Christian Wulff im Gespräch:"Wir sind die Erklärbären der Nation"

Lesezeit: 8 min

Niedersachsens Ministerpräsident Wulff über dilettantische Manager und wie viel die Rettung einer Bank kosten darf.

Melanie Ahlemeier, Stefan Braun und Thorsten Denkler

Christian Wulff, 49, ist seit 2003 Ministerpräsident von Niedersachen und seit 1998 stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Er gehörte lange zu dem Kreis der CDU-Ministerpräsidenten, die für eine Kanzlerschaft in Frage kommen könnten. Das änderte sich, als er im vergangenen Jahr ankündigte, schon deswegen nicht Kanzler werden zu wollen, weil er nicht glaube, dass er das könne. Kurz zuvor hatte er das Amt des CDU-Landesvorsitzenden an Fraktionschef David McAllister übergeben.

Christian Wulff ist Ministerpräsident in Niedersachsen - und will auch dort bleiben. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Wulff, viele gescheiterte Manager fordern trotz hoher Verluste ihrer Unternehmen schamlos Millionen-Abfindungen und Boni ein. Wie erklären Sie denen, was Moral ist?

Christian Wulff: Aufsichten haben versagt, Banken haben Produkte gekauft und verkauft, die sie nicht verstanden haben. Alle Eliten - in Banken, Aufsichtsbehörden und Politik - sind mitverantwortlich für die Krise. Jeder sollte sich in Demut und im Rahmen seiner Verantwortung entschuldigen. Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

sueddeutsche.de: Und dann wird alles gut?

Wulff: Nein. Man kann jetzt schon wieder sehen, wie die Grundlagen für eine neue Krise gelegt werden.

sueddeutsche.de: Sie meinen die Milliarden an neuen Staatsschulden für die Konjunkturpakete.

Wulff: Ich wundere mich, wie ich diffamiert werde, wenn ich sage, dass die Finanzkrise nicht allein mit Geld bekämpft werden kann. Wir müssen wieder mehr auf Werte wie Nachhaltigkeit, Sparsamkeit und Berechenbarkeit achten. Was einzelne Manager gezeigt haben, war Inkompetenz gepaart mit Dilettantismus. Ein Politiker wird für die kleinste Verfehlung zu Recht in die Wüste geschickt. Und einige Banker meinten, dass über ihnen nur der Himmel ist.

sueddeutsche.de: Die Hypo Real Estate scheint wie ein schwarzes Loch Milliarden an Steuergeld zu verschlingen. Wie viel darf die Rettung einer Bank kosten?

Wulff: So wenig wie möglich. Bei der Hypo Real Estate ist die Abwägung klar: Ihr Bankrott würde mehr kosten als ihre Erhaltung.

sueddeutsche.de: Ex-HRE-Chef Georg Funke ist auch so ein gescheiterter Manager, der seine Millionen nicht missen will. Er beharrt auf einer Forderung von 3,5 Millionen Euro. Ist das Gier oder sein gutes Recht?

Wulff: Ich habe dafür kein Verständnis. Selbst ich - ich bin ja kein Fachmann - habe schon früh verstanden, dass das Geschäftsmodell der HRE mit enormen Risiken verbunden ist. Die Blase musste platzen. Aber Herr Funke hat alles auf eine Karte gesetzt. Er hat das Unternehmen riskiert und Vermögen vernichtet - und zwar nicht nur das Vermögen der Eigentümer des Unternehmens, sondern der Gesellschaft.

sueddeutsche.de: Bei welchem Betrag ist Schluss für die HRE?

Wulff: Es wäre verwegen, über solche Grenzen eine Debatte zu führen. Es muss alles dafür getan werden, diese Bank zu retten. Letztlich hängt an der Hypo Real Estate auch ein Teil des guten deutschen Pfandbriefmarktes. Wir nehmen die Hypo Real Estate in staatliche Obhut, um das Geld der kleinen Leute zu schützen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum es sich lohnt, um Opel zu kämpfen.

sueddeutsche.de: Am Wochenende sind mehrere tausend Menschen deutschlandweit auf die Straße gegangen. Ihr Slogan: Wir zahlen nicht für eure Krise. Glauben Sie, Sie können den Menschen noch erklären, was gerade passiert.

