China Valley:Hört die Signale!

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Am Montag wird Chinas Ministerpräsident vor dem Volkskongress reden - eine neue Chance, reich zu werden.

Von Christoph Giesen

Die ersten Delegierten sind schon angereist, es ist Volkskongress in Peking. Kommenden Montag wird Ministerpräsident Li Keqiang vor die gut 3000 Abgeordneten treten und den Arbeitsbericht der Regierung vortragen. Anderthalb Stunden Parteiprosa, so wie jedes Jahr. Die Rede wird vorher ausgeteilt, ein sachtes Rascheln erfüllt die Große Halle des Volkes jedes Mal, wenn die Delegierten gleichzeitig umblättern. Zum Schluss artiger Applaus, dann strömen die Abgeordneten aus der Halle.

Für ausländische Journalisten, Diplomaten und ja auch Start-up-Unternehmer beginnt die eigentliche Arbeit danach. Die Interpretation, das Wörterzählen. Was genau hat Li gesagt? Und wie oft? Wie häufig wurde die "Kommunistische Partei" erwähnt? Kamen Schlagworte wie "Innovation", "Umweltverschmutzung" oder "Sicherheit" seltener vor als in den vergangenen Jahren? Welche neuen Begriffe lassen sich entdecken? Wer in China als Unternehmer Erfolg haben will, muss politisch denken und zwischen den Zeilen lesen können. Wie einst die Kremologen in der Sowjetunion. Ein jedes Wort in Lis Rede kann Millionen wert sein.

Vor genau drei Jahren sahen die selbsternannten Volkskongress-Statistiker zum ersten Mal den Terminus "Made in China 2025". Damals konnte kaum einer etwas damit anfangen. Heute ist es die wahrscheinlich ehrgeizigste industriepolitische Blaupause der Welt. In zehn Branchen sollen Unternehmen aus der Volksrepublik zur Weltspitze gehören. In der Elektromobilität, genauso wie in der Medizintechnik oder der Chip-Industrie.

Der Mechanismus ist simpel: Der Staat hilft mit großzügiger Forschungsförderung. Entwicklungsbanken und extra eingerichtete Fonds versorgen Firmen der ausgewählten Branchen mit günstigen Krediten. Hunderte Milliarden stehen bereit.

Dazu kommen staatliche Vorgaben. In der Medizintechnik zum Beispiel sollen bis 2020 chinesische Hersteller 600 Milliarden Yuan (gut 80 Milliarden Euro) Umsatz erwirtschaftet werden, fünf Jahre später sollen es dann 1,2 Billionen Yuan sein. Um diese Zahlen zu erreichen, schreibt die Regierung den staatlichen Krankenhäusern vor, welche Geräte sie kaufen sollen: In einem 2016 von der Nationalen Kommission für Gesundheit und Familienplanung in Auftrag gegebenen Katalog sind 153 medizinische Geräte empfohlen. Kein einziges davon stammt von einem nicht-chinesischen Hersteller.

Wer das rechtzeitig wusste, wer die Zeichen richtig interpretiert und dementsprechend investiert hat, ist heute reich. Das gilt nicht nur für Start-ups. Neulinge an der Börse bekommen oft den Tipp zu hören: Achtet nicht auf Kennzahlen oder Geschäftsberichte. Auslandsmärkte oder Fremdwährungen? Völlig egal. Entscheidend sind die Abendnachrichten des staatlichen Fernsehsenders CCTV. 30 Minuten Propaganda. Wer auf Zwischentöne achten kann, erkennt die Signale der Partei. 2016 kam es zu einem Wettstreit. Mensch gegen Maschine. Großmeister gegen Computer, ausgetragen im kniffligen Brettspiel Go, das überall in Ostasien populär ist. Schach ist ein Witz dagegen. Lee Se-dol aus Südkorea trat an gegen einen Rechner von Google. Und Lee verlor sang- und klanglos. Für viele Genossen in China war das ein Erweckungserlebnis. Wer Go meistert, hat nicht nur einen simplen Schachcomputer programmiert, sondern ist eine ernsthafte Gefahr. Das Land, war man sich einig, muss dringend in Künstliche Intelligenz (KI) investieren. Vor einem Jahr tauchte deshalb der Begriff dann zum ersten Mal im Bericht von Premier Li auf. Genau einmal, auf Seite 20, verborgen in einer Aufzählung. Mehr Forschung- und Entwicklungsausgaben versprach Li. Und Hilfe bei der Vermarktung. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich einiges getan. Was bis vor Kurzem noch ins Reich der Science-Fiction-Literatur gehörte, wird bald ein Milliardenmarkt in China sein. Unterstützung gibt es von ganz oben. Als der allmächtige Staats- und Parteichef Xi Jinping vor ein paar Wochen seine Neujahrsansprache hielt, saß er wie immer vor einem Bücherregal. Karl Marx steht dort natürlich, auch Ernest Hemingways "Der alte Mann und das Meer". Diesmal allerdings waren in Xis Rücken auch zwei KI-Standardwerke drapiert worden. "Augmented: Life in the Smart Lane" und "The Master Algorithm: How the Quest for the Ultimate Learning Machine Will Remake Our World". Die Sache ist todernst. Ein Wettrüsten zwischen China und den Vereinigten Staaten hat begonnen. 2020, glauben Fachleute, könnte China bereits gleichgezogen haben. Und 2030 sollen chinesische Unternehmen die dominierenden Spieler auf dem Weltmarkt sein, so der Plan der Regierung. 150 Milliarden Dollar soll dann die Branche in China jährlich umsetzen.

Zwei Start-ups mischen bereits mit. Megvii aus Peking hat sich auf Gesichtserkennung spezialisiert und wird vom Staat gefördert. Datensätze von Millionen Chinesen kann das Unternehmen verarbeiten. Eine lückenlose Überwachung des Landes, das ist das Ziel. Im November hat Megvii bei einer Investmentrunde 460 Millionen Dollar eingesammelt. Auf eine Milliarde wird das Unternehmen inzwischen taxiert. Damals Weltrekord für ein KI-Start-up. Wenige Tage später folgte Sensetime, ein weiteres Start-up aus China: Gesichtserkennung, autonomes Fahren und Videoanalysen, das ist das Geschäft. Der Wert des Unternehmens: 1,47 Milliarden Dollar.

Und wo lässt sich künftig Geld verdienen? Die Antwort wird Premier Li am Montag verklausuliert vortragen, wie immer. Und etliche Unternehmer werden seine Ausführungen Wort für Wort im Nachgang untersuchen.

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