China:Weihnachtsstress am Jangtse

Egal ob Spielzeug oder Christbaumschmuck: Aus China kommen die wichtigsten Artikel für Weihnachten. Doch die Krise und Klagen über schlechte Qualität setzen den Produzenten immer mehr zu.

M. Grzanna

Wer ist überhaupt der Typ mit dem weißen Bart und der roten Mütze? Jeden Tag hat Li Huangpeng mit ihm zu tun, eigentlich müssten die beiden längst alte Vertraute sein. Er ist gerade einmal so groß wie ihre Handfläche. Er starrt sie mit seinen Knopfaugen an, sie klebt ihm einen weißen Bommel an den Zipfel seiner Mütze, mehrere hundert Mal täglich. Aber über seine Identität hat sich Li noch nie Gedanken gemacht. "Lao laowai - ein alter Ausländer", sagt sie. Doch immerhin verhilft er ihr zu einem guten, sicheren Job, das macht ihn sympathisch. Mehr will sie gar nicht wissen.

Weihnachten, China, Foto: Grzanna

Beim Spielwarenhersteller Lung Cheong werden vor Weihnachten noch hunderte ferngesteuerte Styropor-Flugzeuge gefertigt.

(Foto: Foto: Grzanna)

Kampf gegen die Uhr

An Lis Arbeitsplatz, der Hangtian Arts & Crafts Co. in Yiwu, rund 250 Kilometer südwestlich von Shanghai, geht es an diesem Nachmittag turbulent zu. Das Unternehmen produziert Weihnachtsdekorationen, von kleinen Blech-Engeln mit Harfe bis zu mannsgroßen Styropor-Schneemännern mit Hut - insgesamt 10.000 verschiedene Artikel. Die Zeit bis zum Fest drängt. Ein Dutzend Arbeiterinnen hat sich schon in der Empfangshalle breit gemacht, um dort einen Berg rot-weißer Weihnachtsmützen für den Versand einzutüten.

Ähnlich chaotisch sieht es in einer Produktionshalle im dritten Stock aus, wo man sich wie beim Slalom den Weg zwischen Tischen und großen Kartons bahnen muss. Dazwischen sitzen viele Frauen und wenige Männer. Sie stecken, kleben, knüpfen und verpacken Weihnachtsdekorationen - immer im Kampf gegen die Uhr.

"Es sind noch sehr viele Aufträge in letzter Minute hereingekommen", sagt Tony Chou. Er ist für den Außenhandel des Unternehmens verantwortlich. Viele Kunden haben kurzfristig nachbestellt, und so läuft das Geschäft mit dem Weihnachtsschmuck nun deutlich besser als erwartet. "Zu Jahresanfang hatten wir echte Sorgen", sagt Chou. Im Sommer kamen dann aber die Bestellungen gleich körbeweise herein. Das Niveau der vergangenen Jahre wird man gleichwohl nicht erreichen. Früher verschiffte die Firma in den Spitzenmonaten bis zu 60 Container mit Weihnachtsprodukten in 50 Länder in der ganzen Welt: Europa, Nord- und Südamerika, sogar Iran und Saudi Arabien. 20 Millionen US-Dollar setzte der Betrieb im vergangenen Jahr um. "Diesmal werden es wohl zehn Prozent weniger sein", sagt Chou.

"Ein warmherziger Mensch"

Es hätte schlimmer kommen können. Beinahe hätte die Firma lukrative Aufträge ablehnen müssen. Als die Auftragswelle aus dem Ausland verspätet hereinbrach und Eile geboten war, fehlte es nämlich an Arbeitskräften. Ausgerechnet in China, dem Land mit der Milliardenbevölkerung. Man würde denken, dies sei ein schlechter Witz. Doch tatsächlich hat die Wirtschaftskrise, in deren Folge tausende Firmen pleite gingen, den chinesischen Arbeitsmarkt stark verändert. Vor allem die Exportindustrie wetteifert nun um die Gunst der Arbeiter.

Denn nach der Pleitewelle im vergangenen Jahr hatten Millionen Wanderarbeiter die Industriezentren verlassen und waren zurück in ihre Heimatprovinzen gezogen. Das Konjunkturprogramm der Regierung setzte hier an, und mit Milliarden-Investitionen wurden Jobs in den ländlichen Regionen geschaffen. So besteht für viele Arbeiter nun keine Notwendigkeit, zurückzukehren in die Zentren der Exportindustrie. Sie haben ihre Lehren gezogen aus dem brutalen Absturz des Vorjahres. "Die Menschen sind vorsichtiger geworden nach diesen Erfahrungen. Viele Eltern wollen nicht mehr, dass ihre Kinder in Fabriken arbeiten", sagt Huang Yiming, der Chef von Hangtian Arts & Crafts. Gelassen steuert er seine deutsche Luxus-Limousine durch den Verkehr, sein Handy surrt immer wieder. Ja, sagt er lächelnd, der Weihnachtsmann habe ihm ein Vermögen beschert. Gut 500 Arbeiter beschäftigt er.

