Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftsweise:Christian Lindner keilt zurück

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Die Kritik der Wirtschaftsweisen an seinem Kurs erzürnt den Finanzminister. Steuererhöhungen für Gutverdiener seien "enorm gefährlich".

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Dass Christian Lindner die Schelte der sogenannten Wirtschaftsweisen nicht einfach kommentarlos hinnehmen würde, war zu erwarten gewesen. Am Mittwoch aber nun meldete sich nicht nur der Bundesfinanzminister selbst zu Wort. Vielmehr machte sich auch die volkswirtschaftliche Abteilung seines Hauses daran, die Empfehlungen des Sachverständigenrats Punkt für Punkt auseinanderzunehmen. Ergebnis: Aus Sicht der Ministeriumsexperten wären vor allem die zeitlich befristeten Steuererhöhungen für Spitzenverdiener, die die Riege der Professorinnen und Professoren vorschlägt, nicht nur wenig sinnvoll, sondern sogar kontraproduktiv.

In ihrem Jahresgutachten bescheinigen die "Weisen" der Regierung, im Kampf gegen die hohe Inflation zwar umfangreiche Entlastungspakete geschnürt zu haben. Viele Maßnahmen seien aber auch Menschen zugute gekommen, die gar keine Hilfe bräuchten. Um mehr Zielgenauigkeit zu erreichen, sei deshalb "eine ausgleichende Ergänzung" denkbar, etwa in Form eines befristet höheren Spitzensteuersatzes oder eines Energie-Solidaritätszuschlags für die Bezieher sehr hoher Einkommen.

Das Problem ist nun, dass Steuererhöhungen exakt das sind, was Lindner und die FDP seit Jahren kategorisch ausschließen. Entsprechend deutlich fiel die Reaktion des Ministers und Parteichefs aus. "Wir sind in einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit - da wären zusätzliche Belastungen bei der Steuer enorm gefährlich", sagte er. Auch und gerade Spitzenverdiener steuerten schon heute erhebliche Summen zur Finanzierung des Allgemeinwohls bei.

Statt die Steuern zu erhöhen, will die Koalition die Belastung von Gutverdienern sogar noch leicht senken. So soll mit dem Inflationsausgleichsgesetz neben dem Grund- und dem Kinderfreibetrag sowie den anderen Eckwerten des Einkommensteuertarifs in zwei Schritten auch die Verdienstgrenze angehoben werden, ab der der altbekannte Solidaritätszuschlag fällig wird. Für Alleinstehende hieße das, dass sie erst bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von mehr als 66 915 Euro Soli-pflichtig würden. Bisher liegt die Schwelle bei 62 604 Euro. Mit dem Schritt stelle man sicher, dass auch künftig 90 Prozent der Steuerzahler von dem Zuschlag befreit seien, so Lindner.

Auch aus Sicht seiner Ökonomen lässt sich die Wirtschaft in der Krise nur stabilisieren, indem "die Breite der Gesellschaft" entlastet wird. Realeinkommenseinbußen nämlich träfen nicht nur Geringverdiener, sondern auch ansonsten einkommensstarke Gruppen. Als Beispiel nennen die Experten eine junge Familie, die gerade begonnen hat, ein Eigenheim zu finanzieren.

Hinzu kommt aus ihrer Sicht, dass der 200-Milliarden-Euro-Schirm gegen Energiepreisspitzen über Schulden und damit letztlich über Steuern bezahlt werde. Das bedeute, dass Gutverdiener auch ohne höheren Spitzensteuersatz schon maßgeblich an der Finanzierung beteiligt seien. Eine Anhebung würde überdies keineswegs nur Reiche, sondern "die Mitte der Gesellschaft und der Unternehmen" treffen, da der Spitzensatz gegenwärtig bereits bei einem zu versteuernden Einkommen von 58 600 Euro greife. Auch sei bei anhaltenden Angebotsengpässen und stark steigenden Preise der Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten wichtig. Um das zu erreichen, bedürfe es aber attraktiver Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen.

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