Süddeutsche Zeitung

China:Nur 6,5 Prozent Wachstum - und das Schlimmste kommt erst noch

  • Chinas Wirtschaft ist um 6,5 Prozent gewachsen - so wenig wie seit Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr.
  • Der Handelsstreit mit den USA hat nur bedingt etwas damit zu tun - der Großteil der Zölle schlägt sich noch gar nicht in den Statistiken nieder.
  • China reagiert, wie es immer reagiert: mit noch mehr Schulden.

Von Christoph Giesen, Peking

Die Lage in China ist ernst: Wann hat es das zum letzten Mal gegeben, dass jene drei Männer, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt maßgeblich lenken, innerhalb weniger Stunden Durchhalteparolen ausgeben? Tenor: Nur keine Unruhe, ein paar Unregelmäßigkeiten vielleicht, aber alles ist unter Kontrolle. Das ist das Signal, das der Chef der Zentralbank, der Vorsitzende Banken- und Versicherungsaufsicht, und schließlich der für Wirtschaftsfragen zuständige Vizepremierminister aussenden.

Der Grund für die Geschäftigkeit der drei Herren: China wächst so langsam wie seit Anfang 2009, also nach Ausbruch der globalen Finanzkrise, nicht mehr. Das Pekinger Statistikamt gab am Freitag das Wachstum im dritten Quartal mit 6,5 Prozent an. Fachleute hatten mindestens mit einem Zuwachs von 6,6 Prozentgerechnet. Im ersten Quartal waren es noch 6,8 Prozent, im zweiten dann 6,7 Prozent. Das bisherige Wachstum liegt damit zwar immer noch über der Vorgabe der Regierung von etwa 6,5 Prozent für das Gesamtjahr.

Allerdings spiegelt sich der Handelskonflikt zwischen Peking und Washington noch gar nicht in den Zahlen wider. Der Großteil der gegenseitigen Strafzölle ist erst im vergangenen Monat in Kraft getreten. Aus China sind inzwischen Waren im Wert von mehr als 250 Milliarden Dollar mit Sonderabgaben belegt - etwa die Hälfte der chinesischen Ausfuhren in die USA. Die chinesischen Vergeltungszölle belaufen sich auf 110 Milliarden Dollar, wesentlich mehr geht nicht, aus den USA wurden im vergangenen Jahr Waren im Wert von etwa 130 Milliarden Dollar geliefert. All das ist bisher noch nicht eingepreist. Eher im Gegenteil: Der Außenhandel hat sich im dritten Quartal noch als durchaus robust erwiesen, unter anderem weil Exporteure den amerikanischen Abgaben zuvorkommen wollten und sich im Voraus eindeckten.

Der Handelsstreit habe die chinesische Wirtschaft zwar belastet, aber "die psychologischen Auswirkungen sind größer als die tatsächlichen Auswirkungen", sagte Vizepremier Liu He, ein treuer Sherpa von Präsident Xi Jinping, der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Am Aktienmarkt ist die Unruhe dennoch groß. Seit Januar ist die Shanghaier Börse um etwa 30 Prozent gefallen, der chinesische Yuan gab zudem neun Prozent zum Dollar nach.

"Die jüngste Aktienmarktvolatilität ist in erster Linie das Ergebnis von Erwartungen und Emotionen der Anleger", beschwichtigte Notenbankchef Yi Gang nun. Und Guo Shuqing, Chinas leitender Bankenaufseher sekundierte: "Aufgrund verschiedener, Faktoren hat Chinas Finanzmarkt in letzter Zeit eine große Anzahl von abnormalen Schwankungen erfahren, die mit den Fundamentaldaten der chinesischen Wirtschaftsentwicklung nicht in Einklang stehen und nicht mit der allgemeinen Solidität des chinesischen Finanzsystems vereinbar sind."

Vor allem Staatsbetriebe haben sich auf Pump finanziert

Die Lösung? Schulden. Billige Kredite für Unternehmen. Neue Infrastrukturprojekte sollen das Wachstum stabil halten. Ein altbekanntes Rezept: Chinas Wirtschaft wächst seit Jahren ohnehin vor allem deshalb, weil die Staatsausgaben erhöht werden, für neue Straßen, neue Flughäfen, neue U-Bahnen. Wie eklatant die Lage ist, zeigt eine Studie des Sinologen und Ökonomen Victor Shih: Im Mai 2017 habe die Gesamtverschuldung in der Volksrepublik, also die Verbindlichkeiten aller Privathaushalte, Unternehmen und des Staates, 254 Billionen Yuan betragen. Das sind umgerechnet knapp 32 Billionen Euro und 328 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dramatisch ist vor allem der rapide Anstieg: Als 2008 in Peking die Olympischen Spiele ausgerichtet wurden, lag die Verschuldung noch bei etwa 145 Prozent der Wirtschaftsleistung. Seitdem hat sich die Quote mehr als verdoppelt, in absoluten Zahlen sind die Verbindlichkeiten sogar um mindestens das Fünffache gestiegen.

Vor allem Staatsbetriebe haben sich auf Pump finanziert. Auch ein Schattenbankenmarkt ist in China entstanden. All jene Personen und Unternehmen, die von den Staatsbanken keine Kredite bekommen, leihen sich dort ihr Geld. Shih schätzt den Graumarktbereich inzwischen auf 50 Billionen Yuan - damit existierten 64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts unkontrolliert außerhalb der Bücher der Banken. "China als Ganzes ist ein Schneeballsystem", befürchtet Shih. Die Regierung wird die Geld- und Haushaltspolitik dennoch weiter lockern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4176753
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.10.2018/vit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.