenüber stets, dass sie ihn oder sie ernst nehme, erzählen Menschen, die mit ihr gearbeitet haben. Zudem sei sie in der Sache immer sehr gut vorbereitet. So viel Fleiß gelingt mit Disziplin: Lagarde begann beim IWF ihren Tag um fünf Uhr morgens mit einer Tasse Tee. Von sechs Uhr an folgte Sport, dann die Arbeit mit langen Abenden. Wie sie das alles schaffe? Kein Alkohol, keine Zigaretten, vegetarische Ernährung und viel Bewegung.

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