Christian Wulff hat den CDU-Landesvorsitz in Niedersachsen vor einiger Zeit abgegeben. (Foto: Foto: ddp)

Wulff: Das ist die wichtigste Aufgabe der Politik derzeit. Anders gesagt: Wir sind hier die Erklärbären der Nation. Nur werden manche eben nicht gehört, weil sie vorher so viel dummes Zeug erzählt haben.

sueddeutsche.de: Sie fordern eine Wertedebatte in der Wirtschaft, unter anderem über Nachhaltigkeit. Ist es nachhaltig, ein Unternehmen wie Opel über Wasser zu halten, das alleine nicht überlebensfähig ist?

Wulff: Wenn immer alles so einfach wäre. General Motors in den USA hat die Zukunft verschlafen. Opel dagegen liefert mit seinem Entwicklungszentrum in Rüsselsheim die entscheidenden Impulse für ressourcenschonende und energiesparende Fahrzeuge. Deshalb ist es jede Anstrengung wert, um Opel Europa zu kämpfen. Jetzt liegt der Schlüssel erst mal in Amerika. GM muss sagen, wie dem Unternehmen geholfen werden kann.

sueddeutsche.de: Wie könnte Opel denn geholfen werden?

Wulff: Das richtige Instrument ist eine Bürgschaftsabsicherung. Der Bund sollte jedenfalls nicht in die Produktion von Fahrzeugen einsteigen. Wenn das das erfolgreichste Modell wäre, dann wäre der Trabbi das erfolgreichste Auto der Welt geworden.

sueddeutsche.de: Warum keine Staatsbeteiligung wie bei VW? Manche sehen darin ein Vorbild für einen VEB Opel.

Wulff: Wenn Standort-Länder das Beispiel VW kopieren wollen, dann müssen die das entscheiden. Aber ich will mich nicht einmischen in die Überlegungen der Ministerpräsidenten Koch, Beck und Rüttgers.

sueddeutsche.de: In der Union wird unabhängig von Opel erbittert bis verbissen über Staatsbeteiligungen und Enteignungen gestritten. Was raten Sie den Beteiligten?

Wulff: Etwas mehr Gelassenheit. Wir haben schon ordnungspolitische Flexibilität bewiesen, als wir in der Airbus-Krise die 7,5 Prozent an dem Konsortium übernommen haben. Bestimmte Situationen erfordern eben bestimmte Antworten. Jetzt ist eine Situation, in der es zu Massenkarambolagen auf den Weltmärkten gekommen ist.

Da muss die Politik wieder Ordnung schaffen. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Pannenhelfer. Wir müssen zum Teil in die Fahrzeuge, sprich die Unternehmen, um sie wieder flottzumachen. Aber diese Rolle wollen und können wir nicht auf Dauer haben.

sueddeutsche.de: Was spricht dagegen?

Wulff: Wir haben so viele Fehler gemacht, bei der IKB, bei der KfW, der WestLB, der SachsenLB. Die Politik ist nicht der bessere Unternehmer. Systematisch können das Private besser. Wir müssen jetzt schnell dafür sorgen, dass die privaten Akteure wieder innerhalb der Leitplanken und nach den Verkehrsregeln fahren, die wir ihnen vorgeben. Vor allem darf es nicht mehr zu solchen Massenkarambolagen kommen.

sueddeutsche.de: Wie wollen sie das erreichen?

Wulff: Wir brauchen Regeln für die Finanzmärkte, Regeln gegen die immense Verschuldung. Wir brauchen Mechanismen, die die Abschottung von Märkten verhindern. Nur ein Beispiel: Die Amerikaner haben den Importzoll für Schokoladenerzeugnisse von fünf auf 100 Prozent heraufgesetzt. Darum geht einem Mittelständler bei uns in Niedersachsen jetzt das Licht aus.