Mitte der 90er Jahre hat er mit der Produktion begonnen, da steckte das Exportgeschäft noch in den Anfängen. "Chinesische Auslandsstudenten haben damals unsere Weihnachtsartikel in Deutschland verkauft. Das waren ein paar Kartons", erinnert er sich. Damals war es kein Problem, Arbeitskräfte zu finden, heute muss er sich darum bemühen. Seine Firma habe Klimaanlagen in den Produktionshallen eingebaut, sagt er. Jeden Monat werden die Geburtstage der Angestellten gefeiert, und am 25. Dezember gibt es ein großes Weihnachtsessen für die Belegschaft. "Unser Chef ist ein warmherziger Mensch", schwärmt Abteilungsleiter Tony Chou.

Weihnachtsschmuck made in China

Doch Huang denkt weiter. Gemeinsam mit anderen Unternehmern sitzt er im Vorstand der örtlichen Weihnachtsgenossenschaft, bei deren Treffen es nicht um den Austausch von Lebkuchen-Rezepten geht, sondern um die Zukunft der Branche, um den notwendigen Strukturwandel. Denn noch hilft die Regierung den Exportbetrieben, indem sie den Kurs der Landeswährung niedrig hält, was die Produkte zusätzlich verbilligt. Doch das wird nicht immer so sein, und dann könnten andere Billiglohnländer der Weihnachtsindustrie von Yiwu schnell den Rang ablaufen. In Yiwu wissen sie das. Der Ausweg, sagen die Unternehmer, heißt Qualität. "Wir müssen die Qualitätsstandards aller Produkte erhöhen. Nur so können wir langfristig unsere Anteile absichern", sagt Chen Jilin, der Geschäftsführer der Genossenschaft.

Gleichzeitig hofft die Branche, dass Weihnachten auch in China an Popularität gewinnt. Bei der Hangtian Arts & Crafts bleiben schon 15 Prozent der produzierten Ware im Reich der Mitte. Vor allem in den Metropolen wird der Bedarf an Festdekoration größer. Die Innenstädte leuchten rund um das Fest, das meiste würde selbst der alte Ausländer mit der roten Mütze als kitschig bezeichnen. In der Genossenschaft sinnt man nun nach Wegen, den gewaltigen Binnenmarkt zu beleben, wodurch sich die Abhängigkeit vom Export mindern ließe. Ohne Unterstützung der Politik, die privaten Einkommen zu erhöhen und den Konsum zu stärken, ist das aber schwierig.

Es geht um viel. Wer die Zentrale der Genossenschaft im Neubauviertel der Gemeinde Futian, die zur Stadt Yiwu gehört, aufsucht, kann sich davon ein gutes Bild machen. In Futian ist zwölf Monate im Jahr Vorweihnachtszeit. Alle Ladenlokale in den unteren Stockwerken der Mehrfamilienhäuser bieten Weihnachtsdekoration. Schon auf den Gehwegen muss der Fußgänger Haken schlagen, um Warenkisten und herumstehenden Weihnachtsmännern auszuweichen. In den Geschäften stolpert man über Pappkartons, es ist eng, und immer wieder stößt man mit dem Kopf gegen Kugeln und Herzchen, die von der Decke baumeln. Aus aller Welt strömen Händler in die Stadt, um sich für den Weiterverkauf einzudecken. Glitzernde Schriftzüge wünschen ein frohes Fest auf Englisch, Deutsch und Spanisch.

Spielzeug-Hochburg China

Das Geschäft hat Wohlstand in die Stadt gebracht. Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen liegt mit fast 29.000 Yuan jährlich, umgerechnet knapp 3000 Euro, um 82 Prozent über dem Landes-Durchschnitt. Das zieht weitere Produzenten an. Seit Beginn der Krise ist die Zahl der Weihnachtsschmuck-Produzenten in der Stadt um mehr als 30 Prozent auf insgesamt 400 gestiegen. Die Firmen hoffen auf die Sogwirkung des Marktes. Die Stadt ist das Zentrum der chinesischen Industrie für kleine Massenwaren aller Art wie zum Beispiel Baseballkappen, Keramikschalen, Papier, Souvenirs - und Weihnachtsartikel.

Ohne China wäre Weihnachten in der übrigen Welt deutlich ärmer. Vier von fünf Christschmuck-Artikeln stammen aus dem Reich der Mitte. Und von vier Spielzeugen werden drei zumindest teilweise im Perlflussdelta gefertigt. Die Werkstätten des Weihnachtsmanns - sie liegen nicht am Nordpol, wie es die Märchen erzählen, sondern in China, genauer gesagt, südlich des Jangtse-Flusses.

Doch in den Werkstätten läuft es nicht mehr so rund wie früher. Vor allem die Spielzeug-Industrie steckt in Schwierigkeiten. Nicht alles ist der weltweiten Krise anzulasten, manches Problem haben die Hersteller selbst verschuldet. Das Konzept der Billigproduktion geht nicht mehr auf, seit sich die Beschwerden der Kunden über Qualitätsmängel und giftige Weichmacher in Kinderspielzeug häuften. Namhafte Hersteller wie der deutsche Teddy-Spezialist Steiff ziehen ihre Produktion aus China ab.

