Süddeutsche Zeitung

Weltwirtschaft:Chinas Wirtschaft wächst, die Sorge wegen Corona auch

Getrieben vom Export hat das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 8,1 Prozent zugelegt. Doch weil der Impfschutz in der Bevölkerung wohl gering ist, warnen Experten vor schweren Folgen eines Omikron-Ausbruchs.

Von Christoph Giesen, Peking

Die Unruhe in China ist groß: Omikron breitet sich im Land aus - und das knapp drei Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking. Erst in der Hafenstadt Tianjin, inzwischen auch in Shanghai, Shenzhen und seit dem Wochenende in der Hauptstadt. Am Sonntagabend hat die Pekinger Verwaltung verfügt, dass Mittel- und Oberstufenschüler künftig Onlineunterricht erhalten. Die Grundschulen sind wegen des anstehenden Frühlingsfests ohnehin bereits geschlossen. Wird es wieder Lockdowns geben wie im Februar 2020, als die Volksrepublik für volle sechs Wochen stillstand und die Wirtschaft einbrach?

Mitten in dieser aufkeimenden Panik liefert das Pekinger Statistikamt ein wenig Normalität. Chinas Wirtschaft sei im abgelaufenen Jahr um 8,1 Prozent gewachsen, teilte die Behörde am Montag mit. Im Vorjahresvergleich legte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt demnach zwischen Oktober und Dezember um vier Prozent zu. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts fiel damit etwas besser aus, als Analysten im Durchschnitt erwartet hatten. Im dritten Quartal hatte das Wachstum noch bei 4,9 Prozent gelegen - nach einem Rekordzuwachs von 18,3 Prozent im ersten und 7,9 Prozent im zweiten Quartal. Das starke Plus auf Jahressicht erklärt sich mit der niedrigen Vergleichsbasis durch die Pandemie im Vorjahr.

Mit einer Null-Covid-Strategie, Massentests, Quarantänen und Einreisebeschränkungen hatte das bevölkerungsreichste Land der Erde das Virus schneller in den Griff bekommen als die meisten anderen Staaten. Vor allem der Export profitierte davon. Die Welt bestellte all das, was man im Home-Office braucht, in China: Möbel, Computer, Kaffeemaschinen. Im Vergleich zum Vorjahr legten die Exporte um etwa 30 Prozent zu. Insgesamt führte China Waren im Wert von 3,36 Billionen Dollar (2,92 Billionen Euro) in andere Staaten aus. Der Wert aller Importe lag bei 2,69 Billionen Dollar, womit auch Chinas Außenhandelsüberschuss einen neuen Rekordwert von 676 Milliarden Dollar erreichte. Dennoch sagen Fachleute nun ein Jahr mit deutlich weniger Schwung vorher.

Nicht unbedingt das, was man in Peking hören möchte: Die Grundlagen der chinesischen Wirtschaft seien "unverändert". Sie sei "widerstandsfähig und voller Potenzial", sagte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping am Montag in einer Videobotschaft zur Eröffnung des World Economic Forum. Im Umgang mit der Wirtschaftskrise durch die Pandemie warnte Xi die großen Volkswirtschaften davor, "auf die Bremse zu treten oder in der Geldpolitik eine Wende einzuleiten". Es werde sonst "ernsthafte negative Nebenwirkungen geben". Die meisten Ökonomen sorgen sich aber vor allem um China.

Denn: Während Länder in aller Welt damit begonnen haben, mit dem Coronavirus zu leben, setzt die Führung in Peking mehr denn je auf Abschottung. Doch lässt sich die Ausbreitung der Omikron-Variante wirklich eindämmen?

Die Quote der vollständig Geimpften liegt in China bei etwa 85 Prozent

In der Volksrepublik werden hauptsächlich die Impfstoffe von Sinovac und Sinopharm verwendet, die abgetötete Coronaviren enthalten. Zwar liegt die Quote der vollständig Geimpften in China bei etwa 85 Prozent und damit höher als in Deutschland. Bislang unveröffentlichte Studien, etwa der University of Hong Kong, lieferten kürzlich jedoch Hinweise darauf, dass die beiden Vakzine eine gegen Omikron nur unzureichende Antikörperantwort auslösen könnten.

Dass in China keine mRNA-Impfstoffe etwa von Biontech oder Moderna gespritzt werden, liegt an den Behörden. Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte Biontech ein Joint Venture mit dem chinesischen Pharmakonzern Fosun gegründet. Bis Ende 2021 hätten eine Milliarde Booster-Impfungen in China für China produziert werden können, doch Peking verweigerte aus politischen Gründen die Zustimmung. In der Volksrepublik trifft das Virus also auf eine kaum geschützte Bevölkerung.

Die US-Investmentbank Goldman Sachs warnte deshalb in einer Studie, ein großer Omikron-Ausbruch könne in China schwerwiegende Folgen für die Konjunktur haben. Sie senkte ihre Prognose für Chinas Wachstum vergangene Woche auf 4,3 Prozent. Auch die Weltbank korrigierte ihre Vorhersage zuletzt von 5,3 auf 5,1 Prozent.

In Peking veröffentlichen die Zeitungen derweil sämtliche Orte, die die bislang einzige dort mit Omikron infizierte Frau in den vorangegangenen 14 Tagen besucht hatte. Die Stadtverwaltung ordnete an, dass alle Peking-Besucher sich künftig innerhalb von 72 Stunden nach Ankunft einem Corona-Test unterziehen müssten. Die neuen Vorgaben sollen bis Ende März gelten. Bereits jetzt verlangt Peking von Menschen, die in die Stadt wollen, dass sie sich in den 48 Stunden vor der Abreise testen lassen. Ohne ein negatives Resultat kann man kein Flugzeug oder einen Schnellzug nach Peking besteigen.

Am allerbesten solle man gar nicht mehr reisen, verkünden die Behörden. Und übrigens auch keine Post mehr bekommen: Forscher hätten auf einer Sendung aus Kanada Omikron-Spuren nachgewiesen, warnen chinesische Staatsmedien. Wer dennoch Post erhält, sollte zum Öffnen eine Maske aufsetzen, Einweghandschuhe überstreifen und unbedingt: vor die Tür gehen.

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