Es war vor genau einer Woche, als die chinesischen Zeitungen und die amtliche Nachrichtenagentur zum ersten Mal von diesem neuen Gesetz berichteten, das bereits zur zweiten Lesung dem Ständigen Ausschuss des Volkskongresses vorgelegt werde: das Anti-Sanktionsgesetz. Einen Entwurf kannte niemand. Veröffentlicht wurde der Text dann Ende vergangener Woche, da war das Gesetz, das ausländische Unternehmen bald zwingen könnte, sich zwischen China oder dem Rest der Welt zu entscheiden, längst in Kraft getreten. Die meisten ausländischen Firmen in China können noch gar nicht richtig fassen, was gerade passiert ist. Wie gefährlich das Gesetz einmal für sie werden kann.
"Europäische Unternehmen in China sind schockiert über die mangelnde Transparenz und Geschwindigkeit dieses Prozesses", moniert Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking. "Diese Aktion ist nicht förderlich, um ausländische Investitionen anzuziehen oder Unternehmen zu beruhigen, die bereits das Gefühl haben, als Bauern in einem politischen Schachspiel verwendet zu werden."
Lediglich 16 Artikel umfasst das neue Gesetz. Oberflächlich betrachtet bildet es lediglich eine Reihe von Vergeltungsmaßnahmen ab, die Peking ohnehin stets als Reaktion auf westliche Sanktionen ergriffen hat. Ende März zum Beispiel, nachdem die Europäische Union zum ersten Mal seit 1989 Sanktionen gegen vier chinesische Funktionäre und ein staatliches Konglomerat verhängt hatte, die an der Unterdrückung der Uiguren in der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas beteiligt sind, antwortete die chinesische Regierung prompt. Nicht einmal eine Stunde nachdem die europäischen Sanktionen bekannt gegeben wurden, veröffentlichte das Pekinger Außenamt seine eigene Bannliste: Etlichen Wissenschaftlern und Politikern wurden Einreiseverbote für die Volksrepublik, Hongkong und Macau erteilt.
"Vergeltung ist die zweitbeste Option."
Die Gefahr für ausländische Firmen verbirgt sich vor allem in Artikel zwölf des neuen Gesetzes, wonach Einzelpersonen und Institutionen (also auch Unternehmen) mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, wenn sie Sanktionen, die gegen die Volksrepublik oder chinesische Organisationen gerichtet sind, umsetzen. In der Konsequenz bedeutet das: Wenn eine ausländische Firma etwa amerikanische Sanktionen gegen einen chinesischen Konzern einhält, droht dem Unternehmen in China ein Gerichtsverfahren, und da China kein Rechtsstaat ist, dürfte klar sein, zu wessen Gunsten die Urteile ausfallen werden.
"Früher hatte China weder die wirtschaftliche Macht noch den politischen Willen, mit legalen Mitteln gegen die US-Sanktionen vorzugehen. Jetzt hat es beides", sagt Wang Jiangyu, Rechtsprofessor an der City University of Hong Kong. "Kooperation ist die beste Option, aber die USA wollen sie nicht. Also ist Vergeltung, wie mit diesem neuen Gesetz, die zweitbeste Option."
Angelehnt ist das chinesische Gesetz an das sogenannte Blockade-Statut, das die EU 1996 eingeführt hatte, um europäische Unternehmen vor US-Sanktionen gegen Libyen, Iran und Kuba zu schützen. China ist allerdings im Unterschied zur EU das direkte Ziel der Sanktionen und versucht sich nun selbst zu schützen.
Der Netzwerkausrüster Huawei könne jetzt etwa den taiwanischen "Halbleiterhersteller TSMC wegen wirtschaftlicher Verluste verklagen", erklärt Tian Feilong, Professor für Rechtswissenschaften an der Pekinger Beihang-Universität, der an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt gewesen ist. "Verliert TSMC vor unserem Gericht, müsste TSMC sich entscheiden, ob es die US-Sanktionen oder das Anti-Sanktions-Gesetz in China respektiert, da es an beiden Orten große Interessen hat."
Die USA nehmen China zunehmend ins Visier
Ein sehr naheliegendes Beispiel: Huawei hatte der ehemalige US-Präsident Donald Trump per Verfügung den Nachschub an Halbleitern untersagt. Seit vergangenem September dürfen amerikanische Unternehmen nicht mehr an Huawei liefern, genauso wenig ausländische Unternehmen, die Chips mit Maschinen aus den Vereinigten Staaten fertigen oder aber deren Produktionsverfahren in den USA patentiert sind. Deshalb stellte TSMC, einer der größten Chiphersteller der Welt, seine Lieferungen ein. Ein Festhalten hätte womöglich zur Konsequenz gehabt, dass TSMC nicht mehr nach Amerika liefern darf, ja, schlimmer noch, es hätte mutmaßlich gar Auswirkungen auf die Bankbeziehungen des Unternehmens gehabt, nämlich dann, wenn internationale Institute sich geweigert hätten, mit einem Konzern Geschäfte zu machen, der sich amerikanischen Sanktionen widersetzt.
Inwieweit europäische Unternehmen nun von dem chinesischen Gesetz betroffen sind, ist unklar. Der deutsche Halbleiterhersteller Infineon etwa macht etwa 40 Prozent seines Umsatzes in der Volksrepublik, allerdings vor allem im Automobilsektor, der von den amerikanischen Sanktionen noch unberührt ist.
Fakt ist jedoch, dass insbesondere die USA China zunehmend ins Visier nehmen - wegen des Vorgehens in Hongkong und den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, aber auch in Handels- und Technologiefragen. US-Präsident Joe Biden setzte vor wenigen Tagen 59 chinesische Firmen mit Verbindungen zu Verteidigungs- oder Überwachungstechnologie auf eine schwarze Liste, die bereits von seinem Vorgänger Trump angelegt worden war, auch Huawei steht darauf. Amerikanische Investoren dürfen demnach vom 2. August an nicht mehr mit Wertpapieren dieser Unternehmen handeln - ein erster Test für das neue Gesetz. Bis dahin gibt sich die chinesische Regierung betont freundlich: "China heißt ausländische Unternehmen immer willkommen und unterstützt sie dabei, Geschäfte in China zu tätigen und ihre Rechte und Interessen in Übereinstimmung mit dem Gesetz zu schützen", sagt ein Sprecher des Pekinger Außenamtes. "Chinas Tür wird sich immer weiter öffnen."