China Valley:Die Einhörner kommen

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Vor ein paar Jahren gab es in China fast keine großen Start-ups. Doch mit Alibaba begann der Wandel. Der entscheidende Antreiber: der Staat.

Von Christoph Giesen

Millionen Chinesen werden am Freitag bis tief in die Nacht aufbleiben, auf ihre Smartphones starren und von Mitternacht an ihre Bestellungen abschicken. Für 24 Stunden ist dann das Land im Kaufrausch. Bis vor neun Jahren war der 11. November ein normaler Tag in China. Kein Karneval und schon gar keine Martinsumzüge - bis 2009 ein Start-up den 11. November zum Tag der Singles erklärte, zum Anti-Valentinstag.

Wer alleine ist, so die Idee des Start-ups, möge sich wenigstens etwas Schönes kaufen, und das möglichst preiswert. Etwa 15 000 Unternehmen machen inzwischen mit und gewähren üppige Rabatte. Vor einem Jahr wurden so an nur einem Tag 120,7 Milliarden Yuan umgesetzt, das sind umgerechnet 15,6 Milliarden Euro.

Das Start-up, das ein ganzes Land verändert hat, heißt Alibaba.

Alles fing an, als der Englischlehrer Ma Yun im Jahr 1995 zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten reiste und dort das Internet kennenlernte. Schon damals nannte er sich lieber Jack. Bei Freunden in Seattle tippte er zwei Worte in eine Suchmaschine: "Beer" und "China". Es gab keine Treffer. Zurück in China machte er sich ans Werk, und aus dem Lehrer Ma wurde Chinas erster Internetunternehmer. Seine Website war das erste kommerzielle Angebot - eine Art Gelbe Seiten. Es wurde ein Flop, die Lokalregierung übernahm die Kontrolle. Geldverdienen im Internet, das war den Behörden damals suspekt. Heute unterstützt kein Staat Start-ups intensiver als die Volksrepublik China.

Jeden Tag werden in China 15 000 Firmen gegründet, vielen davon hilft der Staat. In den vergangenen Jahren hat die Regierung Hunderte Fonds aufgesetzt, um die technischen Entwicklungen im Land zu fördern. Die Werkbank der Welt, wie China früher wegen seiner Billigfabriken oft genannt wurde, soll zu einer innovationsgetriebenen Volkswirtschaft werden. Zehn Branchen hat die Regierung dafür auserkoren, darunter den Flugzeugbau, die Medizintechnik oder die Elektromobilität. In wenigen Jahren sollen überall chinesische Firmen konkurrenzfähig sein. Gewaltige Summen stehen dafür zur Verfügung. 2015 waren es insgesamt 2,2 Billionen Yuan (etwa 285 Milliarden Euro), verteilt auf 800 Fonds. Bis Ende 2016 sind weitere 3,1 Billionen Yuan dazugekommen. Und von den Milliarden landet ein großer Teil bei Start-ups.

Jack Ma, Chinas Start-up-Pionier, musste noch ohne große Hilfe zurechtkommen

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo sich die meisten wichtigen Start-ups auf knapp 5000 Quadratkilometern im Silicon Valley angesiedelt haben, sind Chinas Gründer deutlich verstreuter. Das eine Tal gibt es nicht. Die Regierung hat 17 nationale Innovationszonen gegründet, von der Ostküste bis nach Chengdu, tief im Landesinneren. Der Wunsch der Politik: Überall Start-ups.

In der Realität sind Chinas Jungunternehmer vor allem im Umkreis von drei Städten anzutreffen: Peking, Shanghai und Shenzhen. 39 Prozent aller Start-ups werden in der Hauptstadt gründet. Die Nähe zur Politik und die besten Uni-Absolventen des Landes sprechen für Peking. 20 Prozent der Firmen lassen sich in Shanghai nieder, der reichsten Stadt des Landes. Und 17 Prozent der Start-ups werden in der Provinz Guangdong, im Süden Chinas registriert - vor allem in Shenzhen. Gerade Firmen, die nicht nur programmieren, sondern auch Hardware herstellen, siedeln sich in Shenzhen an. Bis vor 40 Jahren war es ein Fischernest an der Grenze zu Hongkong. Heute ist Shenzhen größer als die ehemalige Kronkolonie, alle wichtigen Konzerne der Welt fertigen in der Umgebung. Wer einen Prototyp braucht, bekommt ihn hier in wenigen Wochen gebaut. In Europa dauert das oft Monate.

Jack Ma, Chinas Start-up-Pionier, musste noch ohne große Hilfe zurechtkommen. Es war seine zweite Geschäftsidee, die ihn zu einem der reichsten Männer Chinas werden ließ. 1999 gründete er in seiner Heimatstadt Hangzhou Alibaba. Seine Überlegung war fast banal und doch genial: Chinas Fabriken schloss er an den globalen Handel an, mit einer Website, die ein Umschlagplatz für Großhändler ist, auf der einfach alles feilgeboten wird: Maschinen, Kleidung, Spielzeug - und immer in großer Menge, das gängige Bestellvolumen ist der Schiffscontainer. Käufer aus Übersee können sich bei Alibaba direkt an die Hersteller in China wenden, niemand braucht mehr einen Zwischenhändler, der Kontakte herstellt und mitverdient. 2003 erweiterte Ma das Angebot und gründete die Website Taobao, Chinas Ebay. Im Gegensatz zum amerikanischen Auktionshaus passte er Taobao an die Bedürfnisse der chinesischen Nutzer an. Er führte ein eigenes Online-Bezahlsystem ein: Alipay. Wer damals bei Ebay handelte, musste darauf vertrauen, dass der Verkäufer die ersteigerte Ware schickt und der Käufer zahlt. Dieses Vertrauen haben viele Chinesen nicht, zu oft wurden sie enttäuscht. Bei Alipay wird das eingezahlte Geld erst weitergereicht, wenn die Ware beim Kunden angekommen ist. Inzwischen kann man überall in China mit Alipay zahlen. 2014 ging Alibaba in New York an die Börse. 25 Milliarden Dollar wurden erlöst.

Ein Einhorn nennen sie das im Silicon Valley. Die Definition ist simpel: Ein Start-up wird zum Fabelwesen, sobald es mindestens eine Milliarde Dollar wert ist. Nur ganz wenige Unternehmen schaffen das. Zwischen 2010 und 2013 gab es in China jeweils ein Einhorn pro Jahr. 2014 waren es schon fünf. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres sind weitere 20 chinesische Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar hinzugekommen. Noch liegt Amerika vorne, dort gab es einen Zuwachs von 26 Einhörnern, in Europa dagegen waren es nur neun. Die staatliche Unterstützung in China zahlt sich aus.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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