Billige Arbeitskraft - auf Dauer kein Rezept

Nun zeigt sich auch, dass die langen Transportwege für China ein Nachteil sind. Wenn Nachbesserungen nur mit großem Zeitaufwand möglich sind, weil die Produkte wochenlang auf hoher See unterwegs sind, ist der Kostenvorteil schnell dahin. Viele chinesische Spielzeughersteller, die durch Qualitätsmängel aufgefallen waren, mussten schließen. Wie zum Beispiel Smart Union in Dongguan, der unter anderem den Barbie-Hersteller Mattel belieferte.

Die Krise hat damit aber auch einen reinigenden Charakter. "Wir können nicht sagen, dass es uns um die Smart Union leid tut", sagt etwa Leung Zhongming. "Firmen, die die Preise dermaßen drücken, bringen die Branche in Verruf. Spielzeug-Produktion verlangt Sorgfalt." Leung, der aus Hongkong stammt, ist Präsident und Gründer der Spielzeugfabrik Lung Cheong Int. Holdings Limited in Dongguan. Zum Gespräch im Konferenzraum mit Blick auf die Berge der Provinz Kanton hat er den Direktor der Technologie-Abteilung, Guo Kwok, hinzugebeten. Es geht ungezwungen zu. Niemand trägt Krawatte. Eine Assistentin serviert Wasser in Plastikflaschen.

Die Branche, erklärt der Unternehmer, müsse sich verstärkt auf qualitativ hochwertige Produkte konzentrieren. Billige Arbeitskraft, das sei auf Dauer kein Rezept. China müsse mehr bieten, wenn es seine Marktanteile verteidigen will. Die Lung Cheong Int. Holdings setzt bereits viele Jahre auf diese Strategie. 50 Ingenieure kümmern sich um die Entwicklung neuer Produkte. 380 Patente hat die Firma in China angemeldet. 80 Mitarbeiter seien ausschließlich mit Qualitätssicherung beschäftigt, sagt der Firmenchef. Die 15 Millionen Euro Umsatzeinbuße wegen der Krise habe man gut wegstecken können.

In 24 Tagen von Shenzen nach Hamburg

Auch bei ihm sind viele Weihnachts-Orders erst in letzter Minute eingegangen. "Als die Auftragslage plötzlich anzog, haben wir uns mit Pappschildern an den Bahnhof gestellt und Leute gesucht", berichtet Technik-Direktor Kwok. Die Firma lockte mit kostenlosen Tanz- und Yogakursen, Basketballfeld, Tischtennis- und Badmintonanlagen. Ein Naherholungsgebiet auf dem Firmengelände ist in China sehr ungewöhnlich. Die hausinterne Friseurin bietet kostenlose Haarschnitte, im firmeneigenen Supermarkt können sich die Angestellten mit Instant-Nudelsuppen oder eingeschweißten Hühnerfüßen versorgen. Vor dem Friseursalon plätschert Wasser eine drei Meter hohe Klippenlandschaft herunter. Im Teich darunter tummeln sich Zierfische.

Bis zu 2000 Arbeiter benötigt der Spielzeug-Hersteller in der Hochsaison. Alle sind vertraglich für mindestens ein Jahr an die Firma gebunden. Das neue Arbeiterschutzgesetz schreibt das vor, genauso wie die Zahlung von einem Minimum an Sozialleistungen. Solange es genügend Arbeit gibt, ist das kein Problem. Aber wenn nach der Hochsaison zu viele Arbeiter auf der Gehaltsliste stehen, fallen entsprechend Kosten an. Die Unternehmensleitung nutzt deshalb die Vergabe von Überstunden als legales Regulierungsmittel. "Leute, die wir nicht mehr benötigen, bekommen keine Überstunden mehr. Arbeiter, die wir halten wollen, dagegen schon", sagt Direktor Kwok. In der Regel verlassen die Arbeiter ohne Überstunden die Firma aus freien Stücken, weil ihnen nur 770 Yuan, weniger als 80 Euro, gesetzlicher Mindestlohn im Monat zustehen - zu wenig für die meisten. Da verliert auch der kostenlose Haarschnitt seinen Reiz.

Die Trennungswelle hat schon begonnen, der große Weihnachtsstress ist vorbei. Das spürt man auch 100 Kilometer weiter, im Hafen von Shenzen. Nur die chilenische CCNI Arc hat angelegt. Die Ladung enthält Container mit der Aufschrift "Hamburg Süd". Ein kühler Wind bläst über den Pier. Terminal-Mitarbeiter Li Xin vergräbt den Kopf zwischen den Schultern. Er trägt nur die neongelbe Sicherheitsweste über dem dünnen Hemd. "Im besten Monat 2009 haben wir an diesem Terminal 450.000 Container verschifft, 100.000 weniger als im Vorjahr." Das Geschäft ist für dieses Jahr gelaufen. Was jetzt nicht aufgeladen ist, kommt nicht mehr rechtzeitig nach Europa. 24 Tage dauert der Transport von Shenzhen nach Hamburg. Würde der alte Ausländer am Nordpol produzieren, ginge das schneller.

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