Das ist Protektionismus, wie er 1930 den Weg in den Weltkrieg geebnet und die Welt in den Abgrund getrieben hat. Die grundsätzliche Frage ist: Steht die Welt in dieser Krise zusammen, oder tun die Akteure nur so und am Ende macht doch jeder, was ihm selbst nützt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum Christian Wulff Maria-Elisabeth Schaeffler nicht helfen kann.

sueddeutsche.de: Frau Schaeffler scheint zu glauben, dass sie tun kann, was sie will, und wenn es nicht klappt, hilft der Staat. Haben Sie mal ein ernstes Wort mit ihr gesprochen?

Wulff: Ich habe ständig Kontakt zu Frau Schaeffler und ihrem Sohn. Beide haben vor ein paar Tagen auch hier gesessen, in unserer Landesvertretung. Conti ist nach wie vor der profitabelste Reifenhersteller der Welt. Es gibt die Weltkonjunktur, die drückt. Es gibt Bestellrückgänge, es gibt Probleme mit der Einbindung von Siemens/VDO in Conti. Aber noch besteht die Chance, dass aus der Verbindung Conti und Schaeffler der zweitgrößte Automobilzulieferer der Welt wird.

sueddeutsche.de: Da sind Sie aber sehr optimistisch.

Wulff: Das Problem ist doch, dass sich da einige verzockt haben. Darum wird die Rolle der Familie Schaeffler in dem was kommt, zurückgedrängt werden. Das erfordert die Sachlage.

sueddeutsche.de: Wie geht es weiter?

Wulff: Die Commerzbank ist in dieser Geschichte wider Willen auf dem Fahrersitz gelandet und steht jetzt mit sieben Milliarden Euro in der Verantwortung. Von ihr erwarte ich Modelle, wie das Unternehmen in eine sichere Zukunft geführt werden kann.

sueddeutsche.de: Und wie wollen Sie Frau Schaeffler helfen?

Wulff: Frau Schaeffler kann ich nicht helfen. Sie hat mich zum Glück nicht gefragt, ob sie Conti übernehmen soll. Hätte sie gefragt, ich hätte ihr dringend zugeraten, es bei einer Minderheitsbeteiligung zu belassen. Ich kann höchstens etwas für Conti tun.

sueddeutsche.de: Was können Sie tun?

Wulff: Wenn es ein zukunftsfähiges Konzept gibt, dann hat auch dieses Unternehmen ein Anrecht darauf, dass fair und sachlich die Frage von Bürgschaften geprüft wird. Aber, das sage ich auch: Eine Bürgschaft gibt es nicht zum Nulltarif. Sie wird etwas kosten, sie darf nur ein geringes Ausfallrisiko haben, sie darf den Wettbewerb nicht verzerren und muss einen Mehrwert für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten. Damit sind wir in ähnlichen Fällen immer gut gefahren.

sueddeutsche.de: Im Wahlkampf müssen sich die Parteien die Frage gefallen lassen, wer dem kleinen Mann in der Krise am besten hilft. Ist die CDU dafür gut genug aufgestellt?

Wulff: Ich bin zuversichtlich. Personell stehen wir inzwischen deutlich besser da als vor einigen Monaten. Unter den fünf beliebtesten Politikern sind drei von uns. Die Kanzlerin auf Platz eins, die Familienministerin auf Platz fünf und der neue Wirtschaftsminister auf Platz drei. Das für die Union so elementar wichtige Thema Wirtschaft wird von Freiherr zu Guttenberg ganz wunderbar ausgefüllt. Er ist gebildet, welterfahren, klug und mutig. Er kann zuhören und in beeindruckender Weise formulieren. Er ist ein Glücksfall für die deutsche Politik. Das dürfen Sie in Stein meißeln und vor der Süddeutschen Zeitung in München aufstellen.

sueddeutsche.de: Man könnte auch sagen, die CDU hat keinen eigenen Kandidaten für diese Rolle gefunden und muss jetzt mit einem CSU-Mann vorliebnehmen. Warum machen Sie nicht den Wirtschaftsfachmann der CDU?

Wulff: Das Vorschlagsrecht für den Wirtschaftsminister lag bei der CSU. Im Übrigen habe ich Verantwortung für mein Land.

sueddeutsche.de: Sie verstecken sich in Niedersachsen.

