Süddeutsche Zeitung

China Valley:Einmal bitte alles

Das Ziel des chinesischen Unternehmens Meituan ist die Super-App. Man sucht nichts mehr im Internet, sondern bekommt alle Dienstleistungen in einer einzigen Anwendung: Essenslieferung, Friseurtermin, Autofahrten.

Von Christoph Giesen

China ist im Energiesparmodus, so wie jedes Jahr kurz vor Ende des Winters. Zugtickets - egal wohin - sind ausverkauft, die Fabriken schließen vorübergehend, die großen Städte an der Ostküste haben auf einmal ein paar Millionen Einwohner weniger. Und bald hört man tagelang Feuerwerk rummsen, so laut und so gewaltig, dass man in Deutschland für die Böller wohl einen Sprengschein bräuchte. Es ist Frühlingsfest. Chinesisches Neujahr. Fast alle im Land sind für ein paar Tage zu Hause. Und doch harren Tausende aus. Es sind vor allem Männer, die auf ihren Elektrorollern durch die Straßen fahren. Immer und überall.

Wenn einem sonntags nach Brunch ist, draußen aber die Feinstaubwerte wieder einmal auf Kokerei-Niveau liegen und man besser den Luftfilter surren lässt, hetzen sie durch den Smog und bringen einem das Frühstück. Sie gehen auch einkaufen. Per App wählt man den Supermarkt aus und die Produkte, wenig später klingelt der Kurier, meistens trägt er eine gelbe Uniform und arbeitet für das Start-up Meituan.

Außerhalb Chinas ist das Unternehmen kaum bekannt, in der Volksrepublik jedoch ist Meituan in nur wenigen Jahren zu einem wichtigen Akteur auf dem umkämpften O2O-Markt geworden. Das Kürzel steht für Online-to-Offline: Im Internet bestellt und flugs ausgeliefert in die reale Welt. Ein Milliardengeschäft in China.

Seit der jüngsten Geberrunde im vergangenen Herbst wird Meituan mit satten 30 Milliarden Dollar bewertet. Weit mehr als die Vermietungsplattform Airbnb oder Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX.

2018 werden schätzungsweise fast 350 Millionen Chinesen ihr Essen online bestellen. Die meisten von ihnen über Meituan. Mehr als 55 Prozent des Marktes kontrolliert das Unternehmen. Die Bestellung kostet im Schnitt etwa einen Euro. Doch nicht nur das.

Man kann sich auch einen Masseur nach Hause ordern, ein Termin beim Friseur buchen oder Kinokarten besorgen lassen. Ja selbst das Auto kann man via Meituan waschen lassen. Hat man diesen Service gebucht, kommt ein Putztrupp in die Tiefgarage oder wäscht den Wagen gleich in der Parkbucht. Als Beleg bekommt man Fotos aufs Smartphone geschickt.

Um während der Feiertage genug Engel in Gelb auf den Straßen zu haben, bekommen Kuriere, etwa in Shanghai, den dreifachen Lohn. Wer bis zum chinesischen Neujahrsabend, in diesem Jahr der 15. Februar, arbeitet, erhält zudem einen Bonus von tausend Yuan. Wer sich spätestens nach fünf Tagen wieder zum Einsatz meldet, dem werden 700 Yuan gut geschrieben.

Gründer von Meituan ist Wang Xing, ein Veteran des chinesischen Internets, und das, obwohl er noch keine 40 Jahre alt ist. Meituan ist Wangs dritter Versuch, im Internet reich zu werden. Mit Erfolg: Auf 4,1 Milliarden Dollar wird sein Vermögen inzwischen geschätzt. Wang hat Informatik studiert und später auch einen Abschluss in den USA gemacht. Ein großer Visionär war er aber zunächst nicht. Stattdessen kopierte er munter.

Sein erster Versuch war 2005 der Facebook-Klon Xiaonei. Ein nahezu deckungsgleiches Abbild - nur auf Chinesisch. Das Projekt scheiterte; nach nicht einmal einem Jahr ging das Geld aus. Wang musste Xiaonei abgeben. Das Portal heißt inzwischen Renren und ist ein Erfolg in China.

2007 dann der zweite Anlauf, wieder eine Kopie: Fanfou, die chinesische Variante von Twitter. Kurznachrichten mit höchstens 140 Zeichen, bloß auf Chinesisch. Das Geld war kein Problem, es war die Regierung, die Fanfou stoppte. Völlig unzensierte Meinungen im Internet? Das war der Führung in Peking unheimlich, der Dienst verschwand 2009 hinter der großen Firewall. Wang probierte es ein drittes Mal. Und erneut kopierte er. Diesmal die Rabatt-Schleuder Groupon, Meituan nannte er 2010 seine Version, übersetzt "schöne Gruppe". Doch seitdem hat er Meituan kräftig weiterentwickelt. 2015 fusionierte das Unternehmen mit Dianping, dem damals größten Essenslieferdienst Chinas. Ein Reiseportal zum Buchen von Flügen und Hotels kam hinzu. Experimente mit Drohnenlieferungen laufen. Im vergangenen Jahr testete Meituan einen eigenen Fahrdienst, der bald landesweit an den Start gehen soll. Derzeit sucht das Unternehmen Fahrer. Die ersten 50 000 dürfen für drei Monate sämtliche Einnahmen behalten. Beim großen Wettbewerber Didi Chuxing, der nach einem Preiskampf 2016 Uber aus China vertrieben hatte, müssen die Fahrer 20 Prozent abgeben. Didi kündigte bereits Widerstand an: "Wenn ihr Krieg wollt, bekommt ihr Krieg", polterte einer der Didi-Gründer.

Das Ziel von Meituan ist die Super-App. Man geht nicht mehr ins Internet und füttert eine Suchmaschine mit seinen Anfragen, sondern bekommt alle Dienstleistungen in nur einer einzigen Anwendung geboten. Sei es das Essen oder die Fahrt mit dem Auto. Auch ein eigenes Bezahlsystem hat das Unternehmen deshalb entwickelt. Meituan und sonst nichts.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Wechat, die in China omipräsente Kommunikations-App. Etwa eine Milliarde Nutzer haben Wechat installiert. Statt Telefonnummern tauscht man in China häufig nur noch Wechat-Kennungen aus. Erfinder der App ist der IT-Konzern Tencent, mehr 500 Milliarden Dollar ist das Unternehmen inzwischen an der Börse wert. Die Vision von Tencent: Alles soll nur noch per Wechat ablaufen, dazu hat Tencent jüngst die Mini-App ersonnen, extra Programme, die nur innerhalb von Wechat gestartet werden können. Tencent gegen Meituan: Ist das das Duell der Zukunft in China? Technisch vielleicht. Finanziell wohl kaum. Tencent, ist längst der größte Investor von Meituan.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2018
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