Süddeutsche Zeitung

Kriselnde Wirtschaft:China steht vor dem Abstieg

Jahrelang ging es mit China wirtschaftlich nur bergauf. Das hat die Macht der Kommunistischen Partei gefestigt - doch jetzt braucht sie eine neue Botschaft.

Kommentar von Stefan Kornelius

Chinas Börse und Chinas Wirtschaftsleistung sind nicht dasselbe Paar Stiefel. Wenn die Börse kracht, muss die Realwirtschaft noch lange nicht in die Knie gehen. Und dennoch nimmt der Schuster in Peking den selben Leisten, wenn er das Leder für seine Stiefel zuschneidet. Will heißen: Die Konstruktionsfehler an den Märkten sind den Konstruktionsfehlern in der Wirtschaft und der Währungspolitik des Landes nicht unähnlich.

Überproduktion, steigende Arbeitskosten, neue Produktionskonkurrenten, eine Immobilien-Blase - die Nöte kommen über China wie die sieben Plagen. Was sich nun an der Zocker- und Geldbeschaffungsmaschine namens Börse abspielt, spiegelt die Probleme in der Massenproduktion und im Devisengeschäft: China steht vor einer massiven ökonomischen Krise.

Niemand - vor allem auch in Deutschland - kann sagen, das gehe ihn nichts an. Chinas Wirtschaftspuls ist inzwischen so stark, dass er überall auf der Welt zu spüren ist. Auch wenn Investoren noch lange nicht aus China abziehen, so werden sie über neue Geschäfte verschärft nachdenken. Umgekehrt schmelzen die chinesischen Reserven so schnell wie Gletschereis, so dass auch in Europa kein warmer Geldregen mehr zu erwarten sein wird.

Für Häme und Belehrungen über die Fehlbarkeit einer staatsgelenkten Wirtschaft ist das nicht der richtige Zeitpunkt. Die Baufehler gehen tiefer, die Führung in Peking hat sie durchaus erkannt und versucht umzusteuern: hin zu mehr Nachhaltigkeit, mehr Service, mehr Qualität und weniger Masse. Allein: Die staatlichen Eingriffe sind ungelenk und intransparent, die Börsenschließung und die Yuan-Abwertung erscheinen planlos. Die gewaltige Volkswirtschaft lässt sich nicht über Nacht neu erfinden.

Chinas Führung verfolgt traditionell zwei Ziele: Das Land muss geeint bleiben, und die Partei muss die Führung bewahren. Unter diesen Prämissen wurden allerlei Spielarten von Autonomie und Anarchie, Klanwirtschaft, Korruption, Machtmissbrauch und Unterdrückung toleriert. Wer da auch immer sein Süppchen kochte - oberste Führung und Einheit des Landes hat die überwiegende Mehrheit nicht infrage gestellt. Das kann sich nun ändern.

Die starke wirtschaftliche Abkühlung trifft den Staat in all seinen Facetten. Verloren geht das Vertrauen in die chinesische Führung, deren Wachstumsprognose von sechs Prozent schon unglaubwürdig war, als sie veröffentlich wurde. Wenn erst mal die Arbeitslosen auf den Straßen stehen (in den offiziellen Statistiken werden sie wohl nicht so schnell auftauchen), dann wird es auch für die Politik brenzlig.

Diese Politik ist, wie seit fast 20 Jahren nicht mehr, auf eine Person ausgerichtet: Präsident Xi Jinping. Seine Kampagne gegen Korruption dient nicht nur dem Machterhalt sondern auch einem zweiten, weitaus wichtigeren und bisher wenig beachteten Zweck: Sie schafft Platz für eine neue Führungsschicht, die das Land auf die harten Zeiten einschwören kann. Xis Führungskunst wird nun darüber entscheiden, wie China die Krise durchschreitet.

Die Führungsgeneration nach Deng Xiaoping hat das Land vor allem mit einem Wachstums- und Wohlstandsversprechen geeint und stark gemacht hat. Dieses Versprechen konnte sie erfüllen. Xi Jinping, der dritte Erbfolger dieser Generation, steht nun vor der Aufgabe, den Chinesen eine neue Botschaft zu vermitteln. Schon jetzt ist sicher, dass Patriotismus und Nationalismus wichtige Elemente dieses neuen Glaubenskanons sein werden. Aber: Mit roten Fahnen lässt sich keine Eigentumswohnung bezahlen.

Xi muss sein Land also auf schwierigere Zeiten einstimmen. In der chinesischen Aufsteiger-Saga wird gerade das schwierigste Kapitel geschrieben.

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SZ vom 08.01.2016/jasch
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