Wulff: Nein, ich nehme die Verantwortung für mein Land wahr. Ich gehöre nicht zu denen, die immer gleich an das Nächste denken. Ich bin sehr zufrieden als Ministerpräsident. Ansonsten bringe ich mich ein in die Bundespolitik und spiele meine kollegiale Rolle im Team.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum der neue Wirtschaftsminister ein Glücksfall ist.

sueddeutsche.de: Es muss sie doch zumindest ärgern, dass die CDU erst auf einen Glücksfall der CSU warten musste.

Wulff: Nein. Zu Guttenberg gehört zu den drei herausragenden Unionspolitikern. Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung an dieser Stelle differenziert zwischen CDU und CSU.

sueddeutsche.de: Das scheint die CSU irgendwie anders zu sehen. Sie poltert gegen die CDU wo sie kann.

Wulff: Wir haben ein großes Interesse daran, dass die CSU sich fängt. Nur wenn sie in Bayern über 50 Prozent kommt, haben wir bundesweit eine Chance auf über 40 Prozent.

sueddeutsche.de: Über 40 Prozent? Sie machen Witze.

Wulff: Der Union wird am meisten zugetraut, wenn sie mit Ruhe, Besonnenheit und Gelassenheit das Richtige tut. Das haben wir bisher in dieser Krise gemacht. Wir müssen jetzt noch die Zukunft unserer Wirtschaft formulieren mit einem starken umweltpolitischen Einschlag. Dann werden wir bei der Bundestagswahl gut abschneiden. Im Übrigen wechselt man die Pferde nicht, wenn es anstrengend bergauf geht.

sueddeutsche.de: Bis jetzt haben sie nicht mehr erreicht, als die FDP in Umfragen auf 18 Prozent zu pumpen.

Wulff: Umfragen und Wahltage sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Eine große Koalition führt immer zum Erstarken der kleinen Parteien. So richtig überrascht es mich also nicht, dass die FDP jetzt profitiert. Die 18 Prozent in den Umfragen waren auch sehr vorübergehend.

sueddeutsche.de: Aber Sie können damit nicht zufrieden sein. Oder ist das ein gottgegebener Zustand?

Wulff: Natürlich wollen wir jeden Wähler behalten, zum Beispiel die, die hinter Friedrich Merz, Papst Benedikt und Erika Steinbach stehen. Und natürlich müssen wir dafür unsere Politik offensiver erklären. Wir sollten uns der Steinbrück'schen Verstaatlichungsrhetorik widersetzen und deutlich machen, dass es nur um den Einzelfall Hypo Real Estate geht. Da können wir als Union sicher noch besser werden.

sueddeutsche.de: Viele sagen: Die Politik rettet die in den feinen Anzügen, aber der Arbeiter am Opel-Band muss weiter zittern?

Wulff: Ich widerspreche. Es gibt eine breite Unterstützung der Bevölkerung dafür, die HRE nicht insolvent gehen zu lassen. Die Menschen können den systemischen Charakter dieser Bank sehr wohl einschätzen.

sueddeutsche.de: Also zur Not auch Enteignung?

Wulff: Das ist ja keine Enteignung, sondern im Kern die Abwendung der Insolvenz. Die übrigens schlimmere weltweite Folgen hätte, als die Pleite von Lehman Brothers. Aber die Menschen verlangen zu Recht, dass wir genau hinschauen. Dazu gehört, dass wir nicht nur den großen unter die Arme greifen, sondern auch den kleinen Unternehmen, bei denen die Mehrheit der Menschen beschäftigt ist.

Ich schätze alle gleich, und Mittelständler sogar besonders. Die fühlen sich für ihre Mitarbeiter, deren Familien und ihre Produkte noch verantwortlich und machen sich nicht aus dem Staub, wie einzelne Manager. In Niedersachsen gehen 60 Prozent der Bürgschaften an Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern.

sueddeutsche.de: Was ist, wenn alle Stricke reißen, wenn die Milliarden die Banken nicht retten, wenn die Konjunkturpakete verpuffen? Was ist, wenn der schlimmste Fall eintritt?

Wulff: Wird er nicht. Deutschland hat Krisen überstanden wie kein anderes Land. Daraus schöpfe ich das Vertrauen, dass wir auch die jetzige Krise überstehen werden - wenn wir nicht verzagen.

© sueddeutsche.de/cmat/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: