Süddeutsche Zeitung

China:Rasende Erneuerung

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Zwischen Peking und Shanghai fährt der erste chinesische Hochgeschwindigkeitszug. Damit beginnt für die Passagiere eine neue Zeitrechnung. Der neue Zug steht auch politisch für eine Zeitenwende. Statt Harmonie heißen die neuen Modelle Erneuerung.

Von Christoph Giesen, Peking

Die neue Zeitrechnung im Zuggeschäft hat am Montag um 11.05 Uhr chinesischer Ortszeit begonnen. Auf die Minute genau setzten sich in Peking und Shanghai zwei Schnellzüge in Bewegung. Nicht einmal fünf Stunden brauchen sie für diese Strecke. Das ist zwar seit einigen Jahren schon so, doch bisher waren es Lizenznachbauten ausländischer Hersteller, die täglich etwa 50 000 Fahrgäste zwischen den beiden Metropolen beförderten.

Manche der Züge sehen aus wie der Shinkansen, den Kawasaki entwickelt hat, andere wiederum ähneln den ICE-Modellen von Siemens. Selbst die Toiletten sind an derselben Stelle und natürlich gibt es auch einen Speisewagen, in dem das Essen in der Mikrowelle erwärmt wird - genauso wie bei der Deutschen Bahn.

Damit ist es bald vorbei. China hat jetzt einen eigenen Schnellzug. Bis zu 400 Kilometer pro Stunde soll der neue Zug fahren können. 30 Jahre Einsatzgarantie gibt der staatliche Hersteller CRRC, der bisher Siemens und Kawasaki nachgebaut hatte. In den kommenden Jahren soll das neue Modell überall in China zum Einsatz kommen. Der Markt ist gewaltig.

Die Volksrepublik hat mit Abstand das längste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt. Ende vergangenen Jahres waren es 22 000 Kilometer. Bis 2020 sollen es 30 000 Kilometer werden. Jeden Monat müssen deshalb Dutzende neue Schnellzüge gefertigt werden. Aber auch das Ausland kann CRRC mit dem neuen Zug nun erschließen. Die ICE-Klone durften nur in China fahren. Eine internationale Lizenz rückte Siemens nicht raus.

Für die neuen Züge, heißt es, hielte der chinesische Hersteller alle relevanten Patente. Ein urchinesischer Zug also? Nicht ganz: Technik von Siemens zum Beispiel wird auch weiterhin verbaut. Allerdings liefert der Münchner Konzern nicht mehr direkt zu, eine chinesische Firma bezieht die Teile und verkauft sie dann ein wenig modifiziert an CRRC weiter. Offiziell ist so alles chinesisch.

Auch politisch steht der neue Zug für eine Zeitenwende. Bislang hießen sämtliche Baureihen "Hexiehao" (Harmonie). Das war die zentrale Forderung von Ex-Parteichef Hu Jintao, unter dessen Ägide 2007 das Schnellzugprogramm aufgelegt worden war. Hu sprach gerne und oft von der "harmonischen Gesellschaft". Im Internet fand sich bald eine neue Bedeutung für Hus Slogan. Wenn in den sozialen Medien Chinas Internetpolizisten wüten, sagen die Nutzer im Scherz - der gelöschte Beitrag sei "harmonisiert" worden. Zensiert, getilgt, vorbei. So ergeht es jetzt auch dem alten Namen. Die neuen Modelle heißen Fuxinghao (Erneuerung). Die "große Erneuerung Chinas", das ist die Agenda von Xi Jinping, dem amtierenden Staats- und Parteichef. "Auf Wiedersehen Harmonie", schrieben die Staatsblätter ein wenig gehässig. Ein Ideologie-Streit,ausgetragen auf der Schiene.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